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Ruhrtriennale: Elliott Sharps Suche nach dem Heiligtum

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Von Stefan Pieper.

Migrationsbewegungen gehören zur Menschheitsgeschichte wie Luft und Wasser- auch wenn diese Einsicht in den Weltbildern viel zu vieler nicht anzukommen scheint. Jeder will irgendwo ankommen. Viele können dies nicht mehr – letztlich weil immer krassere Verteilungs- und Zivilisationskonflikte viele Orte auf diesem Planeten auf die Dauer unbewohnbar machen. Ist Ankommen eine Utopie? Oder eben ein „Sanctuary“, nach dem der New Yorker Avantgarde-Komponist Elliott Sharp in einer neuen multivisuellen „Opern-Installation“ eine kolossale Suche aufbietet. Für diese Suche wurde bei der Uraufführung im Rahmen der Ruhrtriennale so viel aufgefahren, dass es schon wieder überambitioniert wirkte.

Eliott Sharps Ambitionen reichen bis in die Titelgebung hinein: Er verpflanzt den Topos von der Suche nach dem Heiligtum, in die amharische Sprache, die in Äthiopien und Eritrea gesprochen wird. Filiseti Mekidesi sagt man in jener Region dazu, die als Ursprungsort der Menschheit angesehen wird.

 

Ruhrtriennale 2018: Filiseti Medidesi © Paul Leclaire

 

Bereit stand das erfrischen agile Gesangsensemble „Voxnova Italia“, aus denen gleich fünf Solisten mächtig herausragten. Ebenso ist das Ensemble Musikfabrik eine sichere Bank, um alle Erregungszustände der anstehenden Odyssee, die ans Eingemachte gehen will, zuverlässig heraus zu arbeiten. Und letztlich war die Turbinenhalle in Oberhausen durch sein postindustrielles Raumambiente ein gewichtiger „Akteur“ für sich.

Damit all dies so richtig überwältig, zieht Eliott Sharp viele genreübergreifende Kompositionsmethoden für einen wuchtigen Soundtrack heran. Der ist manchmal schwer verdaulich und schroff und immer fordernd. Aber auch klangsinnlich überaus feingezeichnet. Streicher und Bläser finden sich mit Elektronik verwoben, Steeldrums liefern manchmal Flächenklänge im Hintergrund, bevor wieder perkussive Impulse auf das gerade noch Erwartete prallen. Spätromantische Farbpartikel verwirbeln sich mit Jazzidiomen. Man hört in jedem Moment, das Sharp, wie es einem prägenden Gestalter der New Yorker Dowtown-Szene entspricht, querdenkerisch und pluralistisch in den Genres unterwegs ist. Aber das hitzige, ruhelose musikalische Dickicht ist manchmal auch kaum noch durchdringbar.

 

Ruhrtriennale 2018: Filiseti Medidesi © Paul Leclaire

 

Vor allem faszinieren in der Bochumer Turbinenhalle die vielen Interaktionen und Konstellation von Solo- und Ensemblegesang seitens der überall im Raum verteilten Sängerinnen und Sänger. Stimmgeflechte „schweben“ durch den Raum, scheinen manchmal unmittelbar im eigenen Kopf stattzufinden. Vor allem brilliert der Bassist Nicholas Isherwood, der – so wollen es die Gesangstexte- eine Symbolfigur einer dunklen Unterwelt verkörpert. Diese Rolle hat er durch seine Stimmgewalt auch bestens drauf. Nicht minder eindringlich entfalten sich Klagegesänge seitens der palästinensischen Sängerin Kamilya Jubran.

Antike Mythen, vielleicht auch mal die großen literarischen Monologe von James Joyce liefern die Referenzpunkte in den zugrunde liegenden Texten von Elliot Sharp, Edwin Torres und Tracie Morris. Es geht um die Dynamik auf diesem Planeten und die Vergänglichkeit des Zeitlaufes. Dazu passen die von großen Monitoren eingespielten Bild-und Filmsequenzen, für welche die Videokünstlerin Janene Higgins, Eliott Sharpes Lebenspartnerin überdies, verantwortlich zeichnet. Sehnsuchtsvoll schießen Sternschnuppen in den Nachthimmel. Rissiger, ausgetrockneter Erdboden gibt eine Vorahnung auf künftige Zustände von Unbewohnbarkeit auf diesem Planeten. Immer wieder Wasser! Dies türmt sich beängstigend auf und ist meistens düster koloriert und eben kein Urlaubsidyll mehr. Gefesselte Hände als Zeichen einer ausgeübten, hingenommener oder unfreiwillig erduldeten Unfreiheit. Frei assoziieren darf hier jeder selbst.

Wer hier 75 Minuten lang konzentriert zuhörend dran geblieben war, hatte hinterher wirklich etwas geleistet. Und fühlte sich vielleicht doch noch etwas klein, weil sich von dem komplex aufgetürmten Textmaterial nur wenig unmittelbar erschlossen hatte. Hier wären Übertitelungen, wie in der Oper üblich, eine Bereicherung gewesen.

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