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Literatur: Jack London: „Mord auf Bestellung“

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Eine Rezension von Barbara Hoppe

Mord auf Bestellung von Jack London
Coverabbildung © Manesse Verlag

Jack London kannte ich bisher nur aus dem Bücherregal meines großen Bruders. Dort stöberte ich immer leidenschaftlich und jedes Mal blieben meine Augen an dem „Seewolf“ hängen. Ein Buch, das für ein kleines Mädchen nicht nur vom Titel, sondern auch von der gesamten Aufmachung ein echtes Jungenbuch war und nur für den Augenblick meine Aufmerksamkeit auf sich zog, bevor ich es wieder links liegen ließ.

Nun, 40 Jahre später, komme ich doch noch zu meinem Jack London. Vor mir liegt „Mord auf Bestellung“, ein Agententhriller dieses Autors mit dem wilden Leben. Nicht irgendein Agententhriller, sondern der erste der Weltliteratur neben „Der Geheimagent“ von Joseph Conrad. Doch was man da liest überrascht. Agenten? Thriller? Spannung? Ausgeklügelte Finten? Verwirrspiele? Ja, irgendwie alles da. Aber wer einen John le Carré erwartet wird enttäuscht – oder positiv überrascht. Jack London liegt es fern, einen vor Spannung knisternden Krimi zu schreiben. Dabei gäbe der Plot es durchaus her. „Mord auf Bestellung“ ist ein philosophisches Gedankenspiel über Moral, Ethik, Justiz, Gesellschaft und das Töten. Dass es am Ende jede Menge Tote gibt, ist eher eine hinzunehmende Begleiterscheinung, die meist nur beiläufig Erwähnung findet.

The Assassination Bureau Ltd.

Die Ausgangslage ist so originell wie schnell zusammengefasst: Eine Agentur erledigt Auftragsmorde an Mitgliedern der Gesellschaft, die es nach eingehender Prüfung durch den Chef der Organisation verdient haben, zu sterben. Der moralische Kodex ist sehr hoch. Die Gruppe mit den perfekt ausgebildeten und hoch intellektuellen Killern steht ganz im Dienste dieses Kodex und folgt ihm bis zum bitteren Ende – dem Denken mehr verhaftet als dem Leben. Eines Tages sitzt Winter Hall, ein ebensolcher Moralist wie Sergius Constantine, der Chef des Assassination Bureaus, eben diesem gegenüber und fordert dessen Tod. Nach einem tagelangen Disput sieht sich Constantine – ganz den moralischen Prinzipien seiner Agentur folgend – würdig zu sterben. Er setzt seine eigenen Killer auf sich an. Es beginnt eine Jagd um den halben Kontinent auf Leben, Tod und Überleben der Agentur.

Sinclair Lewis und Robert L. Fisch – Anfang und Ende des Romans

Interessant dabei ist, dass die Szenerie nicht Jack Londons Idee war, sondern die eines gewissen Sinclair Lewis, der 1911 ein glückloser 26-jähriger Journalist und Schriftsteller mit vielen Ideen, aber ohne schriftstellerisches Know-how war. Erst 1930 sollte er als erster Amerikaner den Nobelpreis für Literatur erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war Jack London schon 14 Jahre tot. Aber bis dahin sollte es noch ein langer Weg für Lewis sein und aus Geldmangel verkaufte er seine Ideen und Jack London – erfolgreicher Romanproduzent, dem selbige mehr und mehr ausgingen – kaufte sie ihm gern ab, wenn er auch nur einen Bruchteil davon verwertete.  Es war also Sinclair Lewis‘ Idee, die Jack London in „The Assassination Bureau“ begann zu entspinnen – und an der er scheiterte. Ungefähr bei der Hälfte der vorliegenden Fassung warf er das Handtuch.

Und dennoch – das Buch wurde zu Ende geschrieben und ungefähr in der Mitte fing ich richtig Feuer. Der Autor kam in Schreiblaune, die Sätze wurden flüssiger, der Ausdruck einen Hauch poetischer. Denn bei aller Originalität war die Distanz zwischen Jack London und seinem Text bis dahin spürbar geblieben. Diese schrumpfte nun, die Handlung entwickelte eine Sogwirkung und wurde trotz der Mord(s)geschichte zunehmend humorvoller. Erst am Ende erklärt ein Nachwort dieses stilistische Phänomen: Jack London hatte nämlich längst aufgegeben, und was – oder vielmehr wer – mich so begeisterte war Robert L. Fish, der den Roman 1963 zu Ende schrieb. Fish hatte bis dato nur ein einziges Buch geschrieben– The Fugitive – für das er aber gleich den Edgar Allan Poe Preis erhalten hat. Bis zu seinem Tod 1981 folgte ein wahrer Romanrausch: Rund 40 Bücher schuf er, darunter zahlreiche Kriminalromane, so z.B. auch Mute Witness, der als Bullitt mit Steve McQueen verfilmt wurde.

Was wie ein Bruch daherkommen könnte,  ist dennoch durch und durch geglückt. Fish gelingt es ausgezeichnet, an Jack Londons Stil und seine Gedankengänge anzuknüpfen, obwohl mehr als 50 Jahre dazwischenliegen. Hat der Ältere noch ein Abbild der amerikanischen Gesellschaft gezeichnet und deren Stand im politisch-philosophischen Diskurs von 1911 nicht nur beschrieben, sondern in intellektuellen Gesprächsrunden im Kreis der Mörderriege nachempfunden, nimmt die Geschichte unter Fishs Regie an Fahrt auf, was ihr durchaus gut tut. Ausdrücklich muss man das Ende loben, oft ein Schwachpunkt in verschachtelten und sorgfältig ausgetüftelten Krimis. Fish gelingt es, einen angemessenen, fast tragisch-komischen Schlusspunkt zu setzen.

Fazit: „Mord auf Bestellung“ ist kein Agententhriller und kein Kriminalroman, sondern ein unterhaltsamer Philosophiediskurs unter Moralfanatikern vor dem Hintergrund der amerikanischen Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts, bei dem es en passant jede Menge Tote gibt.

Übrigens – Jack London hat am 22. November dieses Jahres seinen 100. Todestag.

Jack London
Mord auf Bestellung
Manesse Verlag, München 2016
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