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Waldgang im Haus der Kunst in München

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Waldgang im Haus der Kunst in MünchenDie russische Künstlerin Polina Kanis schickt einen verletzten Jüngling in den Wald. Der Kolumbianer Oscar Murilla folgt der Blutspur von Joseph Beuys. Und das Haus der Kunst zeigt wieder einmal seine Wunde. Von Stephan Reimertz

Das Haus der Kunst in München, erbaut 1933 bis 1937 nach Plänen des Architekten Paul Ludwig Troost, gehört zu den prägnantesten Beispielen des modernen Neoklassizismus. Die Großzügigkeit und stilistische Stringenz dieses Gebäude machen es zu einem der begehrtesten Museen der Welt. Leider wirkt das Haus in diesen Tagen wie ein Palast, mit dem die Enkel und Urenkel, die es geerbt haben, nicht viel anzufangen wissen und es, weil sie die großelterlichen Erblasser nicht mögen, verrotten lassen.

Was könnte man nicht alles daraus machen! denkt der Besucher in diesen sonnigen Wintertagen in München. Ein paar kleine Ausstellungen, die sich derzeit hier finden, wirken in den weiten Hallen verloren. Wer über die gelben Marmor-Klippen des verrottenden Hauses seinen Waldgang ins Dickicht der Bedeutungen und Metaphern antritt, kommt zunächst an der wenig kunstvollen Installation Centrifuge der amerikanischen Künstlerin Sarah Sze vorbei, die einsam in der Haupthalle steht. Die Bastelei sprüht Geist wie eine Kleinmädchenphantasie von Weihnachten und könnte, was ihre künstlerische und technische Durcharbeitung angeht, aus dem Kunst-Leistungskurs eines Münchner Gymnasiums stammen.

Schüler begegnen moderner Kunst

Ganz pädagogisch geht es auch in der lediglich einen Raum füllenden Ausstellung des kolumbianischen Künstlers Oscar Murillo zu. Nicht ohne Geschick ist der ihm gewidmete Raum in der Atmosphäre eines Ateliers gehalten, die Versammlung der Bilder und Installationen wirkt als Work in Progress. Der zweiunddreißigjährige Lateinamerikaner mag seine Schraffurbilder und Malbücher, Stoff- und Bahreninstallationen sowie Fettklumpen als den letzten Schrei empfinden. Älteren Kunstfreunden oder solchen, die schon einmal einen Fuß ins Lenbachhaus oder die Pinakothek der Moderne gesetzt haben, werden seine Bemühungen als kaum origineller Nachhall auf die Generation von Joseph Beuys erscheinen.

Oscar Murillo wäre jedoch ein geeigneter Bühnenausstatter für die Bayreuther Festspiele. Zum Glück erläutert auf der Website des Hauses der Kunst ein artifizieller Text die hochprätentiösen Absichten des Künstlers. Das ist ein Grundprinzip heutiger Kunstpräsentation: Man bekommt etwas Banales vorgesetzt und eine delatorische Beschreibung dazu.

Zeige deine Wunde!

Das Bedenkenswerteste im Murillo-Raum sind Schülerarbeiten aus einem Münchner Gymnasium. Es ist spannend zu sehen, wie die jungen Leute in der Begegnung mit Murillo zu Skizzen und Blättern angeregt werden, die ihren meist von Klischees bestimmten inneren Vorstellungswelten entstammen. Die Zusammenarbeit mit diesem Künstler hat den Jugendlichen ohne Zweifel Spaß gemacht, sollte sie jedoch nicht von der Mühe althergebrachten künstlerischen Unterrichts entbinden.

Nebenan blendet die 1985 geborene Petersburgerin Polina Kanis in ihrer Dreikanal-Videoinstallation The Procedure (2017) drei Sichten derselben Wirklichkeit synchron ineinander. Ein beleidigter Jüngling, der durch den Wald geht – es bleibt offen, ob es sich um einen deutschen Zivilisationsflüchtling oder einen russischen Gottesnarren handelt – zeigt immer wieder seine Wunden und Narben am Bauch vor und huldigt damit der derzeit im Lenbachhaus stattfindenden Beuys-Ausstellung ebenso wie er bei den Münchnern schon einmal die Vorfreude auf die für den Sommer angesetzten Parsifal-Aufführung mit Kirill Petrenko weckt.

 

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By M(e)ister Eiskalt panorama: Pölkkyposkisolisti derivative works: Hic et nunc, H-stt [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Vergangenheit, die nie vergeht

Es gibt Ausstellungen, die sich mit Ausstellungen befassen. Keine Ausstellung wurde im Nachhinein so viel ausgestellt wie die Nazi-Schmähausstellung »Entartete Kunst« von 1937. In diesem Zusammenhang kam jeweils auch die auf sie bezogene »Große Deutsche Kunstausstellung« wieder zu Ehren. Nun war weder in der »Entarteten Kunst« in den Münchner Hofarkaden alles ein Meisterwerk, noch war vis à vis in der »Großen Deutschen Kunstausstellung« im damals so genannten Haus der Deutschen Kunst alles schlecht. Die Dinge sind halt nicht so einfach, wie kunstfremde Ideologen sich es damals vorgestellt haben und wie sie es sich heute vorstellen. Das zeigt sich schon daran, dass sechs Künstler während der Vorbereitungen auf die beiden so konträren Ausstellungen für alle beide vorgesehen waren!

Heute würden die vom verbreiteten deutschen Nationalmasochismus befallenen Kunstbanausen am liebsten alles so lassen wie es war – nur die Etiketten umtauschen. Arno Breker, Josef Thorak und Adolf Ziegler sind für diese Leute die »Entartete Kunst« von heute. Dass dies auch in unserer Epoche kein Spiel ist und solche Ideologen Ernst machen, sobald ihre Stunde kommt, zeigte sich wieder in den frühen neunziger Jahren, als man nach der Liquidierung der DDR auch ihre Kunst beseitigen wollte. So wurde etwa unter politischem Druck eine Retrospektive des Werkes von Willi Sitte abgesagt, einem der bedeutendsten Maler des Zwanzigsten Jahrhunderts; ganz wie 1933 bei Max Beckmann und anderen.

Dokumentation ohne Zielsetzung

Die kleine Dokumentationsausstellung Sommer 1937 in München, derzeit im Haus der Kunst zu sehen, ist in diesem Zusammenhang nicht sehr hilfreich, denn sie bezieht in der wissenschaftlich umkämpften und bis in kleinste Details ausgeloteten Forschung über das Thema keinerlei Stellung und trägt nichts bei. Die Schau bewegt sich auf der eher schädlichen Ebene einer Art allgemeinen Kuriosität. Man sieht ein paar der Fotos, Filme und Dokumente über die Kunstpropaganda der Nazis, die man schon hundert Mal gesehen hat.

Die Kunstgeschichte ist kein Kasperltheater 

Die Kunst-Exorzisten, die meinen, bedeutende neoklassizistische Künstler wie Breker, Thorak oder Ziegler gar nicht als Kunst, sondern allein als Propaganda präsentieren und nur mit spitzen Fingern ausstellen zu sollen, betreiben in Wirklichkeit das Werk der Nazis. Denn sie wenden nicht nur das von diesen entwickelte Prinzip der Schmäh-Ausstellung an, sie reißen das Kunstwerk auch aus dem ästhetischen Zusammenhang, um es in einen gesinnungsästhetischen zu stellen.

Es ist die Schuld der Leute, die denken – und falsch denken – bevor sie überhaupt schauen, dass zwei Generationen von Künstlern aus der deutschen Kunstgeschichte entsorgt wurden: Die Generation der großen Neoklassizisten – die es auch in Italien, Frankreich, Russland, den USA usw. gibt, und die dort hochgeehrt ist – und die Generation der Schüler der Künstler der Klassischen Moderne. Bei diesen Künstlern, die von vielen Leuten nach 1945 mit sogenannter Nazi-Kunst verwechselt wurden, weil sie in der Tradition der Gegenständlichkeit blieben und sich nicht der Gegenstandslosigkeit in die Arme warfen, hat man von einer Verschollenen Generation gesprochen. Es betrifft oft jüdische oder politisch verfolgte Emigranten.

Wie soll es weitergehen?

Solche logischen Sprünge sind auch ein Grund dafür, dass man in Nürnberg das Reichparteitagsgelände und in München das Haus der Kunst langsam verrotten lässt. Stellen Sie sich vor, jemand ginge durch Rom und sagte: Hier wohnte ein guter Caesar, den Tempel lassen wir stehen! Dort aber wohnte ein böser, den Tempel reißen wir ein! In solcher Kasperltheaterlogik werden heute in Deutschland Kunstgeschichte und Stadtplanung betrieben.

Das Haus der Kunst von Paul Ludwig Troost als ein bedeutendes architektonischen Werk des europäischen Neoklassizismus sollte stilecht restauriert und zu einem zentralen europäischen Museum ausgebaut werden, das in einem Atemzug mit dem Museum of Modern Art, Tate Modern und dem Centre Georges Pompidou genannt wird. Und die bedeutenden Künstler der dreißiger und vierziger Jahre – ob sie nun dem Neoklassizismus oder der Verschollenen Generation angehören – müssen endlich den Platz in der Kunstgeschichte erhalten, der ihnen zusteht.

 

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