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Menschen im Museum: „Das kleine Ich-bin-Ich“

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Menschen im Museum. Kolumne von Susanne Falk

Kolumne von Susanne Falk.

Da saß ich, auf dem Sofa, neben einer mir völlig unbekannten Frau. Ich war klein, blond, trug weiße Stricksocken und war offensichtlich quietschvergnügt. Mein etwa zwölfjähriges Ich stand plötzlich meinem zweijährigen Ich gegenüber und dieses kleine Ich-bin-Ich trug sogar meinen Namen. Einziger Schönheitsfehler: Das Bild war 1885 entstanden. Ich wurde aber erst 1976 geboren.

Carl Olof Larsson ist bekannt für idyllische Familienszenen. Es gibt zahllose Bilder seiner Kinder, die, postkartenwürdig, entweder unter Birken und blühenden Apfelbäumen picknicken oder an Weihnachten auf Einlass in die gute Stube warten. Es sind Bilderbuchszenen eines Schwedens, deren Ästhetik bis heute nachwirkt. Egal wie sehr man versucht, uns das Hygge-Lebensgefühl (und ja, mir ist bewusst, dass hygge Dänisch und nicht Schwedisch ist) als etwas vollkommen Neues zu verkaufen – Carl Larsson hat es schon vor gut 140 Jahren auf Leinwand und Papier gebannt.

Unter seinen vielen Kindern (sieben haben das Erwachsenenalter erreicht) findet sich auch meine Doppelgängerin: Suzanne war Larssons erstes Kind, geboren 1884. Ihr Vater hat sie über die Jahre hinweg oft und immer wieder gezeichnet und gemalt, u.a. in dem Bild „Lilla Suzanne“ von 1885, dass sie mit ihrer Mutter zeigt und das mir zum ersten Mal im Sommer 1989 in einer Larsson-Ausstellung in Norwegen begegnete. Seitdem bin ich dem Larsson-Idyll verfallen. Kein Hygge-Magazin und kein IKEA-Katalog kann das Gefühl der skandinavischen Idyllische so gut vermitteln wie Larssons Kinderbilder.

Nun hat es durchaus etwas Gespenstisches sich selbst in einem Bild zu begegnen, das rund 90 Jahre vor dem Tag der eigenen Geburt entstanden ist und natürlich sehen sich blonde kleine Mädchen alle irgendwie ähnlich. Dass ich mich hier selbst erkannte lag sicher auch am Namen. Dennoch – es war wie ein Blick in einen sehr besonderen Spiegel.

Ist man zwölf, fast dreizehn, dann hat die Suche nach der eigenen Identität gerade erst begonnen. Es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis man weiß, wer man ist. Umso erstaunlicher einer Person zu begegnen, die einem diesbezüglich 90 Jahre voraus ist. Das ist ein bisschen so, als schaute man sich alte Familienfotos an und entdeckt plötzlich, dass man der Urstrumpftante erstaunlich ähnlich sieht. Natürlich identifiziert man sich mit dieser Tante sogleich, wird allerdings in den wenigen Fakten und Anekdoten, die von ihr überliefert sind, sich selbst schwerlich wiederfinden. Drum beginnt man flugs, die eigene Persönlichkeit auf das gemalte oder fotografierte Gegenüber zu projizieren und schon ist sie geboren, die Doppelgängerin.

Mein älteres Kind ist jetzt im gleichen Alter wie ich damals und natürlich halte ich auf alten Gemälden nach seinem Gesicht Ausschau. Gefunden hab ich ihn noch nicht. Und vielleicht ist das auch nicht meine Aufgabe sondern seine. Sich in den Bildern Carl Larssons wiederzufinden ist leicht, denn wer will nicht Teil dieser heilen Welt sein – und sei es auch nur, um sich einen Augenblick lang vom allgemeinen Irrsinn unter Birken und blühenden, schwedischen Apfelbäumen auszuruhen.

Falls Sie in Zukunft den Weg nach Sundborn in Schweden finden sollten, dann schauen Sie auf jeden Fall im Larsson-Museum vorbei: Falls nicht – Carl Larssons Welt ist überall und sei es auch nur im Postkartenformat.

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