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Le Roi, c’est… Janet Lewis und ihr „Verhängnis“

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LiteraturRezension von Barbara Hoppe.

Ernest Hemingway und Janet Lewis, deren Werk der dtv Verlag gerade (wieder) entdeckt, waren Zeitgenossen. Mehr noch: Sie gingen gemeinsam im Chicagoer Vorort Oak Park zur Schule. Doch während der eine nicht nur Kurzgeschichten und Romane schrieb, sondern auch als Reporter, Kriegsberichterstatter, Abenteurer, Hochseefischer, Großwildjäger, Nobelpreisträger, Alkoholiker und Selbstmörder zu Ruhm kam, heiratete die andere, ging mit ihrem Mann nach Kalifornien, erkrankte an Tuberkulose, zog zwei Kinder groß, schrieb Romane, Gedichte und Libretti und starb schließlich 1998 im Alter 99 Jahren friedlich in Los Altos.

So viel zur historischen Einordnung von Janet Lewis. Und so viel zu Ernest Hemingway, der mit dieser intelligenten Frau, die nicht nur schrieb, sondern auch Mitglied des P.E.N. Clubs war, Lehraufträge an der Stanford University und der University of California in Berkeley wahrnahm, Mitglied in der American Academy of Arts and Sciences wurde, sich politisch engagierte, gegen den Rassismus gegenüber Indianern und Schwarze kämpfte und pazifistisch aktiv war, nichts weiter gemein hatte.

Janet Lewis schrieb drei historischen Romane, von denen „The Wife of Martin Guerre“ („Die Wiederkehr des Martin Guerre“), der 1982 mit Gerard Dépardieu und Nathalie Baye und 1993 in einer US-amerikanischen Adaption mit Richard Gere und Jodie Foster unter dem Titel „Sommersby“ verfilmt wurde, der bekannteste ist. (Daneben schrieb sie daraus auch das Libretto für den Komponisten William Bergsma).

Ausgangspunkt ihrer Werke ist ein Buch, das ihr ihr Mann, der Literaturkritiker Yvor Winters schenkte: In „Famous Cases of Circumstantial Evidence“ hatte Mitte des 19. Jahrhunderts Samuel March Phillipps, ein britischer Staatsbeamter und juristischer Kommentator Fälle, deren Urteile nach Indizien gefällt wurden, zusammengestellt. Für Janet Lewis waren sie Grundlage und Inspiration zugleich. Aus einem kleinen Kern macht sie große Romanliteratur, die weit von kitschigem Historiendrama, schwülstiger Liebesgeschichte oder moralisierendem Zeigefinger entfernt ist.

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Cover: dtv Verlag

In „Verhängnis“ ist es ein Pamphlet, das Ludwig den Vierzehnten, den Sonnenkönig, und seine Mätressenwirtschaft am Hof von Versailles diffamiert. Der König zürnt und verfügt, den oder die Urheber des Flugblatts mit dem Tod zu bestrafen. Im Buchbindermilieu gehen daraufhin die Alarmglocken an. Der Beruf ist nicht ungefährlich, immer wieder kursieren Listen mit verbotenen Schriften, die nicht gedruckt werden dürfen. Der ehrbare und königstreue Buchbinder Jean Larcher hält sich daran. Doch als sein Geselle mit des Buchbinders Frau ein Verhältnis beginnt, werden die verbotenen Schriften plötzlich willkommenes Mittel zum Zweck, den Ehemann aus dem Weg zu räumen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Die Faszination der Lektüre liegt darin, dass es Janet Lewis gelingt, einen Roman zu schreiben, der fesselt und trotzdem mit einer gewissen Distanz zu ihren Figuren die Geschichte dieser unglücklichen Dreiecksbeziehung erzählt. Janet Lewis hat für „Verhängnis“ sorgfältig recherchiert. 1950 erhielt sie ein Stipendium der John Simon Guggenheim Stiftung, so dass sie nach Paris reisen und in den Archiven stöbern konnte. Die Mühe überträgt sich auf die Lebendigkeit ihrer Schilderungen über Paris im 17. Jahrhundert. Sie schildert ein facettenreiches, detailliertes Porträt Frankreichs im Jahr 1694, in dem die Pariser Not leiden, die Brotpreise steigen und der Sonnenkönig im 51. Jahr seiner Herrschaft seinem luxuriösen Tagesablauf frönt. Kenntnisreich schildert Lewis das Leben bei Hofe: Das Aufstehen am Morgen – das „Lever“ -, die Rasur, das Anbiedern der Entourage, das politische Tagesgeschäft, die dienstbaren Geister am Hof, die Polizeiarbeit und setzt all diese Verrichtungen in Bezug zum Leben der Pariser Bevölkerung und dem Leben in Armut. Ihr Roman bringt dem Leser das Leben um 1700 näher als es jedes Geschichtsbuch könnte. Jean Larcher, seine Frau Marianne und der Unheil bringende Geselle Paul Dumas stehen stellvertretend für eine verkommene Gesellschaft und ihre Opfer. Dass man mit ihnen weder liebt noch leidet, sondern sie als Schicksal der Zeit wahrnimmt, ist die große Stärke dieses Buchs.

Janet Lewis
Verhängnis
dtv Verlag, Frankfurt am Main 2020
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