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Oper als Trauerarbeit

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„Dido & Aeneas“ von Henry Purcell und „Erwartung“ von Arnold Schönberg : Die Bayerische Staatsoper versucht den musikdramatischen Brückenschlag zwischen Englischem Barock und Wiener Moderne. Klingt das zusammen? Von Stephan Reimertz.

Beide wurden hemmungslos verehrt, ja geliebt; der eine freilich auch gehasst. Beiden erklärte man geradezu zu Königen ihrer Nation; bei dem einen freilich steht dahin, welcher. Und beide waren, wie es Hans Heinz Stuckenschmidt über den jüngeren schrieb, »Daumenabdruck auf einem Jahrhundert«: Henry Purcell und Arnold Schönberg. Können ihre Namen in einem Atemzug genannt werden? Wenn wir uns daran erinnern, dass Henry Purcells Vater noch im Tagebuch von Samuel Pepys erwähnt ist, wir uns also in einer Erholungsphase der Monarchie nach Jahrzehnten des Puritanismus befinden, scheint der Rahmen klarer auf, aus dem ein musikdramatisches Hauptwerk wie „Dido & Aeneas“ hervortritt. Sprechen wir lieber vom Zeitalter des Neomonarchismus; wie denn das auftrumpfende Magnificat des Marc-Antoine Charpentier im selben Jahre das Licht der Welt erblickte, eine Komposition, in welcher wie in keiner anderen das Wesen Ludwigs XIV, oder, mit Ernst Jünger zu sprechen, »das Hahnenhafte der gallischen Rasse« bezeichnet ist. Understatement, Gedämpftheit, ja Versagung hingegen in der gemessenen Erzählung von der anderen Seite des Kanals. Das Textbuch von Nahum Tate zeugt von jener prägnanten Leichtigkeit, die überall dort als selbstverständlich betrachtet wird, wo das Unprätentiöse als Anzeichen der Vornehmheit vorausgesetzt wird. Schon die Wahl einer Episode aus dem Vergil statt aus den roh-mythischen Abgründen britischer Prähistorie bezeugt den Klassizismus dieser modellhaften kurzen Oper.

DIDO AND AENEAS_…ERWARTUNG_2022: A.Stundyte / (c) Bernd_Uhlig

Erlösung der Kunst oder Erlösung durch die Kunst?

Im Gegensatz zu diesem einbekannten Hauptwerk, der Krönung eines royalistischen Œuvres, haben wir es bei Schönbergs Erwartung zweihundertzwanzig Jahre später mit einem Werk des Übergangs zu tun. Zwischen den bedrohlichen Schatten von Gustav Mahler und Richard Strauss seinen Mann stehend, schleppt der junge Schönberg den ganzen Pomp des spätromantischen Orchesters mit sich herum. Er folgt ihm wie eine gespenstische Aura, doch der Künstler windet sich bereits daraus hervor, und man merkt ihm an, dass er sich als der Erlöser der Musik fühlt, wenn nicht der Kunst überhaupt. Dieser Glaube an sich selbst wird sich auszahlen: Auch andere werden ihn bald darauf als Messias anbeten. Wie Freud und Einstein ist Schönberg ein Moses, der sich nicht damit begnügt, das gelobte Land vor sich zu sehen; er will es auch betreten, ja: er will einmarschieren. Und so sind wir gut beraten, in Marie Pappenheims Libretto von der Frau, die nachts im Wald ihren Geliebten vermisst, um sodann seine Leiche zu finden, nicht anders als in Schönbergs hypertropher Partitur, neben der jene Henry Purcells dasteht wie ein Taschenbuch, nicht nur die Katastrophe einer Frau, sondern auch einer Kultur zu begreifen. Das Monodrama Erwartung ist seine eigene Erwartung samt Erfüllung, die in einer Enttäuschung besteht und in eine Katastrophe ausartet; Ahnung des Endes der Moderne aus ihren frühen Tagen.

DIDO AND AENEAS_…ERWARTUNG_2022: A.Stundyte / (c) Bernd_Uhlig

Autoausstellung statt Opernaufführung

Der kluge Dramaturg hätte Schönbergs Monodram auch vor Purcells dreiaktige Oper spannen können, um die Suche nach einer tonalen Gestalt mit ihrer vollkommenen, ausgekühlten Form zu krönen. Allein die Doppelaufführung, die am letzten Sonntag des Januars in München in Premiere ging, begann mit der Erzählung von „Dido & Aeneas“ nach dem Vergil. Der Höhepunkt der Klassizität ist mit bösen Ahnungen erfüllt, was das persönliche Geschick angeht ebenso wie jenes des Reiches. Einige Minuten durchlaufen wir dann einen Tunnel, der nicht mit Musik ausgelegt ist, sondern einem Klangteppich, um am Ende in der Moderne anzukommen. Regisseur Krzysztof Warlikowski sowie Bühnen- und Kostümbildnerin Małgorzata Szczęśniak transponieren die Szene in einen Wald, der sich in ständiger Metamorphose befindet und zwei darin herumstehende und miteinander stets korrespondierende Tinyhouses. Was immer im Innern geschieht, wird zugleich auf einer Leinwand übermittelt. Schmockstück der Inszenierung ist eine dunkelblaue Oldtimer-Limousine. Schön für Autoliebhaber und gut für den Wagen: statt auf dem Autofriedhof landet er auf der Bühne der Staatsoper. Oldtimershow plus Videoinstallation: das war schon bei Tobias Kratzer im Bayreuther Tannhäuser von 2019 Rezept für Regisseure, denen ums Verrecken nichts einfällt.

DIDO AND AENEAS_…ERWARTUNG_2022: A.Stundyte / (c) Bernd_Uhlig

Rituale des Abschieds

Die aufs Äußerste belastete und z. T. schon verlassene wohltemperierte Tonalität in Arnold Schönbergs „Erwartung“, die nervenzerrende Anspannung in einer Frau, die ihren Geliebten erwartet und seinen Tod schon fürchtet, eine quälende Latenz, wie sie nur mit dem Beginn des 3. Akts von Tristan und Isolde vergleichbar ist, all das führte uns Sopranistin Ausrine Stundyte unabweisbar vor Augen, und das Bayerische Staatsorchester unter Andrew Manze stand ihr dabei zur Seite, herausgefordert von dem Anspruch, aus dem Englischen Barock organisch in die Wiener Moderne weiterzuschwenken. Schönbergs kurz vor Durchbruch seines Zwölftonsystems vollendete Komposition sollte dabei über das Individuelle hinaus als eine Selbstverständigung der Kunst gehört werden, wie auch als Abschied von einer reichhaltigen Vorkriegsgesellschaft, von der Alten Welt und ihren selbstverständlichen Systemen überhaupt. Konsultiert man verstaubte Lehrbücher, findet man diese Komposition aus dem Jahre 1909 von Kunsthistorikern, Musikwissenschaftlern und anderen Nichtkünstlern einem »musikalischen Expressionismus« zugeordnet. Jedenfalls bricht hier das alte tonale System auf, ohne noch neu wieder zusammengefügt zu sein.

Die berühmteste Passacaglia der Weltgeschichte

Trotz des überflüssigen Klamauks und Widersinns der Szenerie bewältigt das Sängerensemble die Herausforderung dieser zwei so unterschiedlichen Kurzopern mit Bravour. Und das, obgleich alle in werkwidrige Verrenkungen und Affektationen eingespannt werden. Alles steht und fällt mit Ausrine Stundyte, der mit ihrem geschmeidigen, starken und bewunderungswürdig wandlungsfähigen Sopran die Doppelbelastung des inneren und äußeren Aufruhrs anvertraut ist sowie der Dido bei Purcell und der namenlosen Frau bei Schönberg. Seitdem die Sopranistin vor zwei Jahren in Salzburg als Elektra elektrisierte, hat sie sich immer mehr in unsere Herzen hineingesungen. Günter Papendell bietet ihr mit seinem ebenso starken wie biegsamen Bariton als Aeneas allerdings kongenialen Widerpart. Vornehm in der Erscheinung, voll und umhüllend in der Stimme besticht Victoria Randhem als Belinda sowohl musikalisch als auch schauspielerisch. Überhaupt entschädigt die Attraktivität und Ernsthaftigkeit der Sänger-Darsteller zum Teil für den Kinderladen auf der Bühne, infantiles Herumgehoppse inbegriffen. Ein Schlüsselmoment bei der Premiere war der Augenblick, als beim Schlussapplaus das Regieteam auf die Bühne trat, um sich Beifall, allerdings auch Buhrufe, abzuholen.

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