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Statt Kino: „Erinnern und Sein“ – Musik und Poesie bei den herbstlichen Schwetzinger SWR Festspielen 2021 und beim SWR

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 ‚Sonette an Orpheus. Eine musikalisch-literarische Collage’ lautete das Motto des Abends, der am Eröffnungswochenende der diesjährigen Schwetzinger SWR Festspiele um den Orpheus Mythos kreiste. Von Barbara Röder.

Drei internationale Ausnahmekünstler, der Sprachvirtuose Udo Samel, die Kammermusiker, der Geiger Oliver Wille und der Pianist Markus Becker schufen wie Rainer Maria Rilkes es einmal niederschrieb einen ‚Ort der tiefen erkennenden Heimatlichkeit‘, den er sich ‚innerlich so oft erfand’ und immer suchte.

Zu Beginn lauschen wir  Udo Samel, der klang- und bildgewaltig Rilkes frühes Gedicht von 1904 ‚Orpheus, Eurydike, Hermes‘ entstehen lässt. Rilke schildert Orpheus ,des Seelen wunderliches Bergwerk‘ durchschreitend den Atem der Natur vernehmend. Eurydike folgt. Längst ist sie sie selbst geworden: ‚in sich vollkommen‘ im Tode. Der Gedanke, jener von der Selbstbestimmung Eurydikes, dem Erkennen des eigenen Ichs ist großartig. Ingeborg Bachmann und Elfriede Jelinek haben ihn weitergedacht und inspiriert davon ist in ihren Werken Eurydike eine Neue. Eine Frau, die mehr ist als nur der Schatten des charismatischen Helden Orpheus aus der klassischen griechischen Mythologie so wie wir sie kennen. 

Der einsame raue, melancholische Geigenton Oliver Willes im John Dowland Klagegesang ‚If my complaint could passion move‘ erklingt. Dieser geht nahtlos über in Mozarts Hoffnung atmende e-Moll Sonate für Violine und Klavier KV 304. Pianist Markus Becker musiziert mit klarer Anschlagskultur und ausgefeiltem Sinn fürs Gesangliche. Danach spinnt Becker aus dem Thema des ersten Satzes der e-Moll Sonate, das wie ein Ohrwurm anmutet, seine virtuos verinnerlichte und perkussiv eruptive Klavierimprovisation. 

In Cesare Paveses Erzählung ‚Der Untröstliche‘, einem Gespräch zwischen Orpheus und einer Bacchantin erleben wir einen selbstbewussten, bei näherer Betrachtung egozentrischen Orpheus. ‚Man sucht nichts als sich selbst‘ und betont: ‘Ein Schicksal betrügt nicht. Von der Seite des Lebens gesehen ist alles schön‘. Samel gibt diesem Orpheus eine so klare, kühle Stimme, dass er vor uns in seiner Illusionslosigkeit zu stehen scheint. 

Auch Ingeborg Bachmann mit ihren düsteren, mystisch mahnenden Weisungen kommt zu Wort, in denen es um die Endlichkeit des Augenblicks geht. Und, Biago Diops’ Klagegesang ‚Der Hauch der Ahnen‘ schöpft aus den Gräsern, den Winden, dem Feuer, Erinnern.

In diese orphisch, literarischen Augenblicke hineingewoben, dazwischen gewoben, ist die zeitgenössische Toccatina für Violine solo komponiert 1986 von Helmut Lachenmann. Wie von einem anderen Stern tönen die Klangspektren, die Oliver Wille seiner Geige entlockt. Das Griffbrett wird mit der metallenen Spannschraube des aufgestellten Bogens berührt, beklopft, aber auch hinter dem Steg sanft gestrichen. Es entstehen sehr, sehr eindrucksvolle Momente von großer Expressivität und Entrücktheit, die einen ganz besonderen Zauber verströmen und an flirrende Astralklänge erinnern. Im Ravelschen ‚Blues‘, dem zweiten Satz aus dessen Sonate, gesellt sich Markus Becker mit musikalisch süffisantem ‚Fin de siecle‘ Gestus zur Violine. Ebenso entführt uns dieses außerordentlich gut harmonierende Kammermusikduo in Janáčeks Violinsonate in die Welt der tschechischen Sprachmelodie.

Als Herzstück und Höhepunkt des musikalisch-literarischen Abends kommen die ‚Sonette an Orpheus‘, sechs Adagios für Sprecher, Violine und Klavier des Düsseldorfer Komponisten Manfred Trojahn. Er wählte sechs Sonette aus den 55 Orpheus Rilkes aus. Oliver Wille und Markus Becker vermögen mit bedacht behutsamen Seufzern, Klagelauten die kristalline Zerbrechlichkeit der Verse zu deuten. ‚Ein für alle Male ists Orpheus, wenn es singt’, hallt es zu uns herüber, wenn Udo Samel mit magischem Zungenschlag Rilkes Welt-Innenräume herbeizaubert. 

Überglücklich, Außergewöhnliches erlebt zu haben, wandelt das Publikum durch den nächtlich verwunschenen Park am Schwetzinger Schloss, vorbei an seinen anmutigen Figuren nachhause. ‚Ich bin‘, Rilkes allerletzte Worte aus ,Sonette an Orpheus’ klingen in uns. Dies ist ein Bekenntnis das stärkt. Und ja, wir leben Innen wie auch Außen in einer wunderlichen Zeit, die ohne das musikpoetische Erinnern durch die Kunst sinnlos wäre.  

Bis zum 31. Oktober 2021 sind die diesjährigen Schwetzinger SWR Festspiele noch live im Schwetzinger Schloss und auf SWR2 in der Mediathek nachzuerleben.

Für das Jahr 2022 verspricht Heike Hoffmann, die künstlerische Leiterin der Schwetzinger SWR Festspiele wundersame Reisen in das Land Arkadien. Dann erklingen im Mai 2022 zwei große Opern, ein Melodram, viel Kammermusik und Wort- und Tonprogramme in den Historie atmenden Konzertsälen des Schwetzinger Schlosses.

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