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Neuaufnahme: Jean-Philippe Rameau „Les Fêtes d’Hébé“

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oper-beitragsbildVier tolle Frauen, drei flotte Hochzeiten und die süßen Verheißungen der Oper. Von Ingobert Waltenberger.

Dirigent György Vashegyi und die ungarischen Alte Musik Institutionen „Orfeo Orchester“ und „Purcell Chor“ sind seit einigen Jahren Garanten für historisch informierte, impulsiv und dramatisch musizierte sowie mit internationalen Spitzeninterpreten besetzte Aufführungen von Vokalwerken aus der Hochblüte des französischen Barocks.

Mit hochkarätigen CD-Produktionen wie Boismortiers „Les Voyages de l’amour“, Monteclairs „Jephté“ oder Rameaus „Naïs“ und „Dardanus“ haben die ungarischen Künstler uns vom Repertoirewert sowie der künstlerischen Interpretation her auf duftig-beschwingte musikalische Reisen mitgenommen.

Der Untertitel von „Les Fêtes d’Hébé“ lautet „Les Talents lyriques“. So heißt auch eines der renommiertesten französischen Originalklangensembles, 1991 vom Cembalisten und Dirigenten Christophe Rousset gegründet. Er weist den Weg zur Handlung. Welche Talente werden in der Oper gebraucht, um die Liebe in aller Form und Pracht theatralisch gehörig hochleben lassen zu können? In der von Madame Bersin und Antoine-César Gaultier de Montdorge hochprozentig geschüttelten Librettomixtur sind das La Poésie (die Kunst der Verse und ihrer Deklamation), La Musique (Gesang und Harmonie) und La Danse (Choreographie). Ist es im Prolog die Mythologie, die für einen komischen Einstieg der Oper sorgt, so haben die Textdichter in der eigentlichen Oper auf frei variierte Themen aus der Antike zurückgegriffen.

Rameau, der gleichzeitig zu seinem Ballett „Les Fêtes d’Hébé“ an der Oper „Dardanus“ arbeitete, legte ein unglaubliches Arbeitstempo vor. Das hieß, dass er sich schamlos an früheren Eigen-Kompositionen bediente. So stibitzte er aus seinen eigenen „Pièces de clavecin avec une méthode pour la mécanique des doigts“ mehrere Tänze. Aus der Kantate „Le Berger fidèle“ hat er sich zur Arie des Mercure „L’objet qui règne dans mon coeur“ inspirieren lassen. Im Journal de Paris vom 5.1.1777 wollte man außerdem wissen, dass Rameau mehrere Stücke aus der Partitur der Tragödie „Samson“ übernommen hat, die der Zensur zum Opfer fiel.

Heute ist dieses Wissen nur noch von philologischem Wert. Die Musik funkelt und blitzt, wie wir es von den besten Rameaus her gewohnt sind. Das liegt auch an den vier Frauenfiguren, die der Handlung ihren Pepp und den Arien ihren Pfiff garantieren.

Als erste betritt die Göttin Hébé die Szene. Die Hüterin der Jugend mit ihren Rosenwangen langweilt sich auf dem Olymp mit seinen schlüpfrigen Sitten. Außerdem ist Momus hinter ihr her, der nicht auf ihrer erotischen Wellenlänge liegt. Also nichts wie hinab zu den Menschen, wohin ihr L‘Amour und die Grazien folgen. Vielleicht ist in Paris, wo den Künsten gehuldigt wird, ja etwas mehr Glück und Zerstreuung in den aktuell gezeigten Spektakeln aufzutreiben.

Der Reigen der Bühnen-Liebesgeschichten beginnt mit Sapho. Sie liebt Alcée. Dieser wurde vom König von Lesbos, Hymas, in die Verbannung geschickt, weil der eifersüchtige Thelemée ihn dazu drängte. Sapho bezaubert den König jedoch auf seiner Jagd mit allegorischen Wunderworten. Der wiederum holt den Exilierten wieder zurück. Sie bekommt also ihren süßen Dichter Alcée und alle sind happy.

Als nächstes will Iphise, Tochter des Lycurgus, König von Sparta, Tyrtée heiraten. Der ist nicht nur ein vollendeter Musiker, sondern auch ein tapferer Krieger. Ein Orakel besagt, dass Iphise nur den Bezwinger der messenischen Feinde bekommt. Tyrtée, eine Art Pavarotti des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, vermag die Lakedemonier mit seinem elfischen Gesang zu motivieren. Praktischerweise kann Iphise dem Schlachtverlauf via eines vom Orakel inszenierten Balletts folgen. Tyrtée singt und siegt und alle sind hochzeitlich erheitert.

Fehlt noch das Ballett: Die schöne Tänzerin Eglé soll sich auf einem Fest ein Ehegespons aussuchen. Da stehen zwei knackige Hirten zur Wahl: Eurilas und Palémon. Trotz exquisiten Oboenspiels und anderer pfauenartiger Schiraden verliebt sich Eglé sofort unsterblich in den als Hirten verkleideten Mércure. Natürlich wirft sie ihre Girlande ihm als Auserwählten zu. Mércure gibt seine wahre Identität preis. Terpsichore freut sich mit ihrer Schar von Nymphen, Sylven und Faunen über das Glück der Primaballerina.

Die Besetzung der Oper mit Chantal Santon-Jeffery (Hébé., Sapho, la Bergère), Marie Perbost (L’Amour, Eglé), Olivia Doray (Une Naiade, Iphise, 2., Version), Judith van Wanroij (Iphise, 1. Version), Reinould Van Mechelen (Monus, un Ruisseau, Merure), Mathias Vidal (Lycurgue), Philippe Estèphe (Hymas, Tyrtée), David Witczak (Alcée, Eurilas, Tyrtée 1. Version), Lórant Najbauer (Le Fleuve, l’Oracle), Pier Luigi Fabretti (Palémon) agiert schönstimmig und entschlossen. Sie entspricht stilistisch höchsten vokalen Standards.

György Vashegyi legt mit seinem Orchester und Chor den Rameau-Turbo ein. Und wieder einmal wird mir klar, warum Rameau mein Barocklieblingskomponist ist. Keiner vermochte es besser, orchestralen Glanz mit ironischen Brechungen flackern zu lassen, in die Arienstoffe raffiniertere Verzierungsmuster zu häkeln, Ballett und Chor freier und ausgelassener dem Leben in verschwörerischer Symbiose mit dem Publikum auftrumpfen zu lassen.

Da die bislang einzige Aufnahme der Oper mit Les Arts Florissants unter der musikalischen Leitung von William Christie derzeit vergriffen ist (bzw. nur in einer umfassenden Erato/Warner Box „The Opera Collection Rameau“ angeboten wird), schließt die Neuaufnahme eine klaffende Repertoirelücke im Katalog. Es handelt sich um eine Ko-Produktion von Müpa Budapest, dem Centre de musique baroque de Versailles und der Orfeo Music Foundation.

Anmerkung: Das vorliegende Album in der originalen Instrumentierung beruht auf der von Pascal Denécheau eingerichteten Partitur. Die Aufnahme enthält die Fassung vom Juni 1739 einschließlich des Prologs, La Poésie, La Musique (2. Fassung) und La Danse. Die meisten Änderungen von 1747, 1756 und 1764 wurden übernommen und zusätzlich die erste Version von la Musique eingespielt.

Jean-Philippe Rameau: Les Fêtes d´Hébé (1739)
Box-Set
Purcell Choir | Orfeo Orchestra
György Vashegyi | Dirigent
Glossa 2022
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