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Pieke Biermann und die Chuzpe von Fran Ross

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Wer hat hier wen gefunden? Die Übersetzerin das Buch? Oder doch eher der Roman die Übersetzerin? Dieses wahnwitzige, sprachgewaltige, alle Tabus brechende Meisterwerk einer schwarzen jüdischen Autorin namens Fran Ross, die nur diesen einen Roman schrieb, gehört einfach zu der lebhaften, unkonventionellen Deutschen wie die Faust aufs Auge. 45 Jahre haben sie aufeinander gewartet. Denn „OREO“ entstand 1974 und es sollte Fran Ross‘ einziger Roman bleiben. Kaum bemerkt, verschwand er sang- und klanglos. 1985 starb die Autorin mit nur 50 Jahren. Dann stolperte Pieke Biermann über „OREO“. Und war fasziniert, geradezu elektrisiert von der Kraft, die von dem Roman ausging, von dem Wagemut der Autorin und der alle Grenzen sprengenden Sprache. Der dtv-Verlag brachte „OREO“ im letzten Jahr schließlich heraus, und er schlug ein wie eine Bombe. Für ihre Übersetzung ist Pieke Biermann für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Feuilletonscout: Als Sie von der Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie „Übersetzung“ erfuhren, was war da ihr erste Gedanke?
Pieke Biermann: Falle ich da gerade auf einen hoax rein? Der zweite: Nein, kann nicht sein, ich kenne ja die Person, die mich fragt, ob ich nach Leipzig kommen und den notfalls annehmen würde .

Feuilletonscout: OREO ist ein Feuerwerk an Sprache und vor allem Sprachbesonderheiten. Was war für Sie bei der Übersetzung die größte Herausforderung?
Pieke Biermann: Die Sprachwitze, die Spielereien mit culture bits – von „Gosse“ über schwarze und jüdische Idiome, Jazzrhythmen, Pseudowissenschaft, politische Diskurse bis „weiße Hochkultur“ – und die richtige, nämlich Fran Ross‘ chuzpe spiegelnde Balance all dessen.

Feuilletonscout: Waren Sie während der Übersetzungsarbeit auch mal so richtig verzweifelt (aus welchem Grund auch immer).
Pieke Biermann: Nie. Ganz einfach weil ich bei allem, was ich nicht weiß oder trotz endloser Surferei im Netz nicht verstehe, Menschen suche – und finde! –, die beides tun. Übersetzen ist eben eine ebenso „einsame“ wie „soziale“ Arbeit (Schreiben für mich übrigens auch).

Fran Ross OREO
Buchcover: dtv Verlag

Feuilletonscout: Was war Ihr größter Glücksmoment während der Übersetzungsarbeit?
Pieke Biermann: Glücksmomente gab es andauernd und selbst noch beim sechsten, siebten Textdurchgang (etwa so oft macht man das, von der Rohfassung, die bei mir unlesbar, bis zur letzten Fahnenkorrektur; dazwischen lagen im Fall von „Oreo“ drei, vier superintensive Runden mit meiner Lektorin Hella Reese – was Glück en gros war, weit mehr als ein Moment.

Feuilletonscout: Wie gehen Sie an Übersetzungen im allgemeinen heran, wie (vielleicht im Besonderen) bei OREO?
Pieke Biermann: Ich übersetze offenbar „mimetisch“, man könnte es „Anverwandeln“ nennen; das habe ich nirgendwo gelernt, sondern anscheinend entwickelt by doing. Ich mache die erwähnte unlesbare Rohfassung, und die ist beinah komplett „undeutsch“, sie „erfasst“ einfach nur alle Elemente des Originals und stopft überall Fragezeichen in verschiedenen Farben dazwischen. Dann brauche ich eine Pause, denn mittlerweile habe ich mich komplett in die Originalsprache/atmosphäre hineinmimetisiert und muss Distanz schaffen, um mich wieder meiner „eigenen“ Sprache anzuverwandeln. Das war bei „Oreo“ nicht anders als bei allen anderen. Es spielt auch keine Rolle, ob es um literarische oder Sachtexte handelt – immer gibt die Urfassung einen ganz bestimmten, sagen wir verkürzt: Tonfall vor, und dem hat man treu zu sein, gerecht zu werden, by all means.

Feuilletonscout: Was macht für Sie das Besondere an OREO aus? Was unterscheidet den Roman von anderen, die Sie übersetzt haben?
Pieke Biermann: Ich habe noch bei keinem anderen Buch so oft und immer wieder gelacht und so oft und immer wieder gedacht: Boah, nee, ist das klug! Ist das raffiniert! Ist das einfach schön! Wieso ist mir diese Schriftstellerin so lange entgangen?

Feuilletonscout: Nach OREO: Gibt es für Sie noch eine Übersetzung, die Sie unbedingt einmal machen möchten?
Pieke Biermann: Es gibt ein paar Bücher, die ich gern auf Deutsch sehen würde, ich muss die aber nicht unbedingt selbst übersetzen (könnt ich gar nicht schaffen). Ich rechne auch nicht damit, noch einmal so ein Meisterwerk in die Finger zu kriegen, aber wer weiß. Mein Leben ist ja freundlicherweise immer wieder von der unberechenbaren serendipity geprägt worden … (Und das Wort erklär ich jetzt hier nicht!)

Vielen Dank für das Gespräch, Pieke Biermann!

Fran Ross
OREO
aus dem Englischen von Pieke Biermann
dtv Verlag, Frankfurt/Main 2019

Klappentext: 
Christine ist sechzehn, hat eine schwarze Mutter und einen jüdischen weißen Vater und wächst auf in Philadelphia, verspottet als »Oreo« (wie der Keks) – eine doppelte Außenseiterin. Der Vater hat sich früh aus dem Staub gemacht und ihr ein Geheimnis hinterlassen, für dessen Lösung sie ihn finden muss. Auf nach New York! Unterwegs trifft sie unglaubliche Leute: einen schwulen »Reisehenker«, der anonym Manager feuert, einen Radio-Macher, der nicht spricht, einen grotesk tumben Zuhälter und endlich auch ihren Vater. Nicht jeder ist ihr wohlgesinnt. Aber Oreo überlebt alle und alles dank ihres selbsterdachten Kampfsports WITZ, getreu ihrem Motto: »Niemand reizt mich ungestraft.« Oreo folgt der Theseus-Sage mit all ihren Volten bis zum letzten irrwitzigen Twist, dem Vatergeheimnis. Aber der antike Held ist heute jüdisch, schwarz und weiblich.

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