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Selbstporträt der Oper als Echtzeit-Hausfrau

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„La BETTLEROPERa“. Moritz Eggert mit einer radikalen Neuinterpretation des klassischen Stücks an der Neuköllner OperL’heure espagnole von Maurice Ravel am Gärtnerplatztheater in München. Von Stephan Reimertz.

Einen Ehemann, zwei Liebhaber und einen muskelbepackten Verehrer – welche Frau träumt nicht von einem solchen Kleeblatt? Concepción, Gattin des Uhrmachermeisters Torquemada, denkt den ganzen Tag nur an das Eine. »Das ist meine Welt und sonst gar nichts«, könnte sie mit Lola-Lola singen. Ihr Vorname bedeutet soviel wie Unbefleckte Empfängnis und steht im Widerspruch zu ihrer Absicht, sich von morgens bis abends von möglichst vielen Männern begatten zu lassen. Solche Hausfrauen gibt es natürlich nur auf dem Theater.

Welcher Stilrichtung gehört das Werk an?

L’heure espagnole, 1911 in der Opéra-Comique in Paris uraufgeführt, gehört dem Realismus an: Valentina Stadler gibt eine rothaarige mit einem Zwanzigerjahrekleid behängte laszive Hausfrau, die nur eine Passion hat; ihren Mann für eine Stunde loszuwerden und sich zu fragen, wo sie den nächsten Liebhaber herbekommt. Stadler singt und spielt die Hauptrolle mit einiger Bravour, denn es ist gar nicht so leicht, dem stilistisch vertrackten, zwischen Komödie, lyrischem Drama und Posse schwankenden Stück gerecht zu werden.

Passt das Ganze zu Maurice Ravel?

Nein, es passt nicht. Auf den ersten Blick wundert man sich, warum der Nervenmensch Ravel den grobschlächtigen Stoff wählte. Das Libretto schrieb ein Rechtsanwalt und Subpräfekt namens Maurice Étienne Legrand, der sich als Dichter und Librettist Franc-Nohain nannte. Die Geschichte von der Ehefrau, die während der Abwesenheit ihres Mannes abwechselnd ihre beiden Liebhaber empfängt, ist alles andere als originell. Das formale Problem des Werkes besteht in der Verbindung von comédie lyrique und commedia dell’arte. Das passt szenisch und musikalisch nicht zusammen.

Warum hat sich der Komponist dennoch für diesen Stoff entschieden?

Ravel wäre nicht Ravel, wenn er sich bei dem ganzen Spaß nicht etwas gedacht hätte. Die im Ausdruck begrenzte Melodik des lyrischen Dramas französischer Provenienz eignet sich vorzüglich für psychologisch differenzierte oder unheimliche Szenerien – wie Claude Debussy ein Jahrzehnt früher in seiner Oper Pelléas et Mélisande bewies – , aber in keiner Weise für ein grobgezimmertes Lustspiel wie L’heure espagnole. Man geht wohl nicht ganz fehl in der Annahme, Ravel habe hier vermeiden wollen, einen zweiten Pelléas zu schreiben. Jeden Künstler reizt es zudem, etwas ganz Untypisches zu machen, etwas, das man nicht von ihm erwartet. Ravel sagt: Schaut her, das passt alles nicht, ich aber bin ein Zauberer und schmelze es zusammen!

Gibt es raveltypische Züge in dem Stück?

Maurice Ravel war von allem Kindlichen ebenso fasziniert wie von Spielzeug und Uhren. Seine Echtzeit-Kammeroper L’heure espagnole zieht er wie ein mechanisch ablaufendes Puppenspiel auf. Psychologisches Singen und Spielen ist den Sängern hier natürlich nicht möglich. Wie ein Uhrwerk läuft die Handlung ab, Spielzeit und Echtzeit sind identisch. Es ist interessant zu hören, wie in der Kammerorchesterbearbeitung von Klaus Simon anderthalb Dutzend Musikern raffiniert und dezent die Metaphorik der Uhr, der Mechanik und der ablaufenden Zeit durchführen. Kapellmeister Kirill Stankow und die Instrumentalisten sind hinter der Szene plaziert und durch einen Gazevorhang zu ahnen. Der an der spanischen Grenze geborene Komponist nährte eine Affinität zu allem Spanischen; allein L’heure espagnol ist so spanisch wie Le chien andalou andalusisch.

Schafft es die Inszenierung von Lukas Wacherig, das Unmögliche möglich zu machen?

Spielleiter Lukas Wachernig und seine Bühnen- und Kostümbildnerin Stephanie Thurmair haben die Bühne mit einfallsreichen und verspielten Accessoires bestückt, wobei die zerfließenden Uhren Dalìs ebenso wenig fehlen dürfen wie Zahnräder, die sich drehen, während Conceptión sich auf ihnen räkelt. Matija Meić fällt die dankbare Rolle des Möbelpackers und Muskelprotzes Ramiro zu, eines großspurigen Artisten Rodrigo Quast aus dem Erdgeist, der die Standuhren hin und her tragen muss und nicht ahnt, dass sich die Liebhaber von Madame darin befinden. Meić baut Rückenprobleme Ramiros ein und deutet damit an, dass auch dieser Charakter ein gebrochener ist. Gonzalvo ist als Dichter der am ehesten einem Operntenor angeglichene Charakter. Gyula Rab gibt ihn mit schmelzender Stimme und beträchtlichem komödiantischen Talent. Die spanische Stunde ist eine experimentelle Echtzeit-Oper. Im Hobbykeller des Gärtnerplatztheaters, Studiobühne genannt, wird uns in familiärer Atmosphäre ein Theaterspaß serviert, der zugleich zu musik- und theatergeschichtlichen Reflexionen anregt.

L’heure espagnole
Weitere Aufführungen am 19. und 20. Juni 2019

Staatstheater am Gärtnerplatz
Gärtnerplatz 3
80469 München

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