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Ein Moment mit … Autorin Christa Schyboll zu ihrem neuen Roman „Besessen: Die anderen Bewohner“

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Ein Moment mit ... Autorin Christa Schyboll zu ihrem neuen Roman „Besessen: Die anderen Bewohner“Ein kleiner Junge muss mit ansehen, wie seine Eltern von der Mafia ermordet werden. Zurück bleibt eine schwere Amnesie. Jahre später entwickelt der Junge das Krankheitsbild der Multiplen Persönlichkeitsstörung, bei der sich verschiedene Identitäten der Person bemächtigen. Christa Schybolls neues Buch „Besessen :Die anderen Bewohner“ ist eine Mischung zwischen Krimi und psychologischem Roman. Feuilletonscout sprach mit der Autorin.

Feuilletonscout: Nach „Jenseits der Dunkelheit“ beschäftigen Sie sich in „Besessen – Die anderen Bewohner“ wieder mit dem Seelenleben eines Menschen. Liegen Ihnen psychologische Themen?
Christa Schyboll: Ja, sehr. Der Mensch, seine Seele und sein Geist sind für mich trotz aller Forschungsergebnisse noch immer geheimnisvolle Dunkelkammern, die voller Kreativität sind und von jedem von uns tiefer und tiefer entdeckt werden können. Die Wissenschaft ist dabei das eine und die eigene private Erfahrungsebene das andere. Deshalb ist es für mich nicht nur literarisch interessant, sondern auch ganz persönlich und zwischenmenschlich. Auch mein erster Roman „Jenseits der Dunkelwelt“ beschäftigt sich mit der Psyche eines Mannes in einer Lebenskrise und stellt dazu tiefgehende Fragen auf einer dramatischen Spurensuche.

Feuilletonscout: Was fasziniert Sie besonders an dem Phänomen der Multiplen Persönlichkeitsstörung?
Christa Schyboll: Beim Begriff der Faszination muss ich im Hinblick auf diese nun schwerwiegende Störung für die Betroffenen vorsichtig sein, um nicht missverstanden zu werden. Denn immerhin steckt hinter der multiplen Persönlichkeitsstörung, die man medizinisch korrekt heute Dissoziative Identitätsstörung nennt, eine zumeist wiederholte traumatische Erfahrung, die mit viel Schmerz und Leid verbunden ist. Dennoch gibt es da etwas, was ich im Hinblick auf die menschliche Psyche und Geist für höchst bemerkenswert halte, nämlich die Tatsache, dass eine solche psychologische Abspaltung in innere Identitäten zugleich ja ein Schutzfaktor für den Betroffenen ist. So schlimm all diese Dinge sind, so atemberaubend ist letztlich aber dieser innere, unbewusste Vorgang, der da von der Psyche ohne bewusstes Zutun vollzogen wird. Es ist allerdings zu komplex, um es an dieser Stelle näher zu erläutern. Es braucht viel medizinisches Hintergrundwissen, zu dem ich bei Interesse am Thema auf medizinische Fachliteratur verweisen möchte. Dieser Vorgang der psychologischen Abspaltung selbst zeigt uns doch, dass Seele und Geist des Menschen höchst schöpferische Aufgaben nicht nur in den Bereichen von Kunst, Kultur oder Wissenschaft zu vollziehen vermögen, sondern auch wenn es zum Beispiel um das eigene seelische Überleben geht. Es schenkt uns quasi die Alternative, die Flucht im Kopf anzutreten, wenn eine äußere Flucht für ein zumeist ja kleines Kind während einer Gewalterfahrung nicht möglich ist. So rettet sich das Kind als Hauptpersönlichkeit durch Abspaltung weiterer Co-Persönlichkeiten.

Feuilletonscout: In den frühen Erlebnisberichten Multipler Persönlichkeiten wie in „Sybil“ und „Ich bin Viele“ schreiben Betroffene, die als Kinder sexuell missbraucht wurden. Sie haben einen anderen Weg gewählt, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Zum einen schreiben Sie eine fiktionale Geschichte, zum anderen musste Ihr Protagonist als Kind den Mord an den Eltern mit ansehen. Warum haben Sie sich für diese Geschichte entschieden?
Christa Schyboll: Ich kann als Nichtbetroffene ja keinen Betroffenenbericht schreiben. Aber durchaus einen Roman, der das Thema einmal auf andere Art angeht und DIS nicht nur einmal am Rande ein wenig erwähnt, sondern tiefgreifend als Hauptthema behandelt. Der Grund, warum ich mich für diese Geschichte entschieden habe, ergab sich während meiner Buch-Recherche. Denn ich erfuhr unter anderem, wie gefährlich Trigger für Betroffene sein können. Trigger sind Auslöser, die als Auslöser selbst harmlos sein können. Zum Beispiel ein Bratkartoffelgeruch, eine Filmsequenz oder eine Buchszene. Aber was sie auslösen, kann schmerzhaft, belastend und gefährlich sein. Zum Beispiel Panikattacken, Depressionen, Angstschübe und vieles andere mehr. Und da nun der größte Anteil der dissoziativen Identitätsstörungen auf sexuellem Missbrauch in der Frühkindheit beruht, wollte ich nicht durch die Schilderung sexueller Übergriffe einen Anlass für einen Trigger bieten. Mein Wunsch war, dass mein Buch auch von Betroffenen möglichst ohne Angst oder Sorge gelesen werden kann. Deshalb der ganz bewusste Verzicht auf sexuelle Gewaltszenen, also auf jenen Auslöser in der Realität, der am häufigsten die Ursache der Traumatisierung darstellt. Zudem sollten Autoren mit ihrer Anbindung an die schier unendlichen Möglichkeiten der Fantasie da auch leicht Alternativen finden. Und ein Elternmord der Mafia mit einer anschließenden Amnesie kommt so extrem selten in der Wirklichkeit vor, dass ich diese Variation als Auslöser für die DIS im Buch wagen konnte. Hier ist dann einer der fiktiven Anteile zum Zuge gekommen, der seine Gründe allein nur in der Prävention hat. Fantasie, Fiktion, Vision und Realität begegnen sich in diesem Buch öfter. Darauf habe ich auch ausdrücklich hingewiesen, weil man das beim Lesen im Blick haben sollte.

Feuilletonscout: Das Krankheitsbild der Multiplen Persönlichkeitsstörung ist nicht unumstritten. In Folge der Erlebnisberichte wurde den Therapeuten vorgeworfen, ihre Patienten manipuliert und ihnen die Krankheit quasi eingeredet zu haben. Der Vorwurf entstand nicht zuletzt dadurch, dass den vermeintlich Betroffenen in Aussicht gestellt wurde, am Gewinn des Buchverkaufs beteiligt zu werden, wenn sie geheilt sind. Was dann auch geschah. Wie gehen Sie mit einer solchen Kritik um?
Christa Schyboll: Ja, Sie haben Recht. Und ja, ich weiß um diese Uneinigkeit und den Streit in der Ärzteschaft bzw. Wissenschaft, was dieses Krankheitsbild angeht. Ich habe viel dazu gelesen. Pro und contra. Als Laie fühle ich mich nicht kompetent, mich zu den unterschiedlichen Lagern von wissenschaftlichen Ansichten zu diesem komplexen Thema zu äußern. Aber letztlich haben mich in Bezug auf mein Buch die Erfolge der Therapeuten überzeugt, die DIS-Betroffenen zu einem wieder guten lebenswerten Leben verhalfen und sie aus der Verstrickung des inneren Dramas herauszuholen vermochten. Das sind lange schwere und oft tränenreiche Wege für die Patienten mit ihrem Therapeuten, die ganz viel Zuversicht, Vertrauen, Geduld, fachärztlich-therapeutisches Können und Einfühlungsvermögen brauchen. Diese Erfolge, die mir auf meiner Buchrecherche begegneten, überzeugten mich als Autorin dann letztlich doch. Wie schwierig es ist, den richtigen Therapeuten zu finden, ist eine andere Frage, wo dann neben vielen weiteren Faktoren eben teils auch Glück eine Rolle spielt.
Durch das Aufgreifen des Themas in der literarischen Belletristik besteht vielleicht ja auch die Chance, dass die uninformierte Öffentlichkeit durch einen Roman ein wenig mehr von den Hintergründen und Zusammenhängen erfährt. Das ist deshalb wichtig, weil die mitmenschliche Zuwendung, das richtige Verhalten der sozialen Umgebung und ein neues Verständnis zu diesen Dingen enorm dabei helfen können, dass dieses traurige Drama der Traumatisierung durch Missbrauch oder auch andere Verbrechen reduziert wird. Wer mehr über die Folgen einer solchen Tat weiß, begeht sie vielleicht nicht mehr. Andere wiederum werden mutiger im Schutz um die Kinder, räumen mit Vorurteilen in sich auf, stigmatisieren niemanden oder steigern die Wachsamkeit für die Gefahren. All das ist wichtig. Und da kann die Belletristik ebenso etwas beisteuern, wie die Filmindustrie oder andere Medien, die aufklären.

Christa Schyboll
Christa Schyboll

Feuilletonscout: Sie haben Ihrem Buch ein Vorwort vorangestellt, um eventuelle Übertragungen zu vermeiden. Kann eine Geschichte, ein Buch eine solche Wirkung haben?
Christa Schyboll: Dieses Vorwort habe ich auf Anraten eines kompetenten Facharztes geschrieben, der selbst tagtäglich mit DIS-Betroffenen zu tun hat. Er ging streng mit mir und meinen Buchinhalten um. Sein Rat war für mich wertvoll, weil ich erlebte, wie fein er alles unterschied und mit wie starkem beruflichem und persönlichem Engagement er selbst bei der Sache war. Er war glaubhaft und überzeugend in seinem Tun. Und ja, eine Geschichte kann im Einzelfall eben deshalb eine solche Wirkung haben, weil die Gefahr eines Trigger-Effektes immer gegeben ist. Aber das betrifft dann nicht nur mein Buch, sondern letztlich alles in unserer Welt. Jeder Film, jedes Medium, jede theoretisch denkbare Situation. Mir ging es darum, dass ich, die ich über das Thema schreibe, eben nicht die Grobheit begehe, ausgerechnet DIS-Betroffenen nun über die Schilderung von sexueller Gewalt da einen ungewollten Trigger zu bieten, gerade weil er in der Realität eine so große Rolle spielt. Wenn etwas in einem Einzelfall bewusst ausgelöst oder erinnert werden soll, beispielsweise im Rahmen von Therapie oder Aufarbeitung, gehört das ausschließlich in kompetente fachärztliche bzw. psychotherapeutische Hände.

Feuilletonscout: In „Besessen –Die anderen Bewohner“ geht es um die Mafia. Wollten Sie auch einen Krimi schreiben?
Christa Schyboll: Ja, einen eher klassischen Thriller. Ursprünglich wollte ich tatsächlich ein ganz anderes Buch schreiben, als es dann letztlich geworden ist. Ursprung der ersten Fassung war ein nächtlicher Albtraum, wie man ihn hin und wieder halt hat. Ich selbst war im Traum ein Verfolgungsopfer der Mafia. Diese brutalen Verbrecher waren körperlich schon nah an mir dran. Sie hatten Benzinkanister dabei und wollten mich bei lebendigem Leibe anzünden. Ich befand mich auf einer dramatischen Flucht ohne Ausweg. Der Atem drohte mir während des Schlafes zu versagen. Das war für mich so traumatisch in dieser Nacht, dass ich schweißgebadet in Todesangst erwachte. Es war wie ein Schock. Ich versuchte mich an den Kontext des Traumes zu erinnern. Aber das gelang mir zunächst nicht. Gleich am Morgen recherchierte ich so einiges über Erinnerungsverlust, den ich selbst, wenngleich nur in dieser harmlosen, alltäglichen Variante, nun mit meinem Traum erlebt hatte. Ich spürte schon bei der Recherche: Da ist noch mehr…. Da tut sich was auf! Und dann „hatte“ ich meinen Roman. Zack! Der Plot entstand noch am gleichen Vormittag. Die multiple Persönlichkeitsstörung kam damals eher nur am Rande vor. Dann aber, als ich sie ein wenig genauer fürs Buch aufarbeiten wollte, wurde ich von diesem Thema plötzlich mehr und mehr angezogen. Das hatte auch mit den Aussagen und Berichten von Betroffenen zu tun, die mich dann während der Recherche tief berührten. Und schon war der Mafia-Thriller als solcher vergessen. Was letztlich davon übrig blieb, war zunächst nur noch die Anfangsszene der Verbrennung der Eltern des sympathischen Romanhelden Silvio, während im Traum ich selbst ja das vorgesehene potenzielle Brandopfer der Mafia war… Und so wurde Silvio mehr und mehr zu meinem Gedankenkind, das sein Trauma erlitt und nun statt der Mafia dann die ursprünglich andere Romanfassung bestimmte. Allerdings liegt in diesem Anfang ein Geheimnis, das sich bis zur letzten Seite hinzieht… Das Buch selbst hat viele Wandlungen durchschritten… und ich war dabei vor allem eine Lernende.

Feuilletonscout: Wie sind Ihre nächsten Pläne?
Christa Schyboll: Ich arbeite an mehreren Büchern zugleich. Da gibt es einen weiteren Roman über das tragische Schicksal zweier Frauen. Auch er ist psychologisch tiefgründig ausgelotet und lässt quasi keine Schattenseite des Seins aus. Er spielt sowohl im Kirchen- und im Rotlichtmilieu, behandelt persönliche Krisen, wie aber auch Moral- und Glaubenskrisen, die in Verzweiflungsattacken gipfeln und transformiert werden müssen, um das Leben noch auszuhalten. Aber mehr möchte ich darüber jetzt noch nicht verraten.

Dann gibt es das „Rheinische Totenbuch“, das ich gerne veröffentlichen möchte und noch einen passenden Verlag für dieses mutige Vorhaben suchen werde. Denn das ist insofern speziell, als es den halsbrecherischen Spagat zwischen Satire und Spiritualität wagt. Das schließt sich normalerweise ja nun auf dem Buchsektor aus, wenn es zugleich dann auch wieder mit Tiefe aufwartet. Allerdings nicht in meiner schriftstellerischen Wirklichkeit, da habe ich für mich einen Weg gefunden.. Ein humorgetränktes Sachbuch, das sich über den Tod hinaus auch mit seinen großen Geistesahnen beschäftigt, wie dem Tibetischen Totenbuch, dem Ägyptischen oder dem der Mayas, um nur drei berühmte „Vorfahren“ zu nennen. Und da die Rheinländer ja immer gern etwas Eigenes haben, dachte ich mir: Es ist überfällig! Es gibt immerhin seit Jahrtausenden kein neues „Totenbuch“ mehr! Endlich einmal ein neues frisches Genre auf dem Büchermarkt, das ebenfalls auch sein eigenes Lokalkolorit haben darf wie das der Tibeter oder Mayas. Und zwar eines, das den Tod mittels des fatalistisch-rheinischem Humors den derzeit Lebenden erklärt und „Freund Hein“ nicht ständig nur tot-ernst präsentiert. Der Angst vor dem Tod sollen die Zähne gezogen werden… Ob sich da ein Verlag herantraut, ist noch nicht ausgemacht. Es ist halt sehr speziell… aber auch zum (tot)-Lachen. Ganz ernsthaft!

Weitere andere Projekte sind auch schon begonnen. Ich schreibe jeweils an dem Buch weiter, was mich innerlich ganz ergreift. Ohne Herzblut geht einfach nichts… Und mein Herzblut pulsiert heftig, wenn‘s ums Schreiben geht.

Vielen Dank für das Gespräch, Christa Schyboll!

Christa Schyboll liest aus ihrem Buch am Donnerstag, dem 25. Juni 2015, 20.00 Uhr in Hauffes Buchsalon, Remagen, Marktstraße 34.

Christa Schyboll
Besessen: Die anderen Bewohner
SWB Media Publishing, Stuttgart 2015
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