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Das ewige Puppenspiel von Liebe und Heirat

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„La BETTLEROPERa“. Moritz Eggert mit einer radikalen Neuinterpretation des klassischen Stücks an der Neuköllner OperAm Donnerstag empfing die Kammeroper München eine Schar von Opernnarren an einem schönen Sommerabend in Nymphenburg zu Cimarosas Klassiker Die heimliche Ehe. Einer von ihnen war Stephan Reimertz.

Dominik Wilgenbus, ein Everding-Schüler, hat sich einiges einfallen lassen, um Domenico Cimaroas Il matrimonio segreto im phantastischen Hubertussaal der Nymphenburger Barockresidenz perfekt zuzubereiten und aufzutischen. Der Saal mit seiner mattglänzenden Seidenbespannung in hellem Pistazienton und drei Kronleuchtern erhielt an einer der länglichen Fensterseiten einen Laufsteg, auf denen die Protagonisten Platz nahmen und agierten, unterstützt von ellengroßen Ich-Idealen in Form von Puppen, welche sie selbst verkörpern. Wir hatten es also mit neckisch-epischem Theater zu tun. Die Verdoppelung der Darsteller in einem Puppenspiel ist ein beliebter Kniff der Opernregie, man denke nur an den Nürnberger Boris Godunow in der Regie von Peter Konwitschny im Oktober 2016. Verlangte in Nürnberg die Politik nach der Puppenbühne als einer Art Brennspiegel, spielen in Nymphenburg die sechs Protagonisten wie Kinder mit ihren Ich-Puppen, wenn es in Domenico Cimarosa Klassiker um die Heiratspolitik des Bürgertums und dessen Ambitionen geht, in den Adel aufzurücken. Lustig zum Zuschauen, bitterernst für einen Vater, der seine Töchter möglichst hochgesteckt unter die Haube bringen möchte. Die Ausstattung von Hans Poll ist ein liebevolles Opern-Puppenhaus, versteht es, den Blick auf das wesentliche zu lenken und wartet immer wieder mit kunstvollen Details auf.

Foto: Tobias Melle

Eine ganze Oper als da Capo

Was haben Salieris Arminda und La grotta di Trifonio, Mozarts Entführung aus dem Serail, Figaro und Così fan tutte wie auch Grillparzers Sappho, Des Meeres und der Liebe Wellen usw. mit Domenico Cimarosas Il matrimonio segreto gemein? Sie alle wurden in Wien am alten Burgtheater neben der Michaelerkirche uraufgeführt, wo heute der neobarocke Michaelerflügel der Hofburg den Spaziergänger mit seiner orientalischen Überschwenglichkeit überrascht. Mancher Wiener, wie etwa Karl Kraus, konnten den Neubau gegenüber dem Rathaus (mitsamt seinem Ensemble) nicht ausstehen und trauerte sein Lebtag der alten Burg nach. Uns hingegen bleibt oft nur die Rückschau auf Dinge und Verhältnisse, die wir selbst nie erlebt, die sich indes in der kollektiven Erinnerung umso lebendiger erhalten. Cimarosas komische Oper wurde 1792 im Hofburgtheater auf Befehl Leopolds II. uraufgeführt und auf spontanen Wunsch des Kaisers am selben Abend wiederholt. Auf das berühmteste da Capo der Operngeschichte folgten über zweihundert Jahre, in denen Il matrimonio segreto mit Leichtigkeit, Eingängigkeit und Witz die Spielpläne der Oper in aller Welt auflockerte. Die neapolitanisch-wienerisch-nymphenburgische Fassung, welche uns die Kammeroper München nun präsentiert, dürfte eine der originellsten Versionen in dieser langen Aufführungsgeschichte sein.

Der Kern des Werkes

Die neapolitanische Schule war, um es zeitgemäß auszudrücken, eine musikalische Epidemie, die durch einige Superspreader über ganz Europa verteilt wurde, besonders in die Hauptstädte der Oper. Domenico Cimarosa, von dem Norbert Miller zu sagen pflegte: „Ohne Beethoven wäre er der bedeutendste Komponist um 1800“, kam gerade aus Sankt Petersburg nach Wien, als dort der Meister aller Meister starb. Die Zauberflöte, drei Monate zuvor ein paar Straßen weiter uraufgeführt, wird in Cimarosas Oper ebenso zitiert wie ein paar andere damals beliebte Werke. Im originellen Arrangement von Alexander Krampe, mit dem wir es in Nymphenburg zu tun haben, erweist sich Cimarosa gar als Hellseher, wenn er auf Werke wie Wagners Lohengrin anspielt, der damals noch gar nicht komponiert, geschweige denn allgemein bekannt war. Mit keckem Finger stutzt Krampe das Werk für ein Dezett zurecht, wie wir es aus anderen Aufführungen der Münchner Kammeroper kennen, etwa der entzückenden Così im Cuvilliérstheater. Auch hier sind Gitarre und Akkordeon die ungewöhnlichsten Mitspieler des Zehnertrupps, welchen Dirigentin Johanna Soller straff durch den Abend voltigiert. Krampe hat mit seiner gekürzten und substantialisierten Partiturfassung den Kern dieses agogischen und aphoristischen Meisterwerks freigelegt.

Foto: Tobias Melle

Transposition in deutsche Lande

Allzu bescheiden nennt sich die Nymphenburger Fassung „halbszenisch“; wenn die munter über dem Laufsteg hampelnden sechs Sänger-Darsteller „halbszenisch“ agieren, dann ist so mancher Tristan viertelszenisch zu nennen. Die Kammeroper München belässt das Werk im achtzehnten Jahrhundert, transponiert es indes nach Deutschland; aus Il matrimonio segreto wird Die heimliche Ehe, aus der opera buffa ein Singspiel. Der gespickte Kaufman Geronimo mutiert zum Hieronimus, hier satt vergoldet durch den Bass von Timo Hannig, der zugleich eine imposante und urkomische Figur abgibt. Seine Töchter Elisetta und Carolina verwandeln sich in Lisbeth und Caroline, mit phantastischer Einfühlung und Kraft gesungen und gespielt von Guibee Yang und Elisabeth Freyhoff.

Und das Ende ist immer Verzicht

Man kann sich kaum vorstellen, wie wichtig es für Eltern damals war, ihre Töchter gut, das heißt. an den Meistbietenden zu verheiraten, und so hat Hieronymus keinen größeren Wunsch, als Lisbeth dem Grafen Robinson (im Original: Robinsone) zur Frau zu geben, zumal dann auch noch ein „von“ drin ist. Wen diese Konstellation an den Rosenkavalier erinnert, der liegt so falsch nicht. Gerade der Vergleich von Cimarosas dramma giocoso mit Richard Straussens Komödie für Musik von 1911 enthüllt über beide Werke einiges. Die aufgequirlte Bühnenkomposition von Strauss verhält sich zu Cimarosas Geniestreich wie ein aufwendiges Stilmöbel zum schlichten Original. Nicht unähnlich der Handlung in Hofmannsthals Libretto ist die jüngere Tochter Karo bereits heimlich mit Paulchen (Paolino), dem Buchhalter des Vaters, verheiratet. Wie im Rosenkavalier die Marschallin verzichtet hier am Ende der Graf zugunsten der jungen Leute auf seine erotischen Ambitionen. Magnus Dietrich sieht als Paulchen lustig aus, umso mehr zwingt sein durchschlagender Tenor zum Respekt. Nadja Kaiserseder als Traudel vereint Anmut mit einer gestaltungsstarken Stimme und perfektem Sinn für Komik, wenn sie zusammen mit Lisbeth verlangt, der Vater möge Karo ins Kloster stecken; hier erhalten wir schon eine erste Ahnung späterer Vertonungen der Cenerentola. Die Kostüme von Uschi Haug sind aber auch zu witzig; manche Staatsoper könnte sich den Ideenreichtum dieser Kostümbildnerin, welche aus wenig viel zu machen versteht, zum Vorbild nehmen.

Christine Ostermayer rezitiert Knittelverse

Dominik Wilgenbus bringt mit seiner Bearbeitung des Librettos von Giovanni Bertati, nach einem Stück des in Deutschland durch den Aufsatz von Lichtenberg bekannten englischen Schauspielers David Garrick, welches wiederum auf einen Kupferstich von William Hogarth zurückgehen soll, ein paar schöne alte deutsche Vornamen frisch zu Ehren. Er bietet uns zudem kasperlistische Knittelverse zwischen den Musikstücken. Trotz der Anwesenheit des Herzogs von Bayern bei der Premiere war Christine Ostermayer, welche die Verse vortrug, die Prominenteste im Saal. Das virenbedingt ausgedünnte Publikum gruppierte sich scheinbar locker um die Ausübenden; in Wirklichkeit war die Bestuhlung zentimetergenau aufgestellt und amtlich genehmigt. Die Kammeroper München hat mit ihrer Heimlichen Ehe die Herausforderungen der gegenwärtigen Gesundheitsmaßnahmen spielend aufgenommen und mit dem gelungenen Opernabend die Not zur Tugend gemacht.

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