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Zwei Holzböcke auf dem Weg in die Weltliteratur

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Von Palestrina nach Pacific Palisades: Der Briefwechsel der Brüder Heinrich und Thomas Mann erscheint in einer aufgeforsteten Edition und eröffnet interessante Einblicke ins Zwanzigste Jahrhundert aus der Sicht zweier Schriftsteller. Spannend wird es, wenn man das Epos unter den heutigen Bedingungen in Literatur und Gesellschaft liest. Von Stephan Reimertz.

»Des litterarischen Erfolges bin ich sicher«, schreibt der junge Autor über das Manuskript seines eben vollendeten Familienromans, »der buchhändlerische wird wohl gleich Null sein und der pekuniäre für mich ebenfalls, obgleich Mama mir neulich strenge Weisung gegeben hat, 1000 Mark zu verlangen.« Hundertzwanzig Jahre später gibt es kaum jemanden, der den Roman nicht kennt; dem Autor wurde manche Gratifikation zuteil, welche über die geforderten tausend Mark hinausgehen, etwa der Nobelpreis für Literatur. Und das Kgl. Bayrische Garnisonslazarett, aus dem der Absender diesen Brief an seinen Bruder schrieb, steht auch noch.

Gegensätzlich begabt

Der Beginn des Briefwechsels zwischen Thomas Mann und seinem ältere Bruder Heinrich dreht sich um des ersteren Plattfüße, was literarische Skeptiker nicht zu metaphorischen Spekulationen veranlassen sollte. Damals wie heute setzte der Plattfuß wehrdienstleistende Männern auf freien Fuß. Und so konnte bald schon Thomas Mann einen ganz anderen Weg marschieren als den Weg zum Friedhof; nämlich den zum Weltruhm. Unterdessen verortete er die Begabung des Älteren »in dem Satyrischen und Sozial-Kritischen«. Nicht ganz falsch, wenn man bedenkt, wie diese Anlage Heinrich Manns in Romane wie dem Untertan seine sowohl literarisch als auch gesellschaftspolitisch wirkungsvollste Entfaltung finden würde. Jahre später freilich sollte Heinrich Mann sich noch zu ganz anderen Höhen aufschwingen; zu königlichen in der Tat.

Ein außergewöhnlicher Dialog

Die Arbeit der beiden Schriftsteller begann in Lübeck im selben Zimmer. Das Zwiegespräch, dessen wir hier Ohr werden dürfen, hat seit der ersten Herausgabe des Konvolutes im Jahre 1968 durch den Zürcher Professor Hans Wysling an Lautstärke noch gewonnen. Aus jener bürgerkriegsartigen Zeit trägt auch diese Ausgabe noch Spuren; so heißt es in einer Anmerkung, Pfarrer Niemöller habe sich gegen Angriffe des »faschistischen« Staates zur Wehr gesetzt, und der Herzog und die Herzogin von Windsor sympathisieren mit dem »Faschismus«, so als spielte das Ganze in Italien. Auch frönt die Ausgabe im Zeitalter von Wikipedia immer noch die Manie, im Anhang das lexikalisch Bekannte über Berühmtheiten noch einmal herunterzubeten, wie man es in übersteigerter Form auch in der Tagebuchausgabe zu Thomas Mann fand. Inzwischen sind nicht wenige Hör- und Fernsehspiele auf die Nation niedergegangen, auch in ihren Bildungsfernen, wobei die Schriftstellerfamilie selbst zum Thema und von bekannten Schauspielern gemimt wurde. Wenn diese, nun dritte, Neuausgabe, besorgt von Katrin Bedenig und Hans Wißkirchen, ergänzt mit über hundert neu aufgefundenen Dokumenten daherkommt, darunter über achtzig Postkarten, wird auch derjenige, welcher eine der früheren Ausgaben besitzt, zugreifen. Neue Asservate sind mit einem * gekennzeichnet; dieses freilich bleibt das einzige, wie denn auch der Verlag den beiden Schriftstellern ihre bewährte Rechtschreibung gelassen hat, eine Ehre, wie sie dem Sohn und Neffen Golo nicht zuteil wurde, als 2009 der Band Man muss über sich selbst schreiben erschien.

Cover: S. Fischer Verlag

Kommentare im Achtundsechziger-Stil

Die Herausgabe von Golo Manns Tagebuch oder seiner Biographie von Berthold Beitz steht laut Verlag derzeit nicht an. Die Briefe indes fächern einen neuen Mann’schen Familienroman auf, und Hans Mayer hatte nicht ganz Unrecht, als er angesichts der Erstausgabe bemerkte: »Dieser Briefwechsel wirkt bisweilen romanhafter als vieles aus dem Roman-Schaffen der Brüder«. Alte und neue Herausgeber stückten zudem interessante Erläuterungen, Textbeispiele und Hintergrundinformationen an. Eine abwechslungsreiche Sozialgeschichte der Literatur wie auch Gesellschaftsgeschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entfaltet sich vor den Augen des Lesers. Die Einleitung von Hans Wißkirchen, welcher Museumsdirektor und Germanistikprofessor ist und auch so schreibt, ist als Roman eines Romans alles andere als kurz geraten; die Ouvertüre als Opernersatz.

Ehemals und jetzt

In der im April 1912 in der bescheidenen Wohnung in der Mauerkircherstraße in München-Bogenhausen geschriebenen Novelle Der Tod in Venedig bietet Thomas Mann eine Lesart seines Erfolges: »Damit ein bedeutendes Geistesprodukt auf der Stelle eine breite und tiefe Wirkung zu üben vermöge, muß eine geheime Verwandtschaft, ja Übereinstimmung zwischen dem persönlichen Schicksal seines Urhebers und dem allgemeinen des mitlebenden Geschlechtes bestehen.« Unmittelbar nach seinem ersten großen Erfolg mit Buddenbrooks hatte der Autor seinem Bruder geschrieben: »Ich habe im Grunde ein gewisses fürstliches Talent zum Repräsentieren, wenn ich einigermaßen frisch bin«. Der klassische Schriftstellertypus sollte in Deutschland freilich im Laufes des zwanzigsten Jahrhunderts gegenüber dem proletarisierten ins Hintertreffen geraten. »Im 20. Jahrhundert beobachten wir eine sozialpsychologische Front zwischen zwei bürgerlichen Ich-Stilen, einem älteren und einem neueren Typus, die aufeinander stark allergisch reagieren«, bemerkt Peter Sloterdijk. »Die Typenschwelle verläuft wohl durch die erste Weltkriegszeit und die anschließende Modernisierungsphase. In der gegenseitigen Abneigung etwa Thomas Manns und Bertolt Brechts wird diese Front konkret sichtbar.« (Kritik der zynischen Vernunft, 1983)

Günstige Anfänge

Heinrich und Thomas Mann hingegen begannen ihre Karriere im wilhelminischen Deutschland inmitten einer im Vergleich zu heute intakten bürgerlichen Gesellschaft. Wie Heinrich Mann schreibt, »bestand damals noch eine deutsche Gesellschaft, die geistiger Bemühung würdig war.« Die pekuniären Bedingungen für Thomas Mann hingegen waren schon am Anfang traumhaft. Er erhielt für Buddenbrooks 20% vom Ladenbruttopreis. Und er hatte es mit Leserschaft aus einem ganz selbstverständlichen Bildungsbürgertum zu tun.

Wider den Totalitarismus

Die aus der Fülle der bürgerlichen Gesellschaft der Jahrhundertwende geschriebenen Briefe am Anfang des Bandes können uns heute nur neidisch machen, die wir den Tod der Gesellschaft und der Literatur mitansehen müssen. Im Hinblick auf die nationalsozialistische »Revolution« bemerkt Heinrich Mann: »Es ist so gekommen, dass wir die Aristokraten sind«. Wir erfahren hier, wie »der arme S. Fischer« sich 1933 zu einer Widmung an Hermann Göring gedrängt sah. Wie weit darf Opportunismus gehen? Wir erfahren, wie die deutsche Reichsregierung von den Autoren das Gelöbnis forderte, »jederzeit für das deutsche Schrifttum im Sinne der nationalen Regierung einzutreten«. Thomas Manns Reaktion: »Ich lasse mich nicht gleichschalten und nicht in diese Kaserne sperren. Es muß deutsche Schriftsteller außerhalb des totalen Staates geben.« (28. Dezember 1933) So divers Heinrich und Thomas Mann in Temperament und politischer Entwicklung auch waren, so weit der Erste Weltkrieg die Brüder und Kollegen auch entzweite; angesichts der Totalitarismus und der Barbarei der Nazis standen sie seit Mitte der Zwanziger Jahre zusammen; so ändert sich der Tonfall der Briefe jeweils 1914 und 1933 dramatisch. Manches klingt auch wie eine Vorwegnahme der NATO-Abenteuer unserer Zeit: »Diese auswärtigen Grossthaten werden von den armen Deutschen hoch bezahlt werden müssen, im Innern.« (Heinrich Mann, Oktober 1933)

Wilhelminismus als Idylle

Das Gefühl, welches den Leser bei der Lektüre dieses fünfhundert Seiten starken Briefwechsels oft beschleicht, lautet: So genau wollte man’s dann auch wieder nicht wissen! Man merkt nicht zuletzt, wie es mit der gymnasialen und akademischen Bildung der beiden Formulierungskünstler nicht weit her war; die Lektüre der Alten spielt bei den beiden prominentesten Schülern des Lübecker Katharineums keine Rolle.

Psychogramme der Deutschen

Den dramaturgischen Höhepunkt des Briefwechsels stellt der Mai 1949 dar, als Thomas Mann seinen Bruder vom Tode des Sohnes Klaus unterrichtet und zugleich das Gerücht von der Herzlosigkeit des Vaters Lügen straft. Indes ist der Gedankenaustausch der beiden »Holzböcke« (so Franz Blei über die Mann-Brüder in seinem Literarischen Bestiarium) durch starke Antinomien und Vereinfachungen gekennzeichnet und enthält überraschend wenig Geistesblitze wie die Bemerkung des Jüngeren vom 17. Februar 1923: »Deutschland war windelweich 1918, aber die Anderen, die sich doch besser dünkten, haben wenig erzieherische Talente an den Tag gelegt.« Und schließlich Mitte April 1933 über den Nationalsozialismus: »Es war etwas so Hundsföttisches in der Weltgeschichte noch nicht da.« In Krisensituationen steigert sich auch die intellektuelle Qualität des Gedankenaustausches. Ende 1933 bekennt Heinrich Mann, nie mehr nach Deutschland zurückzuwollen: »Denn den Menschen würde ich nicht mehr glauben, dass es wirklich vorbei ist.« Heinrich Mann, der 1890 bis 1892 Volontär bei S. Fischer in Berlin war, erwies sich als soziologisch genauer Analytiker und Interpret der deutschen Gesellschaft weit über seine eigene Zeit hinaus, warum seine Bücher auch bis heute verbreitet sind. So beobachtete er 1906 in einem Café Unter Den Linden ein bürgerliches Publikum: »Ich fand sie laut ohne Würde, ihre herausfordernden Manieren verrieten mir ihre geheime Feigheit.«

Heinrich Mann / Thomas Mann
Briefwechsel
Herausgegeben von Katrin Bedenig,  Hans Wißkirchen
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2021
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