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Synästhetiker unter sich: Konstantin Semilakovs spielt Skrjabin

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikOpium für das Ohr und papageienbunt für das innere Auge. Auf dem aktuellen Album des Pianisten Konstantin Skrjabin ist man im exzentrischen Klangfarbenrausch findet Ingobert Waltenberger.

Es war Oleg Maisenberg, der mich zuerst in Wiener Konzerten für die pianistisch extrem anspruchsvolle Musik Skrjabins begeistern konnte. Technisch vollendet, höchst nuanciert, intensiv russisch. Die Musik Skjrabins war einst zukunftsweisend und ist immer noch ein etwas bizarr hüftschwingender Meteor am leuchtenden Klavierhimmel. Wenn man die Mysteriums-Geheimnistuerei und die das Ego glorifizierende welterlösende Selbstüberhebung des späten Komponisten beiseite lässt, kann unbeschwert von pseudophilosophischem Brimborium herrlichste Klaviermusik entdeckt werden. Eine kollektive Ekstase, wie sie sich der Komponist zum Ziel gesetzt hatte, brauchen wir schon überhaupt nicht.

Aber das Farbempfinden in der Musik ist jedenfalls eine nähere Betrachtung wert. Es ist sogenannten Synästhetikern vorbehalten, zu denen sich der Komponist und der lettische Pianist der Aufnahme zählen. Aber auch allen andern ist es nicht verboten, der Musik von Skrjabin eine tiefe, märchenhafte Faszination zuzusprechen. Farben hin oder her.

Jede große Interpretation verbirgt etwas Geheimes oder sagen wir etwas Unerklärliches, was aber im Grunde Musik generell und ihren Wirkungssog auf Menschen ausmacht. Das Strukturelle und mathematisch Erklärbare einer Komposition verbindet sich mit dem rauschähnlichen Erlebnis des Klangs zu einer die Ratio des Alltags wegspülenden Welle. Voila.

Auf dem exzellenten neuen Album spielt Semilakovs Werke für Klavier solo aus allen Schaffensperioden des russischen Komponisten. Dabei wird offenkundig, dass Skrjabins Idole Chopin, Liszt und Wagner waren und seine Entwicklung von der Romantik ausgehend über die Begeisterung für die Chromatik Wagners bis zu einer avantgardistisch freien Tonalität reicht. Die Wirkung seiner Musik war besonders in Frankreich und im angelsächsischen Raum groß.

Zur Welt eines Synästheten enthält das Booklet ein langes aufschlussreiches Interview mit Konstantin Semilakovs. Er offenbart uns, dass die Tonhöhen beim Hören bestimmte Farbempfindungen auslösen. So verknüpft Semilakovs besondere Gabe F-Dur mit Kobaltblau und B-Dur mit Weinrot. So einfach bleibt es aber nicht: Die Tonhöhe F ist ganz klar blau, kann sich aber im Kontext mit anderen Tönen zu anderen Farben mischen, einmal wärmer oder kälter, heller oder dunkler erscheinen. Das hängt damit zusammen, dass sich beim Hören in Wechselwirkung mit verschiedenartigen Harmonien auch komplexere Wahrnehmungen bilden können. Das geht bis zu Ganzkörpererfahrungen mit rauschhaften Vorstellungen von vibrierenden Farben, die die Klänge in angenehmer Weise erzeugen.

Zwar spricht Semilakovs darüber, dass diese an ein konzentriertes Hören gebundenen Assoziationen mit zunehmenden Alter nachlassen, aber ganz besonders bei Skrjabin noch immer besonders stark auftreten. Von der Warte des Hörers werden im fühlbar engagierten Spiel des Pianisten sowohl die geniale virtuose Seite der Stücke als auch eine stoffliche Dichte in Dynamik, Anschlag und Phrasierung evident. Auf jeden Fall ist Semilakovs Spiel musikalisch überzeugend und voll mitreißender Passion.

Stehen die 24 Préludes Op. 11 noch ganz in der Tradition Chopins „mit einigen schärfer gewürzten Harmonien“, so zeigt die 1903 fertig gestellte vierte Klaviersonate schon den ausgeprägten Höhenflug in Richtung eines intendierten mystischen  Ansatzes. Der Valse in As-Dur Op. 38, die laut Johannes Schäbel „eine große klangsprachliche Bandbreite zwischen zarter Lyrik und ausuferndem Tanz bedient“ folgt die einsätzige 7. Klaviersonate, von Skrjabin auch als „weiße Messe“ bezeichnet. Skrjabin sieht das Ende des Stücks als einen heiligen letzten Tanz vor der eigentlichen Handlung, also vor dem Moment der Entmaterialisierung, gleichbedeutend mit den vom Himmel herabtönenden Glocken, welche die Menschheit zum Mysterium herbeirufen soll.“ Gott sei Dank erschließt sich Musik in ihrem Innersten nicht (nur) über Worte, sondern über einen individuell-intuitiven Prozess, der es wahrlich nicht erfordert, dass man diesen schwülstigen außermusikalischen Erklärungen des Komponisten folgt. Wenn schon ein optischer Vergleich zu suchen ist, dann soll halt ein bunt abstraktes Gemälde herhalten, das nicht mehr sein will als es ist..

„Vers la flame“ und die „Cinq Préludes“ Op 74 gehören der späten Schaffensperiode an. Als Charakteristik gelten, so das Booklet, dass „Aspekte wie Rhythmus, Artikulation und Farbe zum zentralen Ausdrucksmittel werden, sodass konkrete Tonhöhen und Stimmverläufe den durch sie hervorgerufenen Klangflächen untergeordnet sind. Einzelne pianistische Gesten vermengen sich zu einem übergeordneten Klang, fast wie wenn durch das beständige Anreiben einer Klangschale ein immer intensiver anschwellender Ton entsteht.“

Das Album dürfte dank des durch seine synästhetische Begabung geprägten Pianisten besonders nah an den entsprechenden imaginierten Teilwelten des Komponisten sein. Wir als Zuhörer genießen auf jeden Fall den differenzierten Ausdruckswillen der Interpretation mit passend exzentrischen Rubati, perlenden Lyrismen und vulkanisch hämmernder Expressivität. Was für ein kurioses Wechselbad der Gefühle. Eine berauschende Empfehlung und das ganz alkoholfrei.

Konstantin Semilakovs
Alexander Skjrabin – Couleurs Sonores
ARS Produktion 2020
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