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Ein Moment mit ... Jean Muller
Foto: Marlene Soares

 

Heute im Interview:
Pianist Jean Muller, 1979 in Luxemburg geboren

Da steht er auf der Bühne. Groß. Imposant. Das gewellte Haar umrankt seinen Kopf. Also Franz Liszt heute Abend. Jean Muller (s. auch Feuilletonscout v. 10.4.2014) hat sich etwa vorgenommen. Mit den 12 Transzendentalen Etüden, den Etudes d’exécutution transcendente, hatte Liszt (1811-1876) schon seine Zeitgenossen mehr oder weniger überfordert. Die Stücke sind über ein Vierteljahrhundert entstanden, die erste Version, als der Musiker erst 15 Jahre alt war, die zweite dann 13 Jahre später. Sie galt als unspielbar. 1852 erarbeitete Liszt dann schließlich die Version, die wir gleich hören sollen.

Jean Muller setzt sich an den Flügel und – um es vorwegzunehmen – der Abend wird zu einem Ereignis. Hier wird nicht einfach nur gespielt. Leidenschaft, Entzücken, Hingabe, Kraft, wie ein Dompteur greift Muller in die Stücke, liegt fast auf den Tasten. Virtuos beherrscht er die Tempiwechsel, flüsternd in den sanften, fast brüllend in den wuchtigen Passagen. Bei den „Feux follets“ sieht man förmlich das Irrlicht züngeln, die „Chasse neige“ überrascht mit großer Harmonie. Nach dem abschließenden „Mephisto-Walzer Nr. 1“ werden die “Bravo“-Rufe aus dem Publikum lauter. Nur die drei wunderbaren Zugaben versöhnen damit, dass das Konzert nun endgültig vorbei ist.
Keine Frage – mit Jean Muller muss man auch in Zukunft rechnen. Sein Spiel begeistert!

Feuilletonscout sprach mit dem Künstler vor seinem Konzert in Berlin:

Feuilletonscout: Warum ist es die Liebe zum Klavier?
Jean Muller: Da bin ich sehr durch mein Elternhaus geprägt. Mein Vater war Pianist, meine Mutter ist Bratschistin – es hätte also auch das Streichinstrument werden können, aber das hat dann irgendwie nicht gepasst. Ich liebe das Klavier, weil es so enorm viele Möglichkeiten bietet, sich auszudrücken.

Feuilletonscout: Wie viele Stunden verbrachten Sie als Kind am Klavier, wie viele sind es heute?
Jean Muller: Insgesamt war es immer sehr viel. Als Kind habe ich natürlich nicht so viel geübt, sehr viel mehr Stunden  – ich würde sagen am meisten – habe ich in meiner Studienzeit am Klavier gesessen. Täglich acht Stunden. Heute sind es rund drei bis vier. Da ich auch noch vier bis fünf Stunden am Tag unterrichte, hat sich meine persönliche Übungszeit auf dieses Maß eingependelt.

Feuilletonscout: Chopin, Liszt, Bartók, Rachmaninov, Strawinsky – gut ein Jahrhundert. Haben Sie einen Lieblingskomponisten?
Jean Muller: Natürlich gibt es Repertoireschwerpunkte. Bei mir haben sich im Laufe der Jahre Beethoven, Chopin und Liszt herausgeschält. Aber es gibt keine Begrenzung. Ich bin weiterhin sehr neugierig, möchte mich auch gern auf Modernes konzentrieren, z.B. Werke von György Ligeti spielen.

Feuilletonscout: Auf Ihrer neuen CD spielen Sie Liszt in der Bearbeitung von Vladimir Horowitz. Wie erarbeiten Sie sich die Stücke? Haben Sie Vorbilder?
Jean Muller: Ja, natürlich hat man Vorbilder. Horowitz ist fast selbstverständlich. Oder auch Rubinstein. Aber irgendwann sind diese großen Pianisten weniger Vorbild als viel mehr Inspiration. Allerdings finde ich auch, dass es ganz wichtig ist, über das Klavieruniversum hinauszublicken, denn das findet zwangsläufig eine Begrenzung. Auch ein schönes Bild kann mir Quelle neuer Ausdrucksmöglichkeiten sein, wenn ich ein Stück erarbeite.

Feuilletonscout: Gibt es Angststellen in Stücken, die Sie spielen?
Jean Muller: Es gibt Stücke, die schwierig sind. Mein derzeitiges Konzertprogramm gehört sicher dazu. Aber konkrete Angststellen habe ich nicht. Das wäre meiner Meinung nach auch eher ein psychologisches Problem. Sicher kann es vorkommen, das mal etwas nicht so klappt, zum Beispiel wenn man müde ist. Aber das muss man überwinden. Bei mir überwiegt die Freude an der Herausforderung, in neue Stücke einzutauchen.

Feuilletonscout: Haben Sie Lampenfieber?
Jean Muller: Eher weniger. Das hängt aber auch damit zusammen, wie häufig man auf der Bühne steht. Nach längeren Pausen bin ich nervöser als wenn ich während einer Tournee fast täglich vor Publikum spiele. Eine gewisse Grundanspannung ist natürlich immer vorhanden. Aber die gibt mir Kraft, in diesem einen Moment das Beste aus mir herauszuholen. Lampenfieber bedeutet hingegen für mich, in meinen Möglichkeiten eingeschränkt zu sein. Es ist die Angst vor der Angst, und die lähmt. Als Lehrer werde ich oft gefragt, ob es einen psychologischen Trick gebe, wie man Lampenfieber überwinden könne. Ich sage dann immer „Nein“. Das einzige, was man sich sagen muss, ist: „Was könnte schief gehen?“ Seien wir ehrlich. Eigentlich kann in jeder Minute unseres Lebens irgendetwas passieren, selbst wenn wir morgens aufstehen, können wir ausrutschen. Aber in der Regel passiert nichts. Warum sollte das auf der Bühne anders sein?

Feuilletonscout: Was ist Ihr größter musikalischer Traum?
Jean Muller: Weitermachen, so lange es geht. Ich habe das große Glück, bereits so viel gespielt zu haben, auch öffentlich. Von 2007 bis 2009 habe ich alle Sonaten von Beethoven einstudiert. Das würde ich gern noch einmal wiederholen.

Feuilletonscout: Sie sind in vielen Städten dieser Welt unterwegs. Worauf freuen Sie sich, wenn Sie reisen? Und worauf, wenn Sie nach Hause kommen?
Jean Muller: Wenn ich reise, freue ich mich vor allem auf die Begegnungen mit den Menschen. Immer wieder erlebe ich, dass Musik eine Sprache ist, die an vielen Orten verstanden wird. Vom Ort selbst bekomme ich meist gar nicht so viel mit. Oft reise ich kurz vor dem Konzert an und am nächsten Morgen gleich wieder ab. Da bleibt nicht viel Zeit, ein Land kennenzulernen. Einmal war ich in Peking und um wenigstens ein bisschen von der Stadt zu sehen, war ich vor dem Konzert bei 35 Grad in der verbotenen Stadt. Das hat sich abends gerächt. Das Konzert war zwar ein Erfolg, aber eigentlich konzentriere ich mich lieber vor einem Auftritt statt in der Gegend herumzulaufen und Sehenswürdigkeiten anzuschauen.
Wenn ich nach Luxemburg zurückkomme, freue ich mich am meisten auf meine Familie. Meine Tochter Lulu ist jetzt fünf Monate alt. Ein starker Magnet, wieder heimzukehren!

Feuilletonscout: 2007 wurden Sie zum Ritter des zivilen und militärischen Verdienstordens Adolph von Nassau ernannt. Sehen Sie sich auch als Botschafter Ihres Heimatlandes, so wie es dieses offensichtlich tut?
Jean Muller: Ja, natürlich. Ich bin neben meiner normalen Konzerttätigkeit auch viel bei Staatsvisiten dabei. Nächsten Monat geht es nach Polen. Ich freue mich sehr darüber, und es ist auch ein Vertrauensbeweis, wenn man immer wieder gefragt wird. Insgesamt war ich bereits sechs Mal in dieser Funktion unterwegs.

Feuilletonscout: Was sollen die Menschen von Ihnen und/oder Ihrer Kunst in Erinnerung behalten?
Jean Muller: Als ausführender Künstler, als Pianist, bleiben vor allem Aufzeichnungen. Da ich auch als Lehrer tätig bin, würde ich mich freuen, wenn meine Schüler eines Tages zurückblicken und sagen würden, dass ich Ihnen eine Menge für ihr musikalisches Leben mitgegeben habe.

Feuilletonscout: Was wären Sie geworden, wenn nicht Pianist?
Jean Muller: Wahrscheinlich Mathematiker oder Physiker. Musik hat auch viel mit der Begeisterung für Zahlenspielereien gemeinsam, und ich kenne Menschen, die es geschafft haben, Musik und Wissenschaft zu verbinden. Ich selbst wollte im Musizieren keine Kompromisse machen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Muller!

Jean Mullers neues Album „Transcendence“ mit Werken von Franz Liszt ist jüngst erschienen. Am 22. Juni 2014 präsentiert er es in der Carnegie Hall in New York, am 27. Oktober 2014 in der Cadogan Hall in London.

Ein Moment mit... Jean Muller

Jean Muller
Transcendence
Jch-Production
Music & More S.A. 2014
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„Feux follets“, live beim „Transcendence“-Rezital in der Philharmonie Luxembourg am 24. Februar 2014

 

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