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Himmlische Sanglichkeit: Violinist Sebastian Bohren

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikRezension von Ingobert Waltenberger.

Der Schweizer Geiger mit dem intensiv wahrhaftigen Ton bietet nicht nur was das Repertoire betrifft eine ganz persönliche hoch diversifizierte Auswahl an Werken für Violine solo, Kammermusik oder Konzerten, sondern veröffentlicht seine Alben mal digital oder herkömmlich auf CD, der aktuellen Marktlogik Rechnung tragend. So erschien bei Sony die Live-Aufnahme der von Michail Zinman bearbeiteten Violinsonate von Dmitri Shostakovitch vom 27.Mai 2018 ausschließlich als digital release und ist nur digital via iTunes/Spotify erhältlich. Übrigens eine sehr empfehlenswerte, innovative Aufnahme.

Bei RCA wiederum auf CD zwei Violinkonzerte erschienen, die in dieser Kombination auf dem Tonträgermarkt eine Novität bilden: Das berühmte melodienselige frühromantische Konzert von Mendelssohn in E-Moll, Op. 64 hat Bohren mit dem Violinkonzert des 27-jährigen Benjamin Britten in D-Moll, Op. 15, geschrieben nach der Ankunft im amerikanischen Exil, gekoppelt. Ergänzt wird das Album durch Tschaikowskys Sérénade mélancolique.

Die Programmauswahl ist der künstlerischen Partnerschaft mit dem britischen Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter der Leitung des routinierten Andrew Litton geschuldet. Jedenfalls passen der „Gassenhauer“ Mendelssohn und das leider viel zu selten gespielte Meisterwerk des jungen Britten auch stilistisch gut in eine Schublade, meint Sebastian Bohren: „Die Instrumentierung und die Tonsprache beider Komponisten sind in gewissen Aspekten verwandt. Im Detail beginnen beide Konzerte direkt mit dem Einsatz der Solovioline, die eine Melodie spinnt, sich schnell steigert und nach einer Minikadenz ins Tutti überführt – das hat Britten garantiert bei Mendelssohn abgeschaut.“

Sebastian Bohren kommt, wie er selbst sagt, aus der deutschen Violintradition. Ein voller runder Ton voll himmlischer Sanglichkeit, aber auch expressiver Leidenschaft ist ihm zu eigen, zwar in romantischer Grundierung angedacht, aber immer auf der Suche nach dem Ur-Eigentlichen in der Musik, das über Fragen der Technik, des Bogenstrichs oder des Stils weit hinausgeht. Wanderer in allen Tonlagen mit Blick auf eisige, den freien Seelenflug befeuernde Berge, deren Gipfel er sich in langsamer Eroberung des Pfades annähern möchte, ist Bohren extrem wählerisch, mit welchen Komponisten er eine Partnerschaft eingehen möchte oder nicht.

Mit Britten klappt das extrem gut. Da tut sich ein gegenseitig inspirierender Dialog auf, der dem Zuhörer den Atem nimmt. Als historisch interpretatorisches Vorbild diente ihm die Aufnahme mit Ida Haendel. Besonders in der langsamen finalen Passacaglia ist so viel an Seele, an existentieller Notwendigkeit, selten habe ich solch eine hohe Übereinstimmung von Anspruch mit künstlerischer Einlösung erlebt.

Sebastian Bohren ist ein kompromissloser Künstler, aber konziliant im Umgang, der den Kontakt zum Publikum pflegt, in seinen Konzerten auch mit dem Publikum spricht. Der Probenfanatiker überlässt wenig dem Zufall, sieht die Erarbeitung von technischen Details immer im Dienste einer höheren musikalischen Wirklichkeit. In diesem Sinne ist die Britten Aufnahme seine wahrscheinlich bis dato beste. Leider gibt es bei der Einspielung des Mendelssohn-Konzertes das Handicap einer zu hölzern, charmebefreiten Begleitung. Da sind ihm weder der Dirigent noch das Liverpooler Orchester Partner auf Augenhöhe. Das Feenhafte, duftig Vergängliche wie bei einem Soufflé, den Zauber des Luftigen und das keck Tänzerische vermisse ich hier zumindest partiell doch.  Man höre zum Vergleich etwa die alte Abbado Aufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra, um zu erahnen, was diese Musik hergeben kann.

Gesamt: Wegen des fantastisch gespielten Britten-Konzerts eine absolute Empfehlung wert.

Mendelssohn/Britten: Violinkonzerte
Solist: Sebastian Bohren
Orchester: Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
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