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Gutes Wedding, schlechtes Wedding. Ein Moment mit…Schauspieler und Gründer des Prime Time Theater Oliver Tautorat

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Gutes Wedding, schlechtes Wedding. Ein Moment mit...Schauspieler Gründer des Prime Time Theater Oliver Tautorat
Oliver Tautorat

Wir treffen uns morgens um halb neun, natürlich im Wedding. Beim „Knusperbäcker“ direkt am U-Bahnhof Amrumer Straße. Eine Bäckerei mit ein paar Tischen und viel Herzlichkeit.

Feuilletonscout: „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ wird in diesem Jahr elf Jahre alt. Hast du manchmal Angst, irgendwann die Lust am Wedding zu verlieren?
Oliver Tautorat: Am Wedding: nie. An „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ auch nicht. Ich habe jetzt ja schon fast 2000 Vorstellungen gespielt, bin fast bei jeder Folge dabei. So lange unsere Gäste kommen und vielfältig bleiben, ist es spannend. Es ist wie ein Spiegelbild von draußen. Das ist schön. Und obwohl ich gerade Urlaub habe, war ich kürzlich im Theater und habe eine Show anmoderiert. Dabei habe ich wieder gesehen, was für ein tolles Publikum bei uns ist. Das gibt mir unheimlich viel Kraft, Energie und Ideen. Was wir mit dem Theater erfunden haben ist einmalig. Es ist für mich genau das Richtige. Was anderes könnte ich gar nicht machen.

Feuilletonscout: Was macht das Besondere ausgerechnet des Wedding aus?
Oliver Tautorat: Ich glaube, dass der Wedding noch einer der letzten Bezirke ist, der sich zwar entwickelt, gentrifiziert wird, aber vom Ursprung her immer noch sehr echt und total lebendig ist. So hart er ist, so ehrlich ist er auch. Das finde ich klasse.

Feuilletonscout: Bist du hier geboren?
Oliver Tautorat: Nein. Meine Mutter ist Griechin, mein Vater kommt aus Norddeutschland und ich selbst bin in Würzburg geboren. Seit ungefähr 12 Jahren bin ich jetzt in Berlin und bin hier auch mehrfach um-, aber nie aus dem Wedding herausgezogen. Ich habe ihn als meine Heimat entdeckt. Als Halbgrieche gefällt es mir sehr, die Kultur hier ist wirklich lebendig. Ich fühle mich im Wedding richtig, richtig wohl. Ich mag die Ehrlichkeit und Direktheit.

Feuilletonscout: „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ ist die erste und einzige Bühnensitcom weltweit. Wie kam es zu dieser Idee?
Oliver Tautorat: Es ist wirklich erstaunlich. Nur Danny de Vito hat mal so etwas Ähnliches gemacht, allerdings zeitlich begrenzt. So, wie wir es machen, ist die Bühnensitcom wirklich einmalig. Wir kamen dazu sehr unschuldig. Als wir damals nach Berlin zogen, waren wir sehr serienaffin, „Friends“ gehörte bei uns zum Standardfernsehprogramm. Und obwohl wir beide schauspielern wollten, haben wir schnell festgestellt, dass die deutsche Bühnenlandschaft nicht so das Richtige für uns ist. Unsere Sitcom starteten wir zunächst ganz harmlos mit einer Folge. Wir haben uns einen Probenraum gesucht und haben ihn damit finanziert, dass wir dort auch gleich spielten. Dann haben wir festgestellt, dass wir, um die Leute auf uns aufmerksam zu machen, in den Veranstaltungskalendern der Stadtmagazinen sein müssen. Und die brauchen das Programm immer 10 -14 Tage vorher. Also haben wir mit Folgen angefangen, haben wöchentlich gespielt und das hat sich ganz schnell herumgesprochen. Wir waren mit unseren 30 Plätzen immer ausverkauft.

Prime Time Theater_Gruppe
Foto: prime time theater

Feuilletonscout: Hast du je damit gerechnet, dass ihr damit so erfolgreich werdet?
Oliver Tautorat: Überhaupt nicht. Es ist immer noch so, dass, wenn ich darüber nachdenke, wo wir – auch als von Senat gefördertes Theater – jetzt stehen, kaum glauben kann. Wenn ich abends ins Theater komme und schon von weitem die Leute warten sehe, denke ich immer noch: Es ist wirklich unglaublich. Ich bin nicht satt, zu sehen, dass es verrückt schön ist, dass es so ist. Berlin ist eine so große Stadt mit so vielen Theatern, da ist es toll, dass Gäste zu uns kommen. Und ich kann fast 20 Menschen mit dem Theater eine Existenz sichern.

Feuilletonscout: Wie erklärst du dir, dass es keine Nachahmer gibt? Können andere Städte oder Bezirke nicht über sich selbst lachen?
Oliver Tautorat: Es gab mal einen Versuch im Heimathafen Neukölln. Aber ich glaube, im Endeffekt hat ein solches Projekt auch etwas mit langem Atem zu tun. Es gab auch in Hamburg mal so eine Art Serie, auch in Magdeburg „Scharfe Schnitte“, eine Klinik-Soap, es gibt auch Parodien auf Soaps. Aber dass es von Herzen kommt, kabarettistisch, Stand-up Comedy ist und auch zu Herzen geht – diese Form kann man versuchen, was ja auch einige machen, aber man muss wirklich lange durchhalten können. Wir machen das jetzt gut 10 Jahre, unser Ensemble besteht aus richtigen Arbeitern, die das durchziehen, fünf Mal die Woche auf der Bühne. Die Vorstellung von Erfolg und die Tatsache, dass man dafür viel, viel arbeiten muss, das vergessen viele.

Feuilletonscout: Hat der Erfolg auch mit dem authentischen, nicht gentrifizierten Wedding zu tun?
Oliver Tautorat: Ja, das ist richtig. Das gibt Kraft. Woanders kann ich mir das auch gar nicht vorstellen. Es war mir aber auch enorm wichtig, dass wir das, was wir tun, nach außen bringen. Die ersten zwei, drei Jahre stand ich an den Straßenecken und habe Flyer verteilt, bin auf die Leute zugegangen. Das macht auch nicht jeder. Künstler haben oft Angst, dass sie negative Kritik bekommen. Ich bin da anders, bin ein sehr gastfreundlicher Mensch und freue mich jeden Abend, wenn die Leute kommen. Ich zolle ihnen auch Respekt. Sie kommen und zahlen schließlich dafür, dass sie mich spielen sehen können.

Feuilletonscout: Wie schafft man es, so viele neue Programm auf die Beine zu stellen?
Oliver Tautorat: Constanze schreibt alle fünf Wochen ein neues Programm. Ab und zu machen wir auch Wiederholungen. Dabei hat sie inzwischen eine große Routine und ist sehr schnell im Schreiben. Die Umsetzung auf der Bühne hat etwas mit Disziplin, Durchhaltevermögen und Lust, an dem, was wir machen, zu tun. Wir proben sehr viel, haben aber inzwischen ein System gefunden, dass uns zwischendrin etwas Luft lässt, z.B. in dem wir andere Programme mit hereinnehmen. So kann jeder Schauspieler neben einem kleinen Jahresurlaub auch mal eine Folge als bezahlten Urlaub frei nehmen, sodass jeder auf ca. 40 bis 50 Urlaubstage im Jahr kommt. Es ist mir wichtig, dass wir unsere Energie einteilen. Mich persönlich motiviert das Publikum, das sich immer wieder auf das neue Programm freut, und unsere Mitarbeiter, die unheimlich treu sind, Power haben, hinter uns stehen und stolz sind, dabei zu sein. Ich bin da irgendwie amerikanisch: Ich sage meinen Leuten immer, was für eine tolle Sache wir hier machen und dass jeder Einzelne dazu beiträgt. Ich würde nie auf die Idee kommen, den Erfolg allein für mich zu beanspruchen. Es funktioniert nur im Team.

Prime Time Theater_Szene
Foto: prime time theater

Feuilletonscout: Wie sieht dann so ein Arbeitstag aus?
Oliver Tautorat: Wenn Premiere war, ist in den zwei Wochen danach erst einmal tagsüber für alle Ruhe. Dann kommen die Texte für die neuen Folgen, die man sich zu Hause erarbeiten muss, dann treffen wir uns zur ersten konstitutionellen Probe, d.h. wir setzen uns zusammen und überlegen gemeinsam das Bühnenbild, die Requisite und solche Sachen. Daraufhin fangen die Gewerke an zu arbeiten und bei uns geht es in die Endprobenphasen. Ungefähr zwei Wochen vorher sind noch Einzelproben, in denen bestimmte Szenen oder Gruppenszenen durchgegangen werden. Das ist dann zeitlich meist so von 11 – 15 Uhr. In der letzten Woche kommt dann die intensive Schlussphase, bevor es endgültig auf die Bühne geht. Es gibt also immer ruhige Phasen, wobei man nicht vergessen darf, dass wir jeden Abend spielen. Da darf man sich tagsüber auch nicht vollständig verausgaben. Man muss sich die Energie bis zum Abend bewahren. Allein das ist schon Arbeit genug. Bei mir kommt noch hinzu, das ich Geschäftsführung und künstlerische Leitung mache, d.h. ich habe noch zusätzlich Besprechungen mit den einzelnen Gewerken, dem Co-Regisseur und dem Verwaltungsteam. Denn zu dem Theater kommt ja noch die Gastronomie hinzu, wo ich Geschäftsführer bin. Die ersten acht Jahre habe ich noch gedacht, ich könne Personal spare, indem ich alles selber mache. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass das nicht funktioniert. Inzwischen habe ich Vieles delegiert und habe das große Glück, dass ich nur noch zwei- bis dreimal pro Woche für kurze Zeit ins Büro muss und dann das meiste schon für mich vorbereitet ist. Nur so kann ich das Arbeitspensum ausgleichen und abends entspannt auf der Bühne stehen. Dennoch spüre ich jeden Abend den Erfolgsdruck. Ich bin eben nicht nur Schauspieler. Wir müssen eben auch wirtschaftlich erfolgreich sein.

Feuilletonscout: War es nicht ein Wagnis, ein Theater zu gründen?
Oliver Tautorat: (lacht) Ein Wagnis wurde es eigentlich erst mit der Zeit. Und es ist ein Wagnis, es jetzt zu haben. Wir haben von Beginn an immer nur gesunde Schritte gemacht. Ich hatte auch gleich im ersten Jahr einen Unternehmenscoach dazu geholt. Das ist zwar teuer, aber gerade in einem Kulturunternehmen unheimlich wichtig. So ein Coach schaut auf Unternehmensprozesse und – abläufe. Merkt, wenn Mitarbeiter aus ihren Rollen herauswachsen und flügge werden. Insofern – ja – -das Wagnis ist groß, aber ich denke nur sehr selten daran. Sonst wäre ich auch nicht so locker. Denn finanziell ist unser Betrieb, trotz der Förderung durch den Berliner Senat, immer noch eine Gradwanderung. Ich muss immer überlegen: Was kann ich noch selbst machen und an welcher Stelle delegiere ich, was natürlich wieder Geld kostet. Und dann gibt es auch immer Phasen, in denen wir nicht so ausgelastet sind, wie z.B. im Sommer.

Feuilletonscout: Führst du das Theater eher als Künstler oder als Manager?
Oliver Tautorat: Eher als Manager. Die künstlerische Komponente wird wieder mehr werden, weil Constanze die Aufgabe an mich zurückgegeben hat. Die ersten zwei Jahre haben wir das noch gemeinsam gemacht, dann haben wir das getrennt, ich bin mehr in den administrativen Bereich gegangen, aber jetzt kommt die künstlerische Leitung wieder zurück. Das ist, nach acht Jahren, ganz spannend. Aber im Großen und Ganzen bin ich mehr Manager. Ich mache mir auch sehr viel Gedanken über unsere Mitarbeiter. Ich bin Personalchef und Manager in einem.

Feuilletonscout: Geht das eigentlich wirklich gut?
Oliver Tautorat: Ja, weil ich weiß, wofür ich es mache. Wir haben auf diese Art Erfolg und das macht mich total glücklich.

Feuilletonscout: Wie viele Mitarbeiter sind es insgesamt?
Oliver Tautorat: Mit Gastronomie, freien Mitarbeitern und Minijobbern sind wir so 22 bis 25 Leute. Mir war immer wichtig, dass alle vernünftig bezahlt werden und nicht fünf Jobs gleichzeitig machen müssen. Daher war diese ganze Mindestlohndiskussion für mich auch gar nicht so relevant. Ich wollte immer, dass die Menschen, die für mich arbeiten, von dem Job auch gut leben können. Für mich ist das Prime Time Theater ein gefühltes Familienunternehmen. Das ist nicht immer einfach, aber es ist mir sehr wichtig. Jeder bei uns hat unbefristete Arbeitsverträge und bekommt eine Betriebsrente, auch die Schauspieler. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es ganz. Dann denke ich nicht daran, dass es nach zwei Jahren eventuell wieder vorbei sein könnte. Ich sehe mich selbst so ein bisschen wie der Kapitän eines Schiffes, der bei Problemen von einzelnen auch mal hilft. Das kommt bei mir vom Herzen.

Feuilletonscout: Macht dir der Erfolg manchmal Angst?
Oliver Tautorat: Nein, gar nicht. Ich bleibe immer am Boden. Ich lebe nach dem schönen Satz: „Lass dir den Erfolg nicht zu Kopf steigen und den Misserfolg nicht zu Herzen gehen.“ Meine Arbeit macht mich zwar stolz, aber es macht mich eher glücklich, wenn ich auf der Straße angesprochen werde und die Leute sich freuen, mich zu sehen. Ich bin für den Erfolg sehr dankbar, denn ich kenne auch Zeiten, in denen das nicht so war. Auf der anderen Seite wird man als Künstler, der Erfolg hat, auch manchmal scheel angeschaut und die Frage schwebt im Raum: Ein Künstler, der Erfolg hat, macht der denn wirklich Kunst? Ich habe für mich entschieden, dass ich als Künstler meinen Weg finden muss. Und wenn dieser Weg dir dein Einkommen sichert, dann bist zu auf dem richtigen Weg.

Feuilletonscout: Im Prime Time Theater spielst du unterschiedliche Charaktere, meist sogar im selben Stück. Wie erarbeitest du dir die Rollen, um ihnen die Einzigartigkeit und Unverkennbarkeit zu geben?
Oliver Tautorat: Die Charaktere, die ich schon lange spiele, sind ein Teil von mir geworden. Ich habe die Figuren unheimlich lieb. Jedes Mal, wenn ich dann eine spiele, geht ein Teil von mir auf Reisen und zeigt Seiten, die ich mir normalerweise nie trauen würde, zu zeigen. Wichtig ist für mich, dass ich als Schauspieler und Mensch die Figur, die ich spiele, nicht verrate. Also wenn ich z.B. eine Putzfrau bin, dann ist es wichtig, dass ich sie nicht von oben herab darstelle. Dieses Verkopfte, Intellektuelle liegt mir nicht.

Prime Time Theater_CSI
Foto: prime time theater

Feuilletonscout: Neu im Programm sind „Sex & the Wedding“ und „CSI Wedding“. Gibt es aus Deutschland nichts mehr zu lachen?
Oliver Tautorat: Beides sind Parodien auf Formate, die Teil von „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ sind. „CSI Wedding“ ist dann quasi eine Krimifolge von „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Wenn man etwas so lange macht wie wir, dann macht es Spaß, mit neuen Parodien im bekannten Format frischen Wind zu bringen und mal etwas ausprobieren.

Feuilletonscout: Was schaust du dir an, wenn du mal wieder richtig lachen möchtest?
Oliver Tautorat: (lacht) Ich schaue relativ viele YouTube-Videos (lacht wieder). Dadurch lerne ich unheimlich viele Humorrichtungen kennen. Im Fernsehen schaue ich absolut gern „Saturday Night Live“ aus den USA. Dort sind wöchentlich immer wieder die ganz großen Comedians zu Gast. Eine Art Sketch-Show, aus der auch Leute wie Dan Aykroyd und Eddie Murphy kommen. Das ist für mich Comedy auf dem höchsten Niveau der Welt. Ich finde Humor schön, der so richtig den Kopf aufmacht.

Feuilletonscout: Was ist dein größter schauspielerischer Traum?
Oliver Tautorat: Einmal so gut Englisch sprechen zu können, dass ich bei „Saturday Night Live“ auftreten kann. Das ist ein echter Traum.

Feuilletonscout: Was sollen die Menschen von dir und/oder deiner Kunst in Erinnerung behalten?
Oliver Tautorat: Der war total komisch, der hat mich immer zum Lachen gebracht. „Whatever you do, be a good one“, sagte mal Winston Churchill. So soll es auch bei mir sein.

Feuilletonscout: Was wärst du geworden, wenn nicht Schauspieler?
Oliver Tautorat: Koch. Ich mag Essen total, wenn es bodenständig mit etwas Pfiff ist.

Vielen Dank für das Interview, Oliver!

Prime Time Theater
Müllerstraße 163
Eingang Burgsdorfstraße.
13353 Berlin-Wedding

Ein Besuch lohnt und macht viel, viel Spaß.
Oliver Tautorat begrüßt übrigens jeden Gast persönlich mit Handschlag.

* Fotos: Janina Heppner/Grafik: Yvonne Schulze

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