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Unterwegs… mit Freunden in Georgien: Auf den Spuren von Nino Haratischwili durch Sololaki

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Foto (c) Birgit Koß

Seit mehr als einem Viertel Jahrhundert bin ich mit dem georgischen Maler Georgi und seiner deutschen Frau Rita befreundet. Immer wieder sprachen wir davon, sein Heimatland gemeinsam zu bereisen. Ich lese seit langem georgische Romane, genoss 2018 die Frankfurter Buchmesse, bei der Georgien Gastland war. Nun endlich in diesem Sommer passte es ganz spontan, dass wir gemeinsam durch Georgien reisten.

Von Birgit Koß.

Tbilissi

Natürlich heißt eine wichtige Station Tbilissi, die quirlige Hauptstadt mit ca. 1,5 Millionen Einwohnern. Wir wohnen bei Georgis Studienfreundin Nato, die eine schöne Altbauwohnung im Altstadtviertel Sololaki hat, dicht unter dem botanischen Garten, den man mit einer modernen Gondelbahn erreichen kann, und von dessen Rand Kartlis Deda – die Mutter Georgiens über der Stadt wacht. In diesem Viertel, das überwiegend im 19. Jahrhundert angelegt wurde, stehen reizvolle Jugendstilvillen und klassizistischen Prachtbauten, deren Ausmaß und Schönheit man oft nur erahnen kann. Viele sind stark baufällig und werden dennoch bewohnt, häufig abgestützt mit dicken Stahlträgern.

Foto (c) Birgit Koß
Foto (c) Birgit Koß

Glücklicherweise wird die Altstadt seit einigen Jahren mit internationalen Geldern zum Teil von der UNESCO renoviert. Das Viertel ist besonders beliebt bei jungen Reisenden, Bars und Restaurant säumen die engen Straßen. Ein Blick aus dem Fenstern meines Schlafzimmers in den Hof wirft mich mitten hinein in den neuesten Roman von Nino Haratischwili „Das mangelnden Licht“. Ich blicke in einen typischen Tbilisser Hof. 

„Das mangelnde Licht“

In so einem spielt ab Ende der 80er Jahre das Leben ihrer vier Protagonistinnen Dina, Ira, Nene und Keto. – Die Geschichte beginnt abenteuerlich im Botanischen Garten 1987. Die vier Freundinnen durchleben gemeinsam den Zusammenbruch der Sowjetunion, den mit der Unabhängigkeit beginnenden Bürgerkrieg, der in Tbilissi mehrere Todesopfer forderte, die Zeit der Straßenbanden und Drogenkartelle und dazu die Irrungen und Wirrungen ihrer Pubertät. Vieles kam mir beim Lesen des Romans im Frühjahr noch sehr phantasievoll und ein wenig phantastisch vor, nun wird alles ganz plastisch und lebendig, trotz der großen Veränderungen die sich in den letzten Jahren vollzogen haben und selbst Georgi immer wieder zum Staunen bringen. Stillstand und Veränderungen liegen in Georgien dicht beieinander.

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Foto (c) Birgit Koß

Wir besuchen eine alte Deutschlehrerin in ihrer kleinen dunklen Wohnung. Sie unterrichtet in ihrem hohen Alter noch, sonst hätte sie kein Geld zum Überleben. Diese feine alte Dame, die von der deutschen Kultur schwärmt, von Jena, Dresden und Beethoven – Nitzsche liegt aufgeschlagen auf dem Tisch -, entspricht genau dem Bild von Ketos Großmutter. In dieser Stube scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Doch überall wo Geld, zum Beispiel durch den Tourismus lockt, vollzieht sich der Wandel rasant. Rita will mir ein schönes Restaurant im Bäderviertel Abanotuani zeigen – leider laden uns die Thermalquellen in den schönen alten Badehäusern bei 36° Außentemperatur  nicht zum Besuch ein. Von der Terrasse aus hat man einen wunderbaren Blick über die runden Kuppeln und auf die an den Felsen hängenden Häuser. Vor drei Jahren speiste Rita hier mit Freunden. Diesmal bleibt es für uns nach einem Blick auf die Speisekarte nur bei einem kühlen Getränk – die Preise sind astronomisch gestiegen…. Dabei liegt der Durchschnittsverdienst in Georgien bei etwa 400€. Aber was heißt schon Durchschnitt: etwa 10% sind reich, die anderen müssen schauen wo sie bleiben.

Savoir vivre auf Georgisch

Foto (c) Birgit Koß

Im Klappentext zu „Das mangelnde Licht“ heißt es „Nino Haratischwili erzählt in reicher, emotionaler Sprache von einem verlorenen Land und einer verlorenen Generation, einer Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst…“ Dreißig Jahre später hat es ein kleiner Teil dieser „verlorenen Generation“ geschafft, besitzt Immobilien, fährt große, moderne Autos. Einige sind untergegangen, aber zumindest bei unserer Reise kaum sichtbar. Der Rest gehört zu den Lebenskünstlern, die fast alle auf die Regierung schimpfen, auf den Stillstand oder sogar Rückschritt und den mangelnden Verdienst. Aber sobald mehr als zwei Menschen zusammen sind, wird fröhlich gemeinsam gegessen und getrunken – Gaumardshos!

Nino Haratischwili
Das mangelnde Licht
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2022
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