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Es grünt so grün, wenn Münchens Blüten blühen

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Feuilletonscout TheaterEin narzisstisches Muttersöhnchen nennt sich Professor für Phonetik und nimmt ein Blumenmädchen ins Haus, um ihm Hochsprache beizubringen. Kann das gutgehen? Am Münchner Gärtnerplatztheater nennt sich das Experiment: My Fair Lady. Von Stephan Reimertz

Michael Dangl kann man eine gewisse Ähnlichkeit mit Alec Baldwin nicht absprechen. Das nützt ihm aber nichts, wenn er auf der Musicalbühne Professor Henry Higgins spielen soll. Der berühmteste Phonetiker der fiktiven und realen Welt kann jedermann auf den Kopf zusagen, wo er sozial und geographisch herkommt. Heute nennt man so jemanden einen Soziophonetiker. Für den Higgins fehlt es Dangl ein wenig an Signorilität, besonders wenn er seinen Hut aufsetzt, der eher aus einem amerikanischen Film der fünfziger Jahre zu stammen scheint als aus der Londoner City vor dem Ersten Weltkrieg, in dem My Fair Lady spielt.

An aristokratischer Ausstrahlung ist Friedrich von Thun als Oberst Pickering ihm weit überlegen. (Liegt es daran, dass Thun ein echter österreichischer Graf ist?) Er ist eine geradezu fürstliche Erscheinung und findet in der neuen Inszenierung des Musicals aus der bewährten Hand von Regisseur Josef E. Köpplinger ein weibliches Gegenstück allein in Cornelia Froboess als be-hütete und be-federte Mrs. Higgins. Rainer Sinell steuert ein sachgemäßes Bühnenbild ohne alle Faxen bei, welches uns topographisch exakt in die Tottenham Court Road versetzt, allen Lesern von Charles Dickens und Arthur Conan Doyle so gut bekannt, als wären sie dort aufgewachsen. Vor der Covent Garden Opera liest Prof. Higgins die laute und peinliche Eliza Doolittle auf und bringt sie in seinem Town House unter, um ihr gestochen scharfe Hochsprache beizubringen und das arme Mädchen in der Londoner Gesellschaft als Herzogin auszugeben. Ein soziales Experiment, das Engländer bis heute auf das äußerste erregt, für die gleichgeschaltete deutsche Gesellschaft aber fast unverständlich sein dürfte.

My Fair Lady Gärtnerplatztheater München
Friedrich von Thun (Oberst Pickering), Michael Dangl (Professor Henry Higgins), Nadine Zeintl (Eliza Doolittle), Ensemble © Marie-Laure Briane
Auf der Suche nach einem passenden Idiom

Nadine Zeintl als Eliza versucht es mit Wienerisch, um die englische Arbeitersprache Cockney im Deutschen wiederzugeben. Für Österreicher dürfte das nicht durchgehen, selbst wenn Zeintl das berüchtigte Meidlinger L der Wiener Arbeitersprache beherrscht. Die anderen »Unterschichtler«, so ihr Vater Alfred P. Doolittle (großartig und vital gemimt von Robert Meyer), finden kein rechtes Idiom und behelfen sich mit einer Art Verlegenheits- oder Universal-Bairisch. Doch die Welt zwischen München und Wien ist groß. Kann man den spezifisch englischen Sprachsnobismus auf deutsche Verhältnisse übertragen? In München jedenfalls spricht die Oberschicht Bayrisch und kein Hochdeutsch, und in Wien ist es ähnlich. So muss man der neuen Inszenierung am Münchner Gärtnerplatztheater leider ankreiden, dass sie linguistisch und dialektal nicht ganz durchdacht ist, und das, wo sich My Fair Lady doch genau darum dreht: Um Soziophonetik.

My Fair Lady am Gärtnerplatztheater München
Cornelia Froboess (Mrs. Higgins), Michael Dangl (Professor Henry Higgins), Nadine Zeintl (Eliza Doolittle)
© Marie-Laure Briane
Gegen den Willen von George Bernhard Shaw

Ansonsten wird in diesem Musical aus den fünfziger Jahren kräftig gesungen und heftig getanzt, die Aufführung ist ein Spaß für die ganze Familie. George Bernhard Shaw hielt übrigens überhaupt nichts von der Idee, aus seinem Stück Amphitryon ein Musical zu machen, so konnte die Gaudi erst nach seinem Tode steigen. Der Wiener Komponist Frederick Loewe, im Alter von zwanzig Jahren in die USA ausgewandert, schreib eine Musik, die seine Herkunft aus der Stadt der Operette nicht verleugnet. Und genau das ist der Grund für den Welterfolg, der durch unzählige Bühnenproduktionen und Filme bis heute anhält: Es gelang Loewe, die angloamerikanische Tradition des Musicals mit der kontinentalen der Operette für einen kurzen Moment zu versöhnen.

George Bernhard Shaw interessierte sich allein für das soziophonetische Experiment.  Liebesgeschichte und Happy End von My Fair Lady kommen in Amphitryon gar nicht vor. In einem Nachwort zu seinem Stück ließ Shaw immerhin durchblicken, dass sich Eliza Doolittle nach seiner Überzeugung für ihren jungen Verehrer Freddy (Liviu Holender) entscheiden solle und nicht für den reifen Professor. Wie wir wissen, geht die Sache im Musical aber anders aus. Je intelligenter ein Mädchen, so hat eine Studie der UNESCO neulich herausgefunden, desto reifer sein Liebhaber.

My Fair Lady
Alle Aufführungstermine hier
https://www.gaertnerplatztheater.de/de/start/index.html

Gärtnerplatztheater
Gärtnerplatz 3
80469 München

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