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Mit Cowboyhut, Sheriffstern und Mauser in Island: Joachim B. Schmidt: „Kalmann“

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LiteraturRezension von Barbara Hoppe.

„Noch nie habe ich die Kontrolle über eine Romanfigur so sehr verloren wie über ihn“, sagt Joachim B. Schmidt, geboren in Graubünden, wohnhaft in Reykjavik, über Kalmann, Held seines vierten Buchs. Aber kein Grund zur Sorge. Kalmann schafft das ganz prima allein. Obwohl er allgemein als der Dorftrottel von Raufarhövn (sprich: Reuwarhöbb) gilt. Oder auch als selbsternannter Sheriff des kleinen, keine 200 Einwohner zählenden Orts ganz im Norden von Island.

Mit Cowboyhut, Sheriffstern und Mauser wandert er durchs Dorf. Oder er geht auf Haifischjagd. Denn Kalmanns Gammelhai ist der beste nach dem seines Großvaters. Letzterer war es, der Kalmann auf das Leben vorbereitete. Und zwar jenseits von Schulbildung. Denn Kalmann ist manchmal ein bisschen langsam im Kopf. Doch sein Großvater lehrte ihn das Fischen und Jagen und dass man auf sein Bauchgefühl hören muss. Und das macht Kalmann besser als jeder andere im Ort.

Als Kalmann auf seinen Streifzügen über die weiten Ebenen auf eine Blutlache stößt, überstürzen sich die Ereignisse im ruhigen Leben des jungen Manns. Denn Róbert McKenzie, der König von Raufarhövn, ist verschwunden. Doch das Blut, so stellt sich schnell heraus, ist seines. Polizei und Rettungswache fallen ins Dorf ein. Doch kein Grund zur Sorge. Kalmann hilft, wo er helfen kann.

Man kann von Glück sagen, dass Joachim B. Schmidt die Kontrolle über seine Romanfigur verloren hat. So können wir Leser genussvoll in die Welt Kalmanns eintauchen, seine naive Sicht auf die Welt einnehmen, die hellsichtiger ist als die manches Zeitgenossen. Denn Kalmann weiß sehr wohl, wie es um ihn steht. Und diese Position behauptet er ausgesprochen selbstbewusst, wenn auch bisweilen mit leichter Verwirrung und Unsicherheit, aber immer mit reinem Herzen. Sein bester Freund ist Noí, ein Computernerd aus Reykjavik und den Kalmann nie persönlich kennenlernt.

Und eigentlich mögen alle den seltsamen Eigenbrötler recht gern. Da ist Magga, die an einem Stück Gammelhai erstickt. Wer soll ihn jetzt zum Großvater ins Pflegeheim fahren? Und Nadja, die hübsche Litauerin, die in Róbert McKenzies Hotel arbeitet und zwielichtige litauische Freunde hat, obwohl sie zu Kalmann immer so nett ist. Mit dem Vermisstenfall verstrickt sich Kalmann in eine für ihn unübersichtliche Gemengelage. Glücklicherweise gibt es ja noch Mama, die alles wieder richtet und Birna, die nette Polizistin.

Unaufdringlich verknüpft Joachim B. Schmidt eine spannende Kriminalhandlung mit dem Leben in einem von der Welt vergessenen Ortes und seiner Bewohner. Denn Raufarhövn ist ein aussterbendes Dorf. Die Fangquoten sind verkauft, der Hafen nur noch ein Schatten seiner selbst, die großen Hallen am verrosten. Der verzweifelte Versuch, mit aufsehenerregendes Steinbergen Touristen anzulocken, scheitert am Geld. So schafft der Autor ganz nebenbei noch eine zweite Hauptfigur: Das Land und die Leute in einem Island, das weitab jeder touristischen Verklärung, von Islandponys und heißen Quellen liegt. Ein Land, in dem noch im Mai der Schnee fällt und dreckige Pfützen die öde Landschaft durchziehen. Wo Menschen hart arbeiten und wenig Geld verdienen, und wo Reykjavik als Großstadtmoloch und Sonne bei fünf Grad als Frühling wahrgenommen werden.

Wer sich auf den durch und durch liebenswerten Kalmann und seine schlichten Weisheiten einlässt, entdeckt neue Welten. Und bekommt ganz nebenbei auch die Antwort darauf, was zuerst da war: Das Huhn oder das Ei.

Joachim B. Schmidt
Kalmann
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Dieser Beitrag erschien in leicht gekürzter und veränderter Form auf den „Entdecken“ – Seiten der Bergedorfer Zeitung.

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