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Eine kulinarische Genussreise durch die Weltgeschichte: „Wohl bekam’s“

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Rezension von Barbara Hoppe.

Wir können den Jägern und Sammlern dankbar sein. All jenen, die kleine und größere Schnipsel von Papier aufbewahren und bestenfalls dokumentieren. Was für eine Fundgrube wäre unsere Vielzahl an Einkaufslisten, Kinokarten, Theater- und Opernbillets für zukünftige Historiker? Doch wir werfen sie meist achtlos weg und in Zeiten der Digitalisierung verschwindet das vormals auf Papier gebannte früher oder später im digitalen Nirwana.

Doch gibt es glücklicherweise noch Menschen, die aufbewahren. Über Jahrtausende hat sich so Dank der Überlieferung diverser Menukarten eine Weltgeschichte der Essgewohnheiten, der Lebensmittelpreise, der Haltbarmachung von Lebensmitteln, der Landwirtschaft wie Hungersnöte und der Rezeptbücher herausgeschält, die uns auch Aufschluss darüber gibt, was es eigentlich an Lebensmitteln gab und wie viele Menschen zu welchen Zeiten satt werden wollten.

Es ist ein Kaleidoskop an Speisen – vom gigantischen Festmenu bis zum Essen im Landarmenhaus –  das sich vor unsin „Wohl bekam’s“  aufblättert. Welch ein kulinarischer Wahnsinn entfaltet sich vor unseren Augen, schauen wir auf das Festessen anlässlich der Einweihung einer neuen Residenz von König Assurnasirpal II. vor 2.800 Jahren. Knapp 70.000 Gäste feierten 10 Tage lang opulent. Zehntausende von kleinen und großen Tieren mussten dafür ihr Leben lassen, Milch und Honig flossen aus vielen hundert Krügen, wertvolle Gewürze veredelten die Speisen. Alles akribisch festgehalten auf einer Sandsteinstele, die der britische Archäologe Max Mallowan 1951 entdeckte. Und welch ein Gegensatz zum Armenessen mit Roggen- und Graubrot, Mehl- oder Brotsuppe und einem Eintopf aus Gemüse, Kartoffeln, Fett, Salz, Suppenkraut, Weizenmehl und Essig im Jahr 1856. Dazwischen liegt alles, was wir uns vorstellen können: Vom uns noch heute wohl gelittenen Frühstück wie Johann Wolfgang von Goethe es mochte mit Brötchen, Wurst, Käse und Kaffee, über diverse Staatsempfänge, Königshochzeiten, bis hin zur kuriosen Menufolge am 99. Tag der Belagerung von Paris am 25. Dezember 1870, zu dessen Anlass der Pariser Zoo im wahrsten Sinne des Wortes geschlachtet wurde oder der 1788 wohl ernst gemeinte Versuch Marie-Antoinettes, zu sparen. Allein die 16 kleinen Nachspeisen zeugen davon, dass dieses Abenteuer wohl als missglückt gewertet werden kann. Ein bisschen Boulevard darf nicht fehlen, wenn wir die Beatles zu Elvis Presley begleiten oder nachlesen können, was es auf der Hochzeit von Kim Kardashian und Kayne West gab.

Über 1.000 Jahre Geschichte umfassen die 1.873 Gerichte. Fündig geworden sind die Herausgeber in diversen Bibliotheken rund um den Globus. Auch bei der Gestaltung des Buches zeigt der Verlag wieder sein glückliches Händchen. Wunderschön mehrfarbig illustriert, sind die Menus auch ein Augenschmaus. Kurz und unterhaltsam kommentiert, historisch eingeordnet und vor allem alles andere als lehrbuchhaft nehmen sie uns mit auf eine unterhaltsame Reise durch die Geschichte. Gern blättert man vor und zurück, staunt, liest und fragt sich, wie Köche diese Kochprozeduren eigentlich bewerkstelligt haben. Köche, die sich im Laufe der Jahrhunderte einen Rang erarbeitet haben wie ihn heute wohl nur im Ansatz vergleichbar Fernsehköche zu eigen ist. Die Ehre, ein begnadeter Koch oder Konditor zu sein, war auch eine Last. François Vatel wählte nach einem misslungenen Menu für Ludwig den Vierzehnten lieber den Freitod als länger mit der Schmach zu leben.

Erst spät, mit dem Service à la russe, dem Servieren einer Speisefolge Anfang des 19. Jahrhunderts, veränderte sich auch die Bedeutung der Menukarte. Jetzt galt sie als Inhaltsangabe dessen, was noch kommt. Bis dahin war es üblich, Essen als Buffet – als Service à la française – zu servieren, bei dem die Speisenden mit einem Blick erkannten, was ihnen kredenzt wird. Was wir heute als Menukarte klassifizieren, war beim Buffet weniger für die Gäste da (die häufig gar nicht lesen konnten), sondern vor allem die Einkaufsliste für die Küchenchefs.

Seien wir also zu Gast bei einhundert großen und kleinen, festlichen und intimen Essen. Genießen wir die kulinarische Reise durch die Weltgeschichte!

Wohl bekam’s
Hundert Menus durch die Weltgeschichte
Herausgegeben von Tobias Roth und Moritz Rauchhaus
Graphisch in Szene gesetzt von 2xGoldstein + Schöfer
Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2018
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Coverabbildung © Verlag Das kulturelle Gedächtnis

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Ein Gedanke zu „Eine kulinarische Genussreise durch die Weltgeschichte: „Wohl bekam’s““

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