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Opernweltpremiere: Ricky Ian Gordeon „The House without a Christmas tree“

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Liveaufnahme aus der Houston Grand Opera Dezember 2017. Von Ingobert Waltenberger.

Da soll eine/r noch sagen, die Oper lebt nicht. Während in Europa selten zu erlebende Uraufführungen ein Riesenspektakel darstellen, zumindest medial, ist in den Vereinigten Staaten von Amerika offenbar ein unverkrampfterer und kulinarisch ergiebigerer Zugang zur Kunstform Oper möglich. Ein Beispiel gefällig? Die 1955/56 in ihre erste Saison startende Houston Grand Opera (HGO) ist nicht nur eine der größten, innovativsten und vielbeachtetsten Opernkompanien der USA, sondern auch Rekordhalter in Sachen Auftragsvergabe und Uraufführung neuer Werke. Sie gibt damit der Kunstform Oper eine junge, ganz ureigen amerikanische Stimme. Die etwas rührselige, dennoch sehr stimmungsvolle, exzellent gesungene und somit hörenswerte Weihnachtsoper „The House without a Christmas Tree“ war die 64. Weltpremiere des mutigen texanischen Hauses. Damit trägt die viertgrößte Stadt der USA nach New York, Los Angeles und Chicago dazu bei, das zeitgenössische Opernrepertoire zu pflegen und stets frisch zu halten sowie neue Publikumsschichten zu erschließen und mitwachsen zu lassen. Und nicht zu vergessen: Unterhaltende und dem Ohr gefällige Musik werden in den USA nicht als seicht verachtet oder als intellektuellenfeindliches Teufelswerk gesehen.

Für den amerikanischen Komponisten Ricky Ian Gordon ist die einaktige Christmas-Kammeroper die dritte Arbeit für die HGO nach „The Tibetian Book of the Dead“ 1996 und „A Coffin in Egypt“ 2014. Die Geschichte des „Hauses ohne Christbaum“ geht auf eine für ein TV-Special geschriebene Kindheitserinnerung von Gail Rock aus dem Jahr 1972 zurück, die Librettist Royce Vavrek zu zehn theaterwirksamen Szenen samt Prolog und Epilog destilliert hat. Der Komponist hat zu der Vertonung des Textes noch drei Orchester- und drei Klavierzwischenspiele hinzugefügt. Nebstbei: Die Uraufführung stand unter keinem guten Stern, weil wegen des Hurricane Harvey ein alternativer Aufführungsort gefunden werden musste.

© Pentatone American Operas

Jetzt liegt der Mitschnitt der Aufführung auf SA-CD vor und ist eine ideale Kost für alle, die Opernhaftes à la Broadway als den typisch amerikanischen, zwischen  Virtuosität und unverhohlener Romantik changierenden Stilmix (Bernstein schau oba) inkl. Happy End in bester Hollywood-Manier mögen. Die Geschichte ist simpel. Die in New York lebende Schriftstellerin Adelaide Mills erinnert sich an eine Begebenheit zu Weihnachten in ihrer Heimat Nebraska 20 Jahre zuvor: Die Rumpffamilie Mills, bestehend aus Großmutter (Heide Stober), Vater James Addison III (Daniel Belcher) und die 10 Jahre alte Tochter Addie (die bravouröse, mit einem mädchenhaften, glockenklaren lyrischen Koloratursopran gesegnete Lauren Snouffer) streitet sich vor Weihnachten, ob ein Christbaum ins Haus kommen soll oder nicht. Der verbitterte Witwer hat einen Horror davor, weckt dieses Symbol weihnachtlicher Ruhe doch schmerzhafte Erinnerungen an die kurz nach der Geburt während der Weihnachtsferien verstorbene Ehefrau, denen er auszuweichen sucht. Nach einem ereignisreichen Hin und Her zwischen Schule, Krippenspiel, dem Haus der ebenfalls ,baumlosen“ Gloria Cott (Elisabeth Leone) und Addies bester Freundin Carla Mae (Megan Mikailovna Samarin) sieht der Vater ein, dass er seinem Leid am besten mit dem Einkehren von Normalität ein Ende setzen kann. Freilich musste die kleine Addie vorher noch einen Christbaum nach Hause bringen, den sie in der Schule gewonnen hat und nach einem Wutanfall des Vaters sofort wieder wegschaffen muss. Die Tochter schenkt den Baum einer armen Familie. James sieht durch so viel Großzügigkeit beeindruckt ein, dass er sich seinem Problem stellen muss.  Die Kiefer wird mit dem Christbaumschmuck der Großmutter behangen und dem von der Mutter einst gebastelten Stern gekrönt. Happy Christmas! Ein kleine kindliche Liebesgeschichte darf natürlich auch nicht fehlen: Lehrerin Thompson (ebenfalls Heidi Stober) schlägt einen Geschenketausch unter den Schülern vor. Der kleine Billy Wild (Maximilian Macias) überreicht Addie einen Herzanhänger, sie trägt ihn beim Krippenspiel. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Was die eklektische  Musik zu der Tränendrüsengeschichte anlangt, so kann es die handwerklich gut gearbeitete Partitur durchaus mit so manchem Broadway- Kassenschlager aufnehmen. Dramaturgischer Aufbau, Timing und rasche Szenenwechsel sind Atouts, die funktionieren. Die durchkomponierte Oper mit jeder Menge an theatertauglich rezitativisch Deklamiertem, einschmeichelnden aber wenig memorablen Ariosi und thematischen Anleihen bei manch einem Weihnachtslied kann natürlich nicht als umwerfende Schöpfung gelten. Aber sie bedient die sentimentale Vorweihnachtszeit auf gutem Niveau, ist für Jung und Alt geeignet und vom Dirigenten Bradley Moore mit Einfühlung umgesetzt. Die Kammerformation des Orchesters der Houston Grand Opera und der Juvenile Chorus sind ihm dabei engagierte und begeisterungsfähige Mitstreiter. Eine Empfehlung für ein gegenüber tonaler Musik mit einem gewissen Kitschfaktor unerschrockenes Publikum.

Ricky Ian Gordeon:                                                                                          
The House without a Christmas tree.
Pentatone American Operas 2017

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