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Kolumne: Menschen im Museum „Was vom Leben übrig bleibt“

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Kolumne von Susanne Falk im Kultur-Magazin Feuilletonscout: Menschen im Museum "Was vom Leben übrigbleibt"

Von Susanne Falk.

„Mama, Ogg hat meine Puppe geklaut!“
„Ogg, gib deiner Schwester ihre Puppe wieder, sonst gibt es heute kein rohes Fleisch für dich zu essen!“
Klong.
„Mama, Ogg hat meine Puppe aus der Höhle geworfen!“
„Ogg, geh und hol die Puppe deiner Schwester zurück. Aber sofort!“
„Aber Mama, da draußen lauern mindestens zehn Säbelzahntiger herum!“
„Pech für dich. Hättest du mal nicht die Puppe deiner Schwester aus der sicheren Höhle hinausgeschleudert, dann müsstest du dich jetzt auch nicht vor den Säbelzahntigern in Acht nehmen…“
„Aber Mama…“
„Los jetzt!“

Leider wurde Ogg von den Säbelzahntigern gefressen. Ende der Geschichte.

Könnte man meinen. Tatsächlich aber grub ein ambitionierter Archäologe gute 30.000 Jahre später, genauer am 7. August 1908, das Püppchen von Oggs Schwester in dem schönen Ort Willendorf wieder aus und übergab es dem Naturhistorischen Museum in Wien, wo die Venus von Willendorf heute als Prunkstück der Sammlungen des NHM der Öffentlichkeit präsentiert wird. Doof für Oggs Schwester, die ihre Puppe nie wiedersah, gut für uns, die fasziniert vor dem winzigen Figürchen mit der lustigen Frisur und den dicken Brüsten stehen und sich darüber wundern, wie es in der Entwicklungsgeschichte des Menschen von der Venus von Willendorf zur Barbiepuppe kommen konnte.

Nun ist es so, dass die Venus wahrscheinlich eher kein Kinderspielzeug war, aber genau sagen lässt sich das natürlich nicht. Fakt ist aber: Irgendein Mensch hat sie einst angefertigt und wahrscheinlich auch besessen. Und dieser Mensch ist nun schon lange, lange tot (wofür wir jetzt mal nicht den Säbelzahntigern die Schuld in die Schuhe schieben wollen). Was die Frage aufwirft, welche persönlichen Gegenstände wohl Raum und Zeit überdauern, nur um dann Jahrtausende später in einem Museum wieder aufzutauchen.

Wir leben bekanntlich im Zeitalter des Plastiks. Das kann man gut oder schlecht finden, aber die Reihenfolge ist unbestritten: Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, Plastikzeit. Ein Artefakt unserer Moderne lagert aktuell unter dem Stockbett meiner Kinder. Wir nennen es „die Terrormaschine“. Es blinkt, es spielt absurde Melodien, kann zum Laufenlernen verwendet werden, bietet Löcher für alle möglichen Steckförmchen und war das große Highlight meiner Lieben im Babyzeitalter. Das haben sie zwar schon lange hinter sich gelassen, aber die Terrormaschine ist geblieben. Und wird wohl auch weiterhin bleiben, bis sich einst unsere Enkelkinder über das Ding erbarmen werden.

Nun stellen Sie sich einmal vor, alles was von uns bleibt, ist diese Terrormaschine. In gut 30.000 Jahren zerrt ein ambitionierter Archäologe das Ding aus einem tiefen Loch der Geschichte hervor und präsentiert es der Menschheit. Dann wandert es in irgendein Museum und wird dort bestaunt von unseren Urururururururururururenkeln. Und die halten uns, rückblickend, für Plastikfans mit einem Hang zu blinkenden Gegenständen und null Musikgeschmack. Man kann es sich natürlich nicht aussuchen, was einen an persönlichen Gegenständen überlebt, aber ich wäre ganz dankbar, wenn es etwas anderes wäre als die Terrormaschine. Und werde in Zukunft gnädiger auf die überlieferten, persönlichen Gegenstände unserer Vorfahren schauen. Vielleicht waren die ja nur halb so gaga wie wir, die mit einem riesengroßen, blinkenden, dudelnden Plastiktrum unter dem Bett leben.

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