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Schreie und Flüstern: „Jenůfa“ in Genf

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oper-beitragsbildFür Jenůfa gibt es kein Entkommen! In den ersten Takten der gleichnamigen Oper „Jenůfa“ von Leoš Janáček, die als Neuinszenierung in der Regie von Tatjana Gürbaca am Grand Théâtre de Genève über die Bühne geht, kündigt sich das verheerende Unheil musikalisch unmittelbar und direkt an. Von Barbara Röder.

Ein hämmerndes Xylophon dröhnt. Es ist das Klappern des Mühlrads in einem mährischen Dorf. Dort spielt die Geschichte um Jenůfa. Dann erhebt eine Geige ihre Stimme. Es ist die bittersüße, einsame Seelenstimme Jenůfas. Sie wird uns wieder begegnen, wird wieder ertönen. Dann, wenn ihr Kind im eisigen Bach getötet, sie vom Kindsvater  Števa verlassen und Jenůfas „apfelglatte“ Wange durch das Messer eines Eifersüchtigen gezeichnet wurde.

„Ihre Stieftochter“, so heißt das naturalistische Seelendrama von Gabriela Preissovás, dem die Oper „Jenůfa“ zugrunde liegt. Damals bescheinigte die Presse ihr, dass ihr Drama „eher aus der Feder eines jungen literarischen Rebellen zu stammen scheint als von einer Frau“. Was für ein journalistische Statement 1890. Die unheilvolle Story „aus dem mährischen Bauernleben“ kreist um große Themen: Eifersucht, Kindstötung, Einsamkeit und spätes Erkennen, was Glück sein kann. All dies gießt Janáček musikalisch in rhapsodische Episoden. Inniger und zugleich brutalster Realismus verbinden sich zu einem tönend explosiven, expressionistischen Amalgam. Wobei der Komponist mit Akribie melodische Färbung der Sprache seinen Hauptprotagonisten in die Kehle schreibt. Den „klanglichen wie auch rhythmischen Charakteristika der tschechischen, menschlichen Redeweise setzte er kongenial in seinen Meisterwerken ein singend-klingendes Denkmal. Die Sprechmelodien haben ihn ein Leben lang inspiriert und tragen zum Ruhm seiner weltweit aufgeführten Werke bei. In seiner 1904 in Brünn uraufgeführten Oper „Jenůfa“ verwoben Preissová und Janáček zwei reale Taten: wie ein eifersüchtiger Liebender seinem Objekt der Begierde Schnitte im Gesicht zufügt und die Tötung eines Neugeboren.

Henrik Ahrs schuf für die neue Genfer „Jenůfa“ ein famos wirkendes  Bühnenbild. Es zeigt ein ganz in Mahagoni gehaltenes, getäfeltes Bauernhaus mit einer bis zum Spitzdach führenden Treppe, welche ganz in den Himmel hineinzuführen scheint. Das Pendant der Mahagoniwände ist im Zuschauerraum des neu gestalteten Genfer Opernhaus zu finden. Wir sitzen inmitten drin in der puristisch klaren, unabwendbaren Katastrophe, die Regisseurin Gürbaca zeigt. Die harmonische Dorfidylle trügt. Jeder beäugt hier jeden. Trunkenbolde, Eifersucht, Schuld und Reue à la Gerhard Hauptmann, August Strindberg oder Büchners „Wozzeck“ sind an der Tagesordnung. „Jedes Paar hat Schwierigkeit“ tönt es als Kanon im folkloristisch ausstaffierten Chor. Die Frauen ebenso wie auch die Männer handeln mehr oder weniger übergriffig. Auch das erzählt Gürbaca, sich genau am Libretto orientierend, schlüssig nach. Glaube und Katholizismus bleiben außen deswegen auch vor, um die Geschichte in die Neuzeit zu transferieren.

Die Frauen in dieser überaus starken Realstudie ersinnen, geprägt von eigenen üblen Erfahrungen, Existenz erhaltende Überlebensstrategien. Allen voran die Küsterin (Kostelnička), die Evelyn Herlitzius mit gewaltig berstendem Wagner Impetus interpretiert. „Ich gebe Jenůfa ihr Leben zurück“ singt sie. Sie erstickt den Neugeborenen ihrer Ziehtochter Jenůfa und steckt das Kind unters Eis. Not, Scham und Fürsorge für ihr Mündel Jenůfa prägen diese, zum Opfer ihrer eigenen Moral gewordenen Frau. Aber auch, die durch die markanten Stufen hindurch und in Geschehen hinein lugende Dorfgemeinschaft, deren Moral- und Anstandsvorstellung gilt für alle als ungeschriebenes Gesetz.

Corinne Winters gibt mit großem Herzen und sängerischer Bravour die von gespenstisch quälenden Regungen heimgesuchte Jenůfa. Ihre Ausbrüche der Seele, ihre musikalischen Gefühlskurven machen Winters zur einer großen Menschendarstellung der Jenůfa. Flüstern und Schreie durchströmen diese, an eine Ingmar Bergmann Figur erinnernde Glückssuchende. Laca verzeihend, er hat sie aus Eifersucht im Gesicht verletzt, gibt Jenůfa inneren Frieden. Auch findet sie ihr Glück bei ihm. Daniel Brenna gestaltet diesen Hitzköpfigen tenoral berückend und trotzt ihm huldvoll zarte Züge ab. Er ist auch nur ein Gefangener seiner überschwänglichen Emotion und Liebe zu Jenůfa. Števa, versoffen und verwöhnt, erfährt eine perfekt agile Charakterstudie von Ladislav Elg. Stark, aber leicht als Karikatur gezeichnet, ist die alte Buryja von Carole Wilson. Baritonal mächtig präsent zeichnet Michael Kraus den immer brenzliche Situationen ausgleichenden, Stárek. Diese „Jenůfa“ ist eine großartige Ensembleleistung. Tomáš Hanus, Janáček-Spezialist dirigiert besonnen das klangintensiv tönende Orchestre de la Suisse Romande.

Fazit: Tatjana Gürbaca und ihr Team zeigen eine schlüssige Inszenierung. Eine sehr vorhersehbare Inszenierung, die zu wenig Überraschendes bietet . Es ist aber eine, die reichlich Fragen stellt und vieles offen im Raum schweben lässt. Zuallererst aber fragt Gürbaca, was eigenes, nicht fremdbestimmtes Leben sei, sein kann. Das berührt. Das macht betroffen.

Im Herbst 2022 setzt das Grand Théâtre de Genève mit seinem klugen Intendanten Aviel Cahn die Introspektion in das Werk des großen tschechischen Komponisten Leoš Janáček fort. Das Motto der Spielzeit 2022/2023 ist „WELTEN AUF WANDERSCHAFT“. Erneut wird unter der Regie von Tatjana Gürbaca Janáčeks „Katja Kabanova“ (21. Oktober bis 1. November 2022) zu erleben sein.

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