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Komische Oper Berlin: „Der Zigeuner«baron“ – Premiere ohne Schwung und Elan

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oper-beitragsbildTobias Kratzer setzt ein dramaturgisch gut durchdachtes Konzept akustisch in den Sand. Von Ingobert Waltenberger.

Musikalisch und szenischer K.u.K.-Glanz nach acht Monaten unfreiwilliger Durststrecke? Die Voraussetzungen und die Bereitschaft des Publikums für einen flotten Abend an der Komischen Oper Berlin am vergangenen Sonntag waren durchaus gegeben. Ein junger cleverer Regisseur, das spiel- und sangesfreudige Ensemble sowie der fantastische Chor des Hauses als zentrales Element dieser vor allem für Chor und Ensemble geschriebenen kunstvollen Opern-Operette, die in den zündenden Dialogen und rasch wechselnden Konstellationen durchaus Sitcom-Tempo hat.

Operettenkitsch statt Sperenzchen

Aber es kam anders. Man möchte es kaum glauben. Regietheater-Sperenzchen gab es abseits einiger verschämt aufgeklappter Zelte gar keine, Bühnenbild und Kostüme boten optisch althergebrachten Operettenkitsch, allerdings im reduzierten Kammerspielrahmen. Zur zentralen Figur hat Regisseur Tobias Kratzer den reaktionären Grafen Homonay erkoren. Dominik Köninger mutiert als spießig-frustrierter, sein Zigeunerschnitzel hinein pampfender, xenophober Feschak zum etwas verkrampften Moderator des Stücks. Was er sieht, gefällt ihm nur gar nicht: Der Draufgänger Barinkay verliebt sich unstandesgemäß in Saffi, in Wahrheit nicht Sprössling der Czipra, sondern die geheime Tochter des letzten Paschas von Ungarland. Aber auch dieser abrupte Standeswechsel interessiert Barinkay trotz der in der Natur vollzogenen Eheschließung samt Gezwitscher des Dompfaffs nicht: Nach einem unerwarteten Staatsschatz-Geldsegen ist die exotische Angebetete rasch Nebenschauplatz, und der Rastlose giert wie Wagners Siegfried nach Abenteuern und Kriegsgetümmel. Um einen militärischen Sieg zu erringen, bedarf es aber der ungarischen „Zigeuner“, die zweifelsfrei die besten und tapfersten Husaren der Armee waren….

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Dominik Köninger (Graf Peter Homonay) und Thomas Blondelle (Sándor Barinkay) / Foto: Monika Rittershaus

Der Vielvölkerstaat der Donaumonarchie

Tobias Kratzer hat sich viel zum Stück überlegt. Statt unsanft die politisch korrekte Keule zu schwingen, sieht er im ‚Zigeuner’baron (das Verhältnis des „Z-Wort“ zum Stück wird gut und im Detail im Booklet erläutert) nach der Erzählung „Saffi“ von Mór Jókai eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Vielvölkerstaat der Donaumonarchie. Die Dialogfassung von Tobias Kratzer ist aus dem Originaltext von Ignaz Schnitzer montiert und verdichtet. Die Operette ist 1885, also 18 Jahre nach dem Ausgleich mit Ungarn entstanden. Und tatsächlich wird in dieser der Goldenen Ära zuzurechnenden Wiener Operette das Landleben im Temeser Banat thematisiert, wo ein verarmter Heimkehrer, ein zu Geld gekommener ‚Schweinebaron‘ und der ehemalige Offizier Graf Homonay das tun, was sie immer taten: ums Geld und Land feilschen sowie Krieg und Frauen als unterhaltsames Mittel der Selbstwertsteigerung betrachten.

Phillipp Meierhöfer (Kálmán Zsupán, ein reicher Schweinezüchter) / Foto: Monika Rittershaus

Verschenkter Hörgenuss

Kratzer formt aus dem Ensemblestück ein der Stilvielfalt des Librettos entsprechendes diskursives Kammerspiel. Die Personenregie wirkt perspektivenverschoben fein und wohl überlegt. Allerdings trifft Kratzer einige für die musikalische Wirkung höchst problematische, stimmungsdämpfende Entscheidungen: Er verlegt das Orchester vom Graben auf die hintere Bühne. Das klingt schon in der sechsten Reihe so, als hätte man Ohropax in den Gehörgängen. Die große Wirkung des opernhaft aufrauschenden Orchesters, etwa in der fantastischen Ouvertüre? Verschenkt. Während großer Ensembles, vor allem wenn die dramatische Sopranistin Mikra Wagner als grandiose Saffi über die Bühne fegt, wird das Orchester sogar nahezu unhörbar. Eine wahrlich neue Erfahrung! Zweitens darf der für diese Operette so wichtige Chor nicht auftreten, sondern ist unsichtbar seitwärts platziert. Wirkung abermals und noch fataler verschenkt. Zwei weitere Hoppalas: Das berühmte Couplet des Zsupán “Ja, das Schreiben und das Lesen” wird als schwarz-weiß Video eingeblendet. Der arme Philipp Meierhöfer – wahrlich eine Idealbesetzung der Rolle – muss dabei zusehen, wie seine schöne Baritonstimme als stumpfer obertonloser Sound aus dem Lautsprechern kommt. Noch bizarrer ist die Idee, das “Werberlied” des Grafen Homonay als Schellack abzuspielen. Dominik Köninger darf dazu zwar ein bisserl singen. Unter die Haut geht das nicht.

Der Rest der sehr guten Besetzung rekrutiert sich vornehmlich aus dem Hausensemble: Wir hörten und sahen einen feschen und draufgängerischen Thomas Blondelle als heroischen Sándor Barinkay, eine rundbebrillte Alma Sadé als koloraturscharfe Arsena, Helene Scheiderman als berührende Mirabella, den lyrischen Vorzeigetenor Julian Habermann als Ottokar, die Diva des Hauses Mirka Wagner als hochdramatische höhensichere Saffi sowie Katharina von Bülow als charakterstark gezeichnete Czipra.

Das Orchester und die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin litten unter ihrem akustisch schlechten Platz und unter der spannungsarmen, behäbigen musikalischen Leitung von Stefan Soltész. Häufige Wackelkontakte zur Bühne zeugen am Premierenabend nicht gerade von einer eingespielten Ensembleleistung. Aber vielleicht wird das ja noch.

Zur Fassung

Gestrichen wurde im 1. Akt der Chor „Hochzeitskuchen, bitte zu versuchen“. Im zweiten Akt wurde auf das Ensemble „Auf, auf, auf, vorbei ist die Nacht“, den Frauenchor „Kling und klang! Eisen macht Gesang!“ sowie das Sittenkommissions-Couplet „Nur keusch und rein soll Groß und Klein“ verzichtet. Im dritten Akt wurde zu Beginn hungrig am Zwischenspiel, dem Chor „Freuet Euch“ und dem Chor „So viel Fröhlichkeit“ geknabbert.

Das Bühnenbild als Nachbau zweier Bögen mit Figuren aus dem Innenraum des Helmer und Fellner Baus der Komischen Oper als akustisch störende Kulisse vor dem Orchester und die Kostüme von Rainer Sellmaier sehen bieder, konventionell werkgetreu aus, das Video von Manuel Braun mit Bergen an zerlegtem Schweinefleisch ist verzichtbar.

Fazit

Ein gut gesungener, was die Personenregie anlangt, interessant konzipierter und final an den akustischen Realitäten (und der langen Spielpause?) gescheiterter Operettenabend.

Der »Zigeuner«baron
Johann Strauss
Operette in drei Akten [1885]
Text von Ignaz Schnitzer
nach der Novelle Saffi von Mór Jókai

Aufführungen noch bis zum 1. Juli 2021

Weitere Informationen hier

Komische Oper Berlin
Behrenstraße 55-57
10117 Berlin

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Ein Gedanke zu „Komische Oper Berlin: „Der Zigeuner«baron“ – Premiere ohne Schwung und Elan“

  1. Warum nicht »Der Sinti-und-Roma-Baron«?

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