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Tiflis-Berlin: Ein Chordialog. Konzerte und eine Uraufführung

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Tiflis-Berlin: Ein Chordialog.Sie singen A-capella, ihr Repertoire umfasst geistliche wie weltliche Musik und dabei schlagen sie den Bogen von der Renaissance bis zu zeitgenössischen Kompositionen: die 25 Sängerinnen und Sänger von cantamus berlin. Nun wartet eine neue Herausforderung auf das engagierte Ensemble unter der Leitung von Ohad Stolarz. Im deutsch-georgischen Kulturjahr hat der Chor zwei Kompositionsaufträge an georgische Komponisten vergeben. Ende Januar ist in Berlin die Uraufführung. Zu Gast ebenfalls: der georgische Partnerchor aus Tiflis.  

Feuilletonscout: Im deutsch-georgischen Jahr 2017/18 reist ihr im Mai nach Tiflis. Bereits jetzt, im Januar, kommt euer georgischer Partnerchor Tbilisi Choir of Baroque nach Berlin. Wie kam es einst zu der Partnerschaft?
Martin Schmidt: Auf einem Probenwochenende überlegten wir, dass wir gerne wieder einen musikalischen Austausch hätten. Wir hatten bereits erfolgreiche Kooperationen mit dem Universitätschor Helsinki und dem Kammerchor Polifonia aus Nantes. Ausschlaggebend war dann einige Tage später ein Hinweis auf das Deutsch-Georgische Kulturjahr, das 2017 begann und auch in diesem Jahr noch mit vielen Veranstaltungen aufwartet. Wir erfuhren, dass das Auswärtige Amt Mittel für Projekte bereitstellt, die sich in völkerverbindender Weise für kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Austausch mit den sogenannten Ländern der östlichen Partnerschaft, zu denen Georgien gehört, einsetzen. Als Chor war es für uns klar, eine Zusammenarbeit auf musikalischer Ebene zu initiieren.
Wir reichten beim Auswärtigen Amt einen Antrag ein unter dem Titel „Polyphone A cappella Traditionen zwischen Tiflis und Berlin“, dem erfreulicherweise stattgegeben wurde.
Mit Hilfe von Nana Namoradze, die am Georgischen Nationalen Musikzentrum u.a. für die Ausrichtung des Tbilisi International Choral Music Festival zuständig ist, haben wir uns verschiedene Chöre angehört. Dabei kam es uns darauf an, einen gemischten Chor zu finden, was in Georgien nicht so einfach ist wie bei uns. Denn lange Zeit waren es vor allem die Männer, die öffentlich ihre Stimmen in Chören erhoben. Inzwischen gibt es auch Frauenensembles wie die mittlerweile sehr bekannten Tutarchela, aber eben nach wie vor wenige Chöre, in denen Frauen und Männer gemeinsam singen. Der Tbilisi Choir of Baroque war und ist da eine gute Wahl, er passt von der Größe und der Vielfalt seiner Programme gut zu cantamus berlin und er ist gemischt, wie wir auch. Bei unserer Entscheidung war uns wichtig, dass unsere Partner die georgische Gesangstradition in sich tragen, aber auch vertraut mit der westlichen A cappella Musik sind.

Feuilletonscout: Am 27. und 28. Januar gebt ihr gemeinsam ein Konzert, in dem eure Gäste Werke von Chkuaseli, Bolkvadze, Kechakmadze, Gasparini, Victoria, Purcell und Repilado singen –Namen, die nicht unbedingt jedem geläufig sind. Was erwartet die Zuhörer?
Martin Schmidt: Es ist eine Mischung aus geistlicher, älterer Musik und Stücken, die aus unserer unmittelbaren Gegenwart kommen. Das betrifft vor allem die georgischen Komponisten, die alle sehr bekannt sind in Georgien. Zviad Bolkvadze zum Beispiel, um nur einen herauszugreifen, ist ein unglaublich vielseitiger Komponist, der nicht nur A cappella Stücke schreibt, sondern auch Filmmusik und der als Dirigent, Sänger und Performer gleichermaßen aktiv ist. Seine Musik ist sehr dynamisch, und er liebt es, auch mal die gewöhnliche Tonskala zu verlassen, indem er Geräusche in seine Kompositionen einbezieht. Die Offenheit gegenüber allem, was „Ton“ eben auch sein kann, macht seine Werke aufregend. Seine Experimentierfreude setzt da einen spannungsreichen Kontrapunkt zum getragenen Fluss der Stücke von Gasparini und Victoria, dessen „O magnum mysterium“ wir auch schon gesungen haben. 

Feuilletonscout: Ihr selbst singt Stücke von Schütz, Delius und Hindemith. In welchem Verhältnis stehen diese Komponisten zu den georgischen? Eher gegensätzlich oder ergänzend? Wie darf man sich den musikalischen Spannungsbogen vorstellen?
Martin Schmidt: Die Musik von Schütz, Delius und Hindemith ist beides, gegensätzlich und gleichermaßen ergänzend. Natürlich sind die jeweiligen  Tonsprachen verschieden, aber ich würde sagen, dass sich etwa Hindemith und Delius nicht unbedingt näher sind als Hindemith und die georgischen Komponisten. Die Auswahl unseres Chorleiters Ohad Stolarz war geleitet von der Überlegung, Musik von Komponisten zu wählen, die Texte einer Sprache vertonen, die nicht ihre Muttersprache ist bzw. im Fall von Delius, der als Brite deutsche Wurzeln hatte, sich mit der Vertonung seinen Wurzeln wieder annähert. Hindemith hat zwar Gedichte von Rilke in Musik umgesetzt, aber jener hat sie in französischer Sprache geschrieben. Dieses Eintauchen in das Fremde leisten auch wir mit den Stücken, die wir in georgischer Sprache singen. Das ist die Klammer unserer Auswahl. Und im besten Fall bewirkt sie durch Einfühlung ein besseres Verständnis des Unbekannten, Ungewohnten.

Chor cantamus berlin
Foto © Thomas Klatt

Feuilletonscout: Etwas ganz besonderes an den Konzerten im Januar wird die Uraufführung der von von euch in Auftrag gegebenen georgischen Kompositionen von Rusudan Khorava und Zviad Bolkvadze sein. Wie seid ihr bei diesem Projekt vorgegangen? Wie habt ihr die Komponisten gefunden? Hattet ihr besondere Vorstellungen?
Martin Schmidt: Wir hatten von Anfang an vor, eine Komposition in Auftrag zu geben, weil uns natürlich die Aussicht reizte, etwas speziell für uns Geschriebenes aufführen zu können. Es gab Empfehlungen von georgischer Seite. Als wir uns dann mit den verschiedenen Komponisten beschäftigten und auch aus Georgien das Signal kam, wie sehr ihnen daran liegt, an dem Projekt mitzuwirken, entschieden wir, den Kompositionsauftrag zu splitten und ihn an die drei zu vergeben, die uns am interessantesten erschienen. So kamen eine Komponistin und zwei Komponisten zum Zug, was bei unseren georgischen Partnern regelrechte Begeisterungsstürme ausgelöst hat. Das dritte Stück werden wir erst im April in Berlin uraufführen. Alle drei Kompositionen singen wir dann im Mai in Tbilisi.Unser Wunsch war, dass die Komponisten Elemente der traditionellen georgischen Klangsprache mit zeitgenössischer Harmonik und Experimentierfreude verbinden, was sie auch getan haben. Es gab aber keine inhaltlichen Vorgaben.

Feuilletonscout: Und – seid ihr mit dem Ergebnis zufrieden? Gab es Überraschungen? Wie eng war die Zusammenarbeit?
Martin Schmidt: Ja, wir freuen uns und haben „unsere“ Georgier schon richtig liebgewonnen, weil sie uns mit ihrer schönen Musik auch vor ungewohnte  Herausforderungen stellen. So müssen wir im Stück von Zviad Bolkvadze nicht nur diverse Zischgeräusche erzeugen, sondern auch ungewohnte Koordinationsleistungen erbringen, indem wir singen und begleitend dazu in einem bestimmten Takt die Hände reiben müssen. Das erfordert viel Übung und eine Konzentration, die von etwas anderer Art ist als die, die wir ohnehin beim Singen halten müssen.Für unseren Chorleiter am intensivsten war die Zusammenarbeit mit Zviad Bolkvadze. Denn die Notation der Geräusche in der Partitur konnte nur eine Ahnung der Vorstellung des Komponisten vermitteln. Also haben die beiden eine Video-Skype-Konferenz abgehalten, bei der Zviad vorgemacht hat, wie er die Zischlaute und das Händereiben haben möchte, und Ohad musste das dann nachmachen und sich dabei korrigieren lassen.Eine Überraschung gab es tatsächlich auch mit dem Stück von Rusudan Khorava, das uns zunächst viel „abendländischer“ anmutete, als wir es nach ihren anderen Stücken, die wir gehört hatten, erwartet hätten. Das betrifft aber mehr die Form, denn auch sie weiß Tonkombinationen unterzubringen, an denen sich unsere Hörgewohnheiten regelrecht reiben können.

Feuilletonscout: Wie unterscheidet sich georgische Musik von den uns bekannten Stücken westeuropäischer klassischer Musik?
Martin Schmidt: Ohne hier in irgendeiner Form als Experte sprechen zu können, kann ich doch sagen, dass die georgische Musik, die auch in ihren aktuellen Ausprägungen stark aus traditionellen Wurzeln gespeist wird, sich durch ein Mäandern auszeichnet, durch Töne, die sich voneinander weg und dann wieder aufeinander zu bewegen und dabei Harmonien erzeugen, die schräg klingen und sich reiben, aber interessanterweise nie etwas Schrilles annehmen, sondern immer auf einer gewissermaßen untergründigen Harmonie treiben. Diese Polyphonie, die im georgischen Gesang auch oft als Improvisation entsteht, verleiht den einzelnen Stimmen größere Autonomie. Die Töne machen sich sozusagen auf in die Welt und nach dieser Wanderung kommen am Schluss alle wieder zusammen. Bei einer notierten Komposition ist das natürlich festgelegt, aber der Charakter des Umherschweifens ist doch derselbe.

Feuilletonscout: Was berührt euch persönlich an georgischer Musik? Oder hat euch am meisten Spaß gemacht?
Martin Schmidt: Es sind tatsächlich diese speziellen Akkordschichtungen, der Zusammenklang von Tönen, die ins Herz gehen. Mir geht es oft so, wenn ich Georgier singen höre, dass ich unmittelbar getroffen werde von einer Welle des Gefühls, ohne dass ich genau erklären könnte, wie die Sänger das hinbekommen. Es ist faszinierend, dass die polyphone Gesangstradition der Menschen dort so stark ist, dass Unbekannte, die aufeinandertreffen, ohne Umschweife miteinander singen können, und es wird sich immer toll anhören. Das gibt es so bei uns nicht, leider.
Eine Ahnung dieser Unmittelbarkeit wurde uns von dem Workshop vermittelt, den uns Rati Julakidze und Nino Qumsishvili aus Tbilisi hier in Berlin im Sommer gegeben haben. Das war auf jeden Fall ein Highlight und der Auftakt unseres persönlichen deutsch-georgischen Jahres. Wir haben viele traditionelle georgische Lieder gesungen, und es war beeindruckend zu erleben, dass die beiden nahezu alles auswendig konnten. Rati ist zudem in der Lage, die Töne vom tiefen Bass bis zum hohen Sopran in der originalen Tonlage anzugeben. Die beiden haben uns mit beispielloser Energie in die Freuden und Schwierigkeiten des georgischen polyphonen Gesangs eingeführt.

Konzertplakat_Tiflis_Berlin
© Saara Tuulia Karppinen (Motiv) , Rebekka Bode (Layout)

Feuilletonscout: Der Eintritt zu euren Konzerten ist in der Regel frei. Vieles bei euch läuft über Spenden. Das ist ein tolles Angebot an die Zuhörer. Wäre es nicht einfacher, bei den Konzerten einen kleinen Obolus zu verlangen und damit eine gewisse Finanzierungssicherheit zu haben?
Martin Schmidt: Wir haben darüber auch schon mehrfach nachgedacht. Und kommen jedes Mal zu dem Schluss, wenn wir die Einnahmen aus den Spenden unserer Zuhörer überschlagen, dass ein regulärer Eintritt kaum ein mehr an Einnahmen einbringt, aber doch vielleicht ein weniger an Besuchern. Wir wollen potentiell jede und jeden erreichen, und wenn der eine nichts gibt, gibt der andere etwas mehr, es gleicht sich aus. Ein richtig volles Haus, in der Regel sind das Kirchen, ist tatsächlich unser größter Lohn, auch wenn das natürlich nicht immer klappt.
Und Finanzierungssicherheit gibt es für einen Laienchor ohnehin kaum. Wir müssen immer wieder neu überlegen, wie wir die anfallenden Kosten für Konzertkirchen, Probewochenenden, Druck der Plakate und Programme und anderes mehr bewältigen. Aber bisher haben wir das ja auch immer geschafft.
Und beim Georgien-Projekt werden wir finanziell in besonderer Weise vom Auswärtigen Amt gefördert, dem wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank für die große Unterstützung aussprechen möchten! Gleiches gilt für die georgische Botschaft in Berlin, auch ihr gebührt unser aufrichtiger Dank für die Hilfe, die sie uns zuteil werden lässt.

Feuilletonscout: In diesem Jahr steht Georgien im Mittelpunkt eurer Chorarbeit. Was plant ihr im Anschluss?
Martin Schmidt: So ein Projekt ist, bei all dem Schönen, das wir erleben und auch initiieren dürfen, natürlich auch enorm anstrengend und kräftezehrend. Deshalb wage ich die Prognose, dass wir nach Abschluss dieser großen Sache erst mal einen Gang runterschalten und „nur“ ein ganz „normales“ Programm erarbeiten, ohne Reisen und Kooperationen.
Aber wer weiß, unser Chorleiter hat bereits Ideen und vielleicht sticht uns der Hafer ja wieder schneller als wir uns das jetzt vorstellen können.

Danke für das Gespräch, Martin!

Tiflis – Berlin. Ein Chordialog

27. Januar 2018
19 Uhr EMMAUSKIRCHE
Lausitzer Platz 8A
10997 Berlin-Kreuzberg

28. Januar 2018
19.30 Uhr ST. CANISIUS
Witzlebenstr. 30
14057 Berlin-Charlottenburg

 

Eintritt frei, Spenden für die Chorarbeit gern gesehen

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