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Menschen im Museum: „Das Nasse-Mäntel-und-Pelze-Workout“

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Kolumne von Susanne Falk.

Ich war so fertig wie noch nie in meinem ganzen Leben zuvor. Ich bin kein sportlicher Typ, und das hier, daran gab es keinen Zweifel, war das härtestete Workout, das ich je absolviert hatte.

Es war Tag der Ausstellungseröffnung und die geladenen Gäste strömten bereits ins Haus. Ihr erster Gang: zur Garderobe. Und da stand ich, bereit dem Feind zu begegnen. Und der Feind hieß: nasse Wolle.

Neben den vielen Tätigkeiten, die ich in Museen schon ausgeführt habe, war dieser Job ohne Zweifel der schlimmste. Als Garderobiere stand ich sommers manchmal stundenlang herum und wartete auf Besucher, die, meist aufgrund des schönen Wetters, nicht kamen. Es war zum Sterben langweilig. Bücher lesen war unerwünscht (und fand demzufolge heimlich unterm Tisch statt). Wenn sich dann doch einmal jemand ins Museum verirrte, hatte der oder diejenige meistens keine Jacke dabei, höchstens mal einen Rucksack. Ich war nahe am Bore-Out.

Und dann gab es die kalten Regentage, wenn Touristen und Wiener das Haus stürmten, um ihre Freizeit bei uns zu verbringen, Tonnen von Jacken, Regenschirmen und Taschen bei mir an der Garderobe deponierten und die jeweilige Ausstellung besuchten. Das Dumme an der Sache: Der Eintritt ins Museum war bereits so teuer, dass die Leitung des Hauses beschlossen hatte, dass die Garderobe dafür umsonst sein müsse.

Nun ist es so, dass der Mensch wenig denkt und die Brieftasche lenkt. Und wenn die Geldbörse gar nicht erst hervorgeholt werden muss, kommt kein Besucher auf die Idee, dass man vielleicht auch Trinkgeld geben sollte. Bei einem Lohnniveau, das in etwa so hoch liegt wie der Spannteppich auf dem Fußboden der Direktion, sind Garderobieren und Garderobier (ja, das gibt es auch in männlich) aber auf Trinkgeld angewiesen, sonst bleibt am Ende des Einkommens eindeutig zuviel Monat übrig. Und deshalb freute sich die Belegschaft stets auf die Vernissagen.

Wer zu einer Vernissage eingeladen wird, der gehört meist einer gehobenen Einkommensschicht an. Wer dort arbeitet nicht. Darum ist es nur fair, wenn man die feineren Damen und Herren ihre Börsen zücken lässt und sie via eines Schildes und eines Körberls um Trinkgeld bittet. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten können scheißen gehn‘, wie der Wiener sagt. Und die oberen Zehntausend lassen sich da meist nicht lumpen. Blöderweise gehören allerdings auch ihre Wintermäntel einer anderen Gehaltsklasse an und die wiegt schwer.

Wenn Sie glauben, Sie sind hart im Nehmen und völlig durchtrainiert, dann schlage ich Ihnen vor, doch mal bei einer im tiefsten Winter stattfindenden Vernissage dicke Pelze (ohnehin ethisch bedenklich) und feuchte Wintermäntel zu stemmen und zwar zwei Stück im Zehn-Sekunden-Takt, drei Stunden lang. Auf, ab, auf ab, Zettel herausgeben, Zettel entgegennehmen, Fräulein, geht des ned a bisserl schneller… Ich schwöre, ich habe an diesem Abend sämtliche meiner Sünden abgebüßt. Das satte Trinkgeld war am Ende zwar ein kleiner Trost, aber eben nur ein kleiner. Zuhause angekommen konnte ich weder mich noch meine Arme mehr spüren. Ich hatte so viel totes Tier in der Gegend herumgetragen, wie sonst nur eine Fleischereifachverkäuferin im Supermarkt kurz vor Heiligabend.

Wenn Sie also das nächste Mal die Freude haben, jemandem Ihren Mantel, Ihren Rucksack oder Ihren nassen Schirm für eine Weile anzuvertrauen, dann denken Sie daran, dass dieser jemand heute vielleicht das härteste Workout seines Lebens absolviert. Das verdient Anerkennung. Und mindestens einen Euro Trinkgeld.

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Ein Gedanke zu „Menschen im Museum: „Das Nasse-Mäntel-und-Pelze-Workout““

  1. Laut SPON von heute ist Wien erneut die lebenswerteste „Stadt der Welt“. Welch schöner Zufall, diesen besonders charmanten Artikel gerade heute im immer lesenswerten Feuilletonscout zu finden.

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