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Fulminant bei den Bayreuther Festspielen 2022: Von Mythen und Sagen oder Back to the Roots

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Foto (c): Barbara Röder

Von Barbara Röder.

Nach der fulminant schönen Dernière des „Lohengrin“ in der Inszenierung von Yuval Sharon auf dem Grünen Hügel, welcher als illusionsgeladener blauer Monolith in die Festivalgeschichte eingehen wird, ergossen sich Jubelstürme über den Dirigenten Christian Thielemann. 20 Minuten tosender Applaus für die Sänger und den Meister der klangatmenden Herzschlagmusik „Lohengrin“. Hier ward’s Ereignis! Thielemann entführte in transzendentale musikalische Innenräume à la Celibidache. Petra Lang bot eine hinreißende, von Leidenschaft durchpulste Ortrud und beendete mit ihrem finalen Abgesang die Aufführungsserie des „Lohengrin“. Klaus Florian Vogt (Lohengrin) wurde ebenso stürmisch gefeiert wie auch Camilla Nylund (Elsa) trotz einiger Textunverständlichkeiten. Stark und qualitätsvoll: Georg Zeppenfeld (Heinrich) und Derek Welton (Heerrufer). Glaubwürdig: Martin Ganter (Telramund). Die märchenhaft gestaltete Bühne und Kostüme von Rosa Loy und Neo Rauch haben Geschichte geschrieben. Die historischen Sternstunden mit Thielemanns letztem „Lohengrin“-Dirigat im Festspielhaus Bayreuth am 22. August 2022 ebenso.

Am nächsten Abend lud die Konzertreihe „Wahnfried-Konzerte 2022“ zu Gesängen aus Isländischen Sagen und Liedern von Wagner, Nietzsche, Liszt ein. Der Anlass war die Neuinszenierung der Tetralogie bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen.

Wundersam Spannendes aus ihrer Heimat Island hatten der Bariton Sigurður Bragason und der Pianist Hjálmur Sighvatsson im Gepäck und versetzten den ausverkauften Kammermusiksaal in der Villa Wahnfried in Erstaunen und Freude. Denn wer kennt schon die heldenhaften isländischen Sagen von Feuer, Glut und rauen Nächten oder deren Volksmärchen so genau? In der Epoche Wagners war man auf der Suche nach dem authentischen „nordischen Geist“ und dem „germanischen Heldentum“. Eine ähnliche Sehnsucht hatte die Goethezeit beim sich zuwenden nach Italien und Griechenland.

Rund 80 Prozent der im Ring vereinten Geschichten, Motive und Personen, gehen auf die altisländische Literatur, der Edda-Mythologie und Völsungasaga zurück.(Arni Björnsson).„Aufgeführt werden“, so stand es in der Ankündigung, „isländische Volkslieder über tapfere Wikinger, Riesen und den Ritt der Götter, aber auch Lieder, die einst in geselliger Runde im Saal von Haus Wahnfried erklangen.“ Wir waren also mitten drin in Wagners Inspirationsquelle und Ideenpool aus mystischen Zeiten.

Der tägliche menschliche, kräftezehrende Kampf mit und in der Natur, Existenzielles, einsame Gesänge beinhalten die wunderbaren, musikalisch poetischen Schilderungen, die Sigurður Bragason und sein langjähriger Begleiter Hjálmur Sighvatsson am Wahnfried-Steinway boten. Immer schwingt ein melancholisch besinnlicher Grundton mit, der in die eiskalte, dunkle Sagenwelt Islands führt. Volkslieder in Bearbeitungen von Jón Leins und anderer Komponisten schildern, zyklisch nach den Titeln der Ring-Tetralogie geordnet, was Richard Wagner und Generationen danach am Wunderland Island fasziniert. Geheimnisvoll, mit deklamatorischer Sicherheit und profundem Klang erschließen die Künstler Bragason und Sighvatsson nordische Fantasiewelten. Wir erleben im „Rheingold“ den Kampf der Riesen und im „Siegfriedlied“ wie traurig sehnsuchtsvoll die Helden waren: „Hole mich Ingeborg, bevor ich sterbe. Nun klären sich manche Menschen Träume“ klingt es. In zwei Gesängen aus der „Edda“ blitzten Lebenselixier und Weisheit auf: „Einst war ich jung, zog einsam hin, da ward wirr mein Weg. Fröhlich war ich als ich den Freund fand. Mensch ist Menschentrost.“ Welch Worte in düsteren Zeiten. Damals wie heute.

Wahrhaftig wie japanische Haikus sind diese Klang- und Klagereliquien und Bragason singt sie mit balsamischem Bariton. Betörendes Ohrenfutter folgt mit Friedrich Nietzsches Vertonung Ungewitter (Adelbert von Chamisso). Es ist ein kleines Bravourstück, das der Philosoph, ganz im Banne des Schubertschen Oeuvres, in seiner Studienzeit in Bonn komponierte. In „Acht Lieder als Weihnachtsgabe an Mutter und Schwester“ für Singstimme und Klavier ist es im Dezember 1864 erschienen. Im romantischen Überschwang tönenden Heinrich Heine Poem „Im Rhein, im schönen Strome“ von Franz Liszt ist der zärtliche Virtuose Liszt spüren. Wagners kurz vor seiner Flucht 1838 aus Riga entstandenes düstere Lied „Der Tannenbaum“ ist sehr selten zu erleben. Die gilt ebenso für seine Pariser mélodies „Mignonne und Les deux Grenadiers“. Es sind sehr frühe Gesangs-Piècen des Meisters vom Grünen Hügel. In Paris begann Wagner nämlich wieder Lieder zu komponieren. Später gab er dies auf.

Heines berühmte Ballade „Die beiden Grenadiere“. Les deux Grenadiers“, in der Übersetzung von François Adolphe Loeve-Veimar, ist gespickt mit Effekten und einem zu erwartenden Marseillaise-Zitat.

Als Zugabe beschenkten die Künstler die gebannt lauschenden Gäste mit einem schlichten, alten  isländischen Lied über ein Mädchen, das tanzen gehen wollte und in stürmischer Nacht ihr Neugeborenes zwischen Felsen versteckt. Die Hütte aus Torf duftet nach Fischöl, ihre große Angst vor der Dunkelheit ist spürbar. Im Duktus erinnert diese Stimmung an „Jenůfa“ von Leoš Janáček. Ein Kleinod traditioneller, isländischer Volksliedkunst.

Das „Kulturpolitische Intermezzo und musikalische Kulturtransfer“ im Hause Wahnfried wie es Dr. Sven Friedrich, Direktor des Richard Wagner Museums, zur Begrüßung formulierte, wurde mit sehr herzlichem und gebührendem Applaus für die Ausnahmeinterpreten Sigurður Bragason und Hjálmur Sighvatsson gefeiert.

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