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Fast ein Märchen: Amélie Nothomb „Töte mich“

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Fast ein Märchen: Amélie Nothomb „Töte mich“Rezension von Barbara Hoppe

Seit Paul Watzlawiks „Anleitung zum Unglücklichsein“ wissen wir, was man alles anstellen kann, um betrübt und unzufrieden durchs Leben zu gehen. Natürlich, immer wieder kommt es vor, dass aus kleinen, unscheinbaren Begebenheiten großer Ärger oder sonderbare menschliche Verhaltensweisen erwachsen. Ein Motiv, das vor allem der Film gern verwendet. Brillant, wenn es so knackig und bissig umgesetzt wird wie bei „The Party“, ein Meisterstück der verbalen Attacken von Sally Porter, von Schauspielgrößen wie Kristin Scott Thomas, Patricia Clarkson und Bruno Ganz grandios umgesetzt.

Literarisch wagt sich Amélie Nothomb nun an das Thema des sich zuspitzenden Unglücks. Das Wunderkind der französischsprachigen Literatur – 1966 in Japan geboren und als Diplomatentochter überall auf der Welt zu Hause, bevor sie mit 17 Jahren nach Europa kam, Vielschreiberin und Bestsellerautorin – beschreibt in „Töte mich“, wie die Prophezeiung einer Wahrsagerin zur fixen Idee wird, die fast zur Katastrophe führt.

Dabei greift Amélie Nothomb tief in die Kiste literarischer Familientragödien-Vorlagen. Graf Henri Neville ist ein glücklich verheirateter Mann, 68 Jahre alt, seine wunderschöne Frau Alexandra ist 20 Jahre jünger. Die Kinder Oreste und Électre (Achtung: Familientragödie!) sind strahlend schön, nur die jüngste, die 17-jährige Sérieuse, die Ernsthafte, macht den Eltern Kummer: in ihrem 13. Lebensjahr verlor das charmante Kind seine Lebhaftigkeit. Seitdem ist es schwermütig und in großer Sorge, weil es keine Empfindungen mehr verspürt. Als Sérieuse eines Nachts im Wald von einer Wahrsagerin gefunden wird – das Mädchen wollte Kälte spüren – und Henri seine Tochter am nächsten Morgen abholt, kommt es zur verhängnisvollen Weissagung: Henri werde auf der kommenden Garden Party einen Gast töten. „Alles Quatsch“ funktioniert leider nur, wenn andere betroffen sind, muss der sensible Henri erfahren, dessen Leben fortan ein Martyrium ist: Er soll jemanden töten? Schnell schaut er nach: Ja, es gibt auch hierzu eine literarische Vorlage: Lord Arthur Saviles Verbrechen von Oscar Wilde. Nun sitzt Henri also in der Zwickmühle. Sérieuse, die Unglückliche, hat schließlich den rettenden Einfall. Der Vater soll sie, die Tochter, töten. Immerhin ist Sérieuse die Schwester von Oreste und Électre, auch wenn sie nicht Iphigenie heißt. Damit wäre sie ihr Leid mit einem Schlag los. Henri ist verzweifelt, gibt seiner Tochter aber sein Wort, sie zu töten. Warum, fragt man sich als Leser an dieser Stelle. Immerhin geht es hier nicht um ein Opfer an einen Gott, sondern um eine spleenige pubertierende Tochter und eine aufdringliche Wahrsagerin.

Dass sich das schmale Buch dennoch leicht dahinlesen lässt, ist ein Verdienst der knappen, scharfen Dialoge – Markenzeichen der Autorin –  und dessen, was man Setting nennen darf. Märchenhaft kommt es daher mit dem alten, bröckelnden, aber verwunschenem Schloss in den belgischen Ardennen, einem Grafen mit seiner schönen Frau und den drei Kindern, einem Problem, das schwer auf der Seele des gütigen Vaters liegt und sich schließlich in Wohlgefallen auflöst. Nach zwei kurzweiligen Lesestunden bleibt das Gefühl, fast ein Märchen gelesen zu haben. Aber nur fast.

Amélie Nothomb
Töte mich
A.d. Französischen von Brigitte Große
Diogenes Verlag, Zürich 2017
Amélie Nothomb: „Töte mich“ bei amazon

Coverabbildung © Diogenes Verlag

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