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Das ist Oper: Liebe, Politik, Intrige, Mord, Vater- und Tochterschaft, geniale Musik

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Salzburger Festspiele

Luca Salsi, Marina Rebeka und René Pape überzeugen in Giuseppe Verdis Simon Boccanegra bei den Salzburger Festspielen. Selbst Kapellmeister Walerij Gergiew findet Anklang. Der Regie fällt wieder einmal nichts ein.Von Stephan Reimertz.

Ahi Genovesi, uomini diversi
d’ogne costume e pien d’ogne magagna,
perché non siete voi del mondo spersi?

Alles ist offen. Im Pianissimo schwingen die Streicher über ostinatem Grundton. Die Naturszene in E-Dur kann man als Ausblick auf das Mittelmeer hören, von dem noch schlafenden Genua aus. Doch bereits im dritten Takt tritt mit den ersten Violinen die Mollterz g hinzu, ein bitterer bedrohlicher Missklang, und nun weiß man es: die kurze Zeit der Unschuld ist vorbei, der Tag der Politik, Intrige, des Verbrechens bricht an. Genua war stets eine Stadt, auf welche die Dichter ihre Phantasien von Vitalität und Verschwörung projizierten, man denke nur an Schillers Fiesco, Nietzsches Äußerungen, aber auch Opern wie Franz Schrekers Gezeichnete. Giuseppe Verdis Stück über politischen Kampf, Vaterliebe und Tod des Korsaren Simon Boccanegra, der zum Dogen von Padua erhoben und schließlich ermordet wird, befindet sich in enger thematischer und, in der zweiten Fassung, auch musikalischer Nachbarschaft zu seinem Otello, der ebenfalls vom Außenseiter zum Führer aufsteigt, aber stets angefeindet bleibt.

Inspirierte, handwerkliche perfekte Sänger

In Verdis Boccanegra bilden die Machtkämpfe zwischen Plebejern und Patrizier den Hintergrund. Luca Salsi singt die Titelrolle in seiner angenehmen Baritonstimme und spielt den Außenseiter, der es nach ganz oben schafft, mit großer physischer Durchschlagskraft. Marina Rebeka als seine Tochter Amelia besitzt eine große, schöne, strahlende Stimme. Die Szene, wo dem großen, gekränkten Dogen eröffnet wird, dass sie seine Tochter ist, rührt nicht weniger als die Wiedererkennungszene zwischen Elektra und ihrem Bruder Orest. Verdi hat uns ein Monument der Liebe zwischen Vater und Tochter beschert, welches man in der Opernliteratur allein mit der Beziehung zwischen Wotan und Brünnhilde oder mit jener zwischen Rigoletto und Gilda vergleichen kann. Während jedoch der Narr des Herzogs von Manuta seine ermordete Tochter in den Armen hält, erlebt Amelia den Tod des geliebten, von politischen Gegnern vergifteten Vaters.

Simon Boccanegra 2019: Charles Castronovo (Gabriele Adorno), Luca Salsi (Simon Boccanegra), Marina Rebeka (Amelia Grimaldi) / © SF/Ruth Walz

Eine faszinierende Musik

René Pape, das zeigt die Salzburger Aufführung wiederum, ist zu Recht einer der gefragtesten Bassisten unserer Zeit. In der Rolle des Adorno zelebriert er einen höchst intelligenten und geschmeidigen Bass, ebenso wie André Heyboer als Fiesling Albiani seine kleine Rolle zu einer großen macht und sich als Jago in Otello empfiehlt. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Walerij Gergiew setzen Verdis komplexe, aufregende, immer wieder überraschende und abwechslungsreiche Partitur mit musikalischem und dramatischem Gespür um. Kapellmeister Gergiew macht hier klar, wieviel mehr ihm diese Musik liegt als Wagners Tannhäuser, den er gleichzeitig in Bayreuth dirigiert.

Oper der zwei Epochen

Simon Boccanegra gehört zweien Schaffensphasen von Giuseppe Verdi zugleich an. Während die erste, im März 1857 in Venedig uraufgeführte Fassung nach dem Libretto von Francisco Maria Piave zu den Werken seiner mittleren Phase zählt und in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rigoletto, Trovatore und Traviata zu denken ist, stellt die 1881 in der Scala präsentierte Neufassung nach dem von Arrigo Boito überarbeiteten Textbuch eine komplexe Weiterentwicklung dar, an welche sich unmittelbar das große Triptychon der Vollendung, Don Carlos, Otello und Falstaff anschließt. Die Veränderungen laufen in vielen Teilen auf eine Neukomposition hinaus und reichen weiter als etwa Wagners spätere Retuschen an Tannhäuser und Holländer.

Dann lieber eine konzertante Aufführung!

Von Regie (Andreas Kriegenburgh) kann man bei der Salzburger Produktion mit ihrer konventionellen Präsentation von Solisten und Chor nur mit Mühe sprechen. Auch dem Bühnenbild (Harald B. Thor), das uns eine postmoderne Betonarchitekur präsentiert, auf Smartphones insistiert und auch vor peinlichsten Anspielungen auf gegenwärtige politische Phrasen nicht zurückschreckt, geht ebenso wie den öden und einfallslosen Kostümen (Tanja Hofmann) jeder Sinn für eine historisch dialektische Ästhetik ab. Wie so oft wird so getan, als stelle man interessante Bezüge zur Jetztzeit her, um davon abzulenken, dass es an Bildung, Kultur und ästhetisch-dramatischer Inspiration gebricht.

Am 31. August 2019 erfolgt die Fernsehausstrahlung von Simon Boccanegra um 20.15 Uhr auf 3sat.
Eine weitere Aufführung findet bei den Siemens Festspielnächten am 31. August 2019 um 20.00 Uhr statt.

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