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Mozartwoche Salzburg 2018: John Eliot Gardiner und die singende Fee

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John Eliot Gardiner und die singende FeeDer Pionier des historischen Orchesterklangs erkundet mit seinen  English Baroque Soloists und drei inspirierenden jungen Musikern geheime Übergänge zwischen Oper, Symphonie und Konzert im Werk von Wolfgang Amadeus Mozart. Von Stephan Reimertz

John Eliot Gardiner erscheint wie ein gelehrter deutscher Herzog. Wenn er den Saal betritt, sehr aufrecht schreitend, zeigt sich, dass er nicht nur musikalisch ein großer Mann ist. Er überragt die meisten seiner Orchestermusiker um einen bis zwei Köpfe, ist ihnen um eine bis zwei Generationen voraus. Der englische Dirigent strahlt die Weisheit und Güte eines Mannes aus, der wie kaum ein anderer von den heute lebenden Musikern die Geschichte der musikalischen Interpretation in den letzten vierzig Jahren geprägt hat und der seine English Baroque Soloists  wie ein Orchestervater zusammenhält. Ein Ensemble, das aus lauter Solisten besteht: Welche eine Idee! Die meisten Musiker sind so jung, dass man sich fragt, wer von ihnen bei der Gründung 1978 schon dabei war, oder in den neunziger Jahren, als Gardiner mit seinem stilbildenden Originalklang-Ensemble die sieben großen Mozart-Opern auf CD einspielte. Noch heute überzeugen diese Aufnahmen mit Frische und Authentizität, was nicht zuletzt daher rührt, dass niemals im Studio nachgeschnitten wurde und die Einspielungen aus einem Guss sind; man denke nur an Gardiners legendären Idomeneo von 1991.

Ein Konzert nur mit Mozart?

Rolando Villazón, sei Juli letzten Jahres künstlerischer Leiter der Mozartwoche, hat vor kurzem angekündigt, bei der Veranstaltung im Jahre 2019 ausschließlich Musik von Mozart aufführen zu lassen. Nun haben viele Konzerte, auch in diesem Jahr, so etwa die interessante Kontrastierung von Bach und Mozart, die Sir András Schiff unternahm, unter Beweis gestellt, wie produktiv es sein kann, den Namensgeber der Mozartwoche mit anderen Komponisten in Beziehung zu setzen. Das diesjährige Konzert von Sir John Eliot Gadiner und den English Baroque Soloists wiederum zeigt, dass man auch ausschließlich auf Mozart setzen und ein überraschendes, kontrastreiches Programm anbieten kann. Dabei scheuen sich Gardiner und seine Musiker nicht, Eulen nach Athen zu tragen; von den vier Werken, die sie mitbrachten, sind drei in Salzburg komponiert.

Barbara Krafft [Public domain], via Wikimedia Commons
Barbara Krafft [Public domain], via Wikimedia Commons
Die singende Zauberfee

Mit Ouvertüre und Finale der Serenata Il re pastore boten die Gäste einen zauberischen Einstand. Denn selten bekommt man das im April 1775 komponierte Werk in der Fassung zu hören, mit der Gardiner die Zuhörer in Salzburg überraschte. Es handelte sich um die höchst reizvolle Anordnung einer dreiteiligen C-Dur-Symphonie, die im Mittelteil eine Andantino-Arietta enthält. Die Arie der Aminta an den Bach: Intendo amico rio, nach dem Libretto von Pietro Metastasio, sang die junge aus Lancashire stammende Konzertsolistin Angela Hicks, die auf der Bühne charismatisch wirkte. Auch später, als sie unter uns Normalsterblichen erschien, wirkte sie im schlichten Kleid wie eine junge Fee. Schon das erste Stück bewies indes, dass Gardiner Übergänge im Werk Mozarts erspüren will. Oper und Symphonie zeigten sich hier als zwei Seiten derselben Medaille.

Ein Chef-d’œuvre der Musikgeschichte

Der Dialog zwischen Soloinstrumenten und Orchester, zwischen Konzert und Symphonie wird in Mozarts Werk nirgends so auf die Spitze getrieben wie in der Sinfonia Concertante. So ist es zu bedauern, dass der Komponist in dieser ihm besonders gemäßen Form nur drei Kompositionen hinterlassen hat. In Salzburg stand das erste Beispiel, die Sinfonia concertante für Violine und Viola Es-Dur (KV 364/320d) auf dem Programm. Der Musikwissenschaftler Ulrich Drüner hält diese Komposition für Mozarts »Durchbruch zum Genie«. Wir haben ein Hauptwerk der Musikgeschichte vor uns, und die sensible Ausarbeitung, in der Gardiner, sein Orchester und die beiden Solisten die Komposition vortrugen, war ein Geschenk an alle, die dabei sein durften. Die Violinistin Isabelle Faust und der Bratschist Antoine Tamestit lösten sich in den vom Komponisten selbst geschaffenen Kadenzen aus dem Orchesterklang zu einem instrumentalen Zwiegespräch, bei dem die Zuhörer die Luft anhielten. Hohe musikalische Bewusstheit verband sich mit künstlerischer Reife zu einer Botschaft von außergewöhnlicher Schönheit und Perfektion.

Am Anfang eines neuen Lebensgefühls

Ein Werk der Übergänge, in dem das Symphonische insgeheim mit der Oper korrespondiert, ist auch die Symphonie in G-Dur KV 318 aus demselben Jahr. Der dreiteilige erste Satz legt nahe, dass der Komponist ihn als Ouvertüre zu einer Oper oder einem Theaterstück vorgesehen hatte, und der ausgesprochen konzertante Charakter bricht in Flöten-, Oboen-, Trompeten- und Fagottpaaren ebenso durch wie in den satten Passagen der vier Hörner. Die jungen englischen Barocksolisten musizierten mit einem Enthusiasmus, der auf die Zuhörer übersprang. In solcher allgemeinen Gestimmtheit  mündete das Konzert in die Aufführung einer der drei großen Symphonien des Komponisten: jener in Es-Dur KV 543, seiner drittletzten und dem ersten Teil des symphonischen Triptychons, welches am Ende eines Lebens und zugleich am Anfang eines neuen Lebensgefühls steht. Wir befinden an der Schwelle eines anderen Bewusstseins, und der Komponist ist der Moses, der das neue Land noch sehen aber nicht mehr betreten sollte.

Die Kraft authentischer Klassik

Jung noch, aber voll intuitivem Wissen um diese Zusammenhänge tragen die englischen Barocksolisten das Schlüsselwerk vor. Dazu wird kurz umgebaut, und alle Musiker, die mit ihrem Instrument dazu in der Lage sind, wie Geiger, Oboisten usw., spielen die Symphonie im Stehen. Es ist der jubelnde Abschluss eines Konzerts, das man klassisch nennen konnte. Denn der Klang, wie wir ihn heute genießen dürfen, wurde der Musikwelt nicht geschenkt. Er ist Ergebnis jahrzehntelanger Forschungs- und Aufführungsarbeit vor allem solcher Pioniere wie Nikolaus Harnoncourt, René Jacobs, András Schiff, John Eliot Gardiner und vieler anderer, die seit den siebziger Jahren daran arbeiten, den schweren spätromantischen Vorhang vor der Musik des achtzehnten Jahrhunderts wegzureißen und uns unsere Klassik in ihrer ganzen Frische, Kraft und Authentizität zu offenbaren.

 

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