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Vortrefflicher Gesellschaftsroman

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LiteraturBarbara Pyms „Vortreffliche Frauen“ in der Neuübersetzung ist eine liebevolle Wiederentdeckung des „good old England“. Rezension von Barbara Hoppe.


Wer kennt nicht die skurrilen Dorfgemeinschaften in den „Inspector Barnaby“ – Krimis oder den „Father Brown“ – Geschichten, die die BBC gerade so zeitgemäß altmodisch mit Mark Williams verfilmt hat? Mindestens genauso unterhaltsam wie der innewohnende Kriminalfall sind die Personen, ihre Beziehung zueinander, der Dorftratsch, die fast lächerlich anmutenden, so harmlosen Engagements der Protagonisten in der Gemeinde, dem Segelclub oder einer ähnlich betulichen Institution.

Ganz ohne Mord und Totschlag kommt Barbara Pym aus, was umso erfrischender ist, da sie sich voll und ganz auf die so genannten vortrefflichen Frauen konzentrieren kann. Alleinstehende Damen, die oft als ältlich betitelt werden, obwohl sie manches Mal gerade erst Anfang dreißig sind. Unverheiratet, alleine lebend oder zusammen mit einer Freundin, sind sie auf dem besten Weg, eine alte Jungfer zu werden. Ihren Lebensunterhalt lässt Barbara Pym sie Ende der vierziger Jahre in London als Lehrerin oder mit einer Tätigkeit in der Gemeinde verdienen. Und sind dabei aus heutiger Sicht viel emanzipiertet als die schillernden Frauen gleichen Alters, die die Londoner Gesellschaft unsicher machen, aber trotz ihres Studiums eigentlich nur eines im Sinn haben: Einen heiratswürdigen Mann zu finden oder diesen zu halten.

Stilsicher und amüsant

Barbara Pym (1913-1980), kennt nicht nur das englische Kleinstadtleben Englands (wo sie geboren wurde und starb), sondern auch die Collegegesellschaft in Oxford, wo sie Literatur studierte und das African Institute in London, wo sie als Assistant Editor arbeitete. Und genau zwischen diesen geistigen Polen siedelt sie auch ihren bekanntesten Roman „Vortreffliche Frauen“ an.

Eine von ihnen ist Mildred Lathbury. Durch eine Erbschaft finanziell einigermaßen unabhängig, lebt sie bescheiden in einem eher mittelmäßigen Stadtviertel in London. Sie ist mit dem Pfarrer Julian Malory und seiner ihm den Haushalt führenden Schwester Winifred befreundet. Um sich zu beschäftigen, kümmert sie sich halbtags um verarmte Damen. Bis zu dem Tag, an dem in die Wohnung unter ihr das Ehepaar Helena und Rockingham Napier einzieht. Charmant, aber auch streitlustig und dem Alkohol nicht abgeneigt, erobert vor allem der liebenswürdige Rocky das Herz der braven Single-Frau, während Helena ihrem Namen nicht gerecht wird. Und eh sich Mildred versieht, steckt sie mitten drin in Ehezwistigkeiten und amourösen Verwicklungen, denn auch der sich bisher als äußerst heiratsresistente Pfarrer hat sich verliebt. Mildreds Einsatz ist gefragt, jeder bittet sie um Hilfe, was die unscheinbare und durchschnittliche Frau nicht nur in die Prähistorische Gesellschaft Londons führt, sondern auch auf die Klatsch-Hitliste der vortrefflichen Gemeindedamen, deren Hauptsorge das nächste Wohltätigkeitsfest und das Wohlergehen des Pfarrers ist.

Barbara Pym zeichnet ihre Figuren in all ihren Eigenheiten nicht nur ungemein humorvoll und liebevoll, sondern fängt die betulich-entspannte Londoner Nachkriegsstimmung in dem kleinen Mildred-Universum treffsicher ein. Ohne Mann gelingt es den Frauen, anständig ihr Leben zu meistern und sich vorsichtig modernen Lebensformen – heißt als Single und berufstätig durchs Leben zu gehen –  zu öffnen. Freilich immer auch mit dem vorsichtigen Traum von der großen Liebe im Hinterkopf und im Gegensatz zu den wirklich ältlichen Damen, die noch ganz den alten „Das gehört sich nicht“-Ansichten nachhängen. Und so emanzipiert sich auch Mildred dank ihrer neuen Nachbarn unmerklich, bis sie feststellt, dass auch ihr ein durchaus erfülltes Leben beschieden ist, an dem – wie sich herausstellt – sogar der eine oder andere Mann Interesse hat.

Barbara Pym                           
Vortreffliche Frauen
aus dem Englischen von Sabine Roth
DuMont Buchverlag, Köln 2019
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Coverabbildung © DuMont Buchverlag

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