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Leoš Janáčeks musikgeschichtliches Juwel

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Wildtiere in der Stadt werden von den Bewohnern meist ungern gesehen. Nicht so das Füchslein Schlaukopf in München. An der Staatsoper bereiteten ihm die Münchner einen begeisterten Empfang, wenn auch auf 50% der üblichen Besucher reduziert. Regisseur Barrie Kosky und Bühnenbildner Michael Levine schufen eine ästhetisch und dramaturgisch überzeugende Version der beliebten Oper. Die litauische Kapellmeisterin Mirga Gražinytė-Tyla erweist sich erneut als zupackende und zugleich subtile Musikdramatikerin. Das Regiekonzept bricht vollkommen mit der Aufführungstradition des Werkes. Von Stephan Reimertz.

Das ist eine Oper wie keine andere. Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček, englischsprachig als Cunning Little Vixen bekannt und im böhmischen Original Příhody lišky Bystroušky (wörtlich: Die Abenteuer der Füchsin Schlaukopf), stößt das Tor zu einem poetisch-phantastischen Kunst-Naturreich auf, von dessen Existenz vor Janáček niemand etwas ahnte. Im selben Jahr, da Franz Kafka den Hungerkünstler schrieb, seine Tätigkeit bei der Versicherung beendete und sein Testament aufsetzte, stieß sein böhmischer Landsmann in eine weiße Dämonie vor, welche die Kunst zuvor selten gekannt hatte und das Musiktheater noch nie. Daher gibt es auch keine Vergleiche, mit denen man die Anfang November 1924 am »Theater auf den Schanzen« in Brünn uraufgeführte Oper beschrieben könnte.

Wer sagt, das Schlaue Füchslein sei, trotz Jenůfa und Káťa Kabanová seine Lieblingsoper von Janáček, findet darin Unterstützung vom Komponisten selbst, dem es nicht anders ging. Mit der wabernden, wuchernden – freilich stets künstlichen – Naturwelt auf der Bühne machte sich der Maestro ein Geschenk zu seinem siebzigsten Geburtstag, und er öffnete hier eine neue Welt, welche ebenso stark und zwingend erscheint wie die Welt Kafkas. Tatsächlich gibt es eine Persönlichkeit, welche die beiden Künstler verbindet: den Schriftsteller Max Brod. Kafkas bester Freund schuf auch die deutsche Fassung zu Opern von Leoš Janáček, darunter dem Schlauen Füchslein, allein man kann nicht behaupten, er habe die revolutionäre Ästhetik dieser Musik verstanden, vielmehr romantisierte Brod die Oper mit seinen Eingriffen. Kafkas Werk hat Brod bekanntlich gerettet, allein das Schlaue Füchslein hat er verhunzt. Mit gutem Grund entschied sich die Bayrische Staatsoper daher für die böhmische Originalfassung. Wie gut die vorwiegend deutschen Sänger mit Hilfe ihrer Sprachcoaches die nord- und südböhmischen Dialekte gemeistert haben, kann ich natürlich nicht beurteilen. Eines erschließt sich freilich auch dem Besucher, der des Böhmischen nicht mächtig ist: Der Komponist hat seine unerhörten Klänge dicht an den Vokalen und Konsonanten seiner Muttersprache entlang entwickelt, welche hier in einer für dieses konsonantenreiche Idiom seltenen Schönheit erklingt.

Die Inszenierung hätte Peter Altenberg gefallen

Wolfgang Koch als Förster, Elena Tsallagova als Füchslein Schlaukopf und Sylvia Langenhein als junges Füchslein Schlaukopf machen von Anfang an klar, wie Menschen- und Tierwelt sich nur scheinbar durchdringen, doch in Wirklichkeit nebeneinander herlaufen. Alle Sänger haben eine phantastische Vorarbeit geleistet, um diese rhythmisch und melodisch, vor allem aber semantisch unendlich facettenreiche Partitur zu vergegenwärtigen und in einem dramatischen Geschehen auf den Punkt zu bringen. Erstaunlich ist auch die Leistung der Kapellmeisterin Mirga Gražinytė-Tyla und dem Bayerischen Staatsorchester, das sich hier in ein Groß-Kammerorchester aus lauter Solisten verwandelt und erst im Laufe des dritten und letzten Aktes zur symphonischen Einheit verschmilzt. Wir haben es mit einer musikalischen ironisch-erotischen Naturmystik zu tun, welche allenfalls bei Debussy Parallelen findet, etwa im Faun. Janáčeks von der Seinsfülle durchströmtes Werk ist mit Kafkas Purifikation allein in ihrer absoluten Präzision verbunden, ansonsten diametral entgegengesetzt und ließe sich eher in Beziehung setzen zu den keimig-kreatürlichen Schöpfungen in einem künstlerischen Werk aus einer ganz anderen Generation wie dem von Karel Appel, auf dessen Retrospektiven wir an dieser Stelle mehrfach eingegangen sind. Da Regisseur Barrie Kosky, Bühnenbildner Michael Levine und Kostümbildnerin Victoria Behr aus gutem Grund mit der inzwischen hundertjährigen Aufführungstradition dieses Werkes, ihren Fuchsohren und Tiermasken, gebrochen haben, werden wir mit tierisch-menschlicher Direktheit konfrontiert und sehen Waldnymphen auf dem Übergang von der Kindheit zum Frausein.

Wer noch die Bayreuther Meistersinger von Regisseur Kosky im Kopf hat mit ihrer aufdringlichen Belehrungsregie, wird jetzt beim Schlauen Füchslein angenehm überrascht. Im ersten Moment, wenn man des Lamettavorhangs vor schwarzem Grund ansichtig wird, mag man noch fürchten, es mit Stadttheatermodernismus zu tun zu bekommen, allein die formale und farbliche Reduktion erweist sich in der Folge als unendlich variabel, und das flirrende Silber ist in ständiger Bewegung und Veränderung, die ewige Metamorphose des Seins andeutend. Von nachgerade göttlicher Komik erweist sich der Hühnerhof mit Hahn Andres Agudelo unter seinem Zylinder und Schopfhenne Eliza Boom, eine Welt in Knallgelb als Kontrapunkt.

Das Fehlen der Fuchsschwänze und –öhrchen kann der Zuschauer leicht verkraften, wird er doch mit einer durchdachten Bühnenikonographie konfrontiert, die dem Kern des Werkes näher kommt als bisherige Inszenierungen. »Janáček dokumentiert das Tierische in den Menschen und das Menschliche in den Tieren«, sagt Barrie Kosky. »Im Gegensatz zur Aufführungstradition, die dazu neigt, das Stück als Kinderoper zu verniedlichen, bin ich sicher: Hier geht es ums ganz Große, das holistische Menschsein. Harmlos und süß ist hier nichts, aber auch gar nichts. Pelze, Tierschwänze und Masken wären ein Irrweg.«

Kind – Mädchen – Frau: Die Waldnymphe als das Sein schlechthin

Wie erstaunlich ist diese Mirga Gražinytė-Tyla! Ihr schwungvolles, stets auf dem Punkt strebendes, vor allem aber mitreißendes Dirigat, welches jede einzelne Stimme aus dem Halbdunkel des Orchestergrabens herauszumodellieren scheint, schlägt Orchestermusiker und Zuhörer in Bann, und gelegentlich glaubt man, eine Joana Mallwitz mit neuer Frisur vor sich zu haben. Man braucht eine Haltung zu dieser Musik, sonst findet man keinen Zugang. So universell Thema und Gestaltung, so subtil die Bezüge zu den insbesondere melodischen Traditionen der böhmisch-mährisch-österreichisch-ungarischen Welt, welcher das Werk entstammt, nicht minder allgegenwärtig die dialektische Auseinandersetzung mit der Kontrapunktik der Wiener Moderne.

Die Produktion setzt den Weg der Moderne, aus der das Werk kommt, konsequent fort. »Zugegeben, ich war verwundert, als Barrie mir seine Idee präsentierte: keine Tiermasken. keine Imitation von Tieren, kein Wald«, räumt die Kapellmeisterin ein, benennt aber sofort die Vorteile des neuen Regiekonzepts: »Es erlangt alles eine Direktheit, niemand kann sich hinter tierischen Verhaltensweisen verstecken, niemand kann sich distanzieren.« Es ist eine Initiationsgeschichte, das Werden eines Kindes zum Mädchen und dann zur Frau; allein das Füchslein Schlaukopf steht für die ganze Schöpfung, ihr Werden und Vergehen, ihr Ewiges im Augenblick, ihre Geschichtslosigkeit. Ein ganzer Wurf von Jungmädchen huscht immer wieder über die Bühne; die Darstellerinnen sind in Wirklichkeit älter, allein Janáček offenbart uns hier auch das Walddämonische, Füchsische des jungen Mädchens, und Barrie Kosky hat als Opernregisseur sein Meisterwerk abgeliefert. Angesichts dieser einzigartigen Oper hören und sehen wir wiederum, wie der moderne Künstler sein Material und die Gesetze seiner Durchführung völlig neu erschaffen sollte, wenn er uns einen frischen Zugang zum Sein eröffnen will. Die intellektuell und künstlerisch herausragende Produktion der Bayrischen Staatsoper zeigt uns, wie ein fähiges Regieteam dem Werk eine Gegenwelt zur Seite stellt, damit beides sich gegenseitig erhellen kann.

Alle Vorstellungen bis Ende Juli hier


Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
80539 München



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