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Die »letzte Operette der Weimarer Republik«: „Frühlingsstürme“ in Berlin

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Jaromír Weinbergers Operette nach einem Libretto von Gustav Beer, rekonstruiert und neu arrangiert von Norbert Biermann. Rezension von Ingobert Waltenberger.

Die Komische Oper Berlin ist eine gut geölte Unterhaltungstheater-Erfolgsmaschine. Die wirkliche Bedeutung des Impresarios, Theatermachers und Regisseurs Barrie Kosky liegt aber darin, dass er vergessene Operetten und Opern vor allem aus der Zeit der 20er und 30er Jahre – oft mit Berlin-Bezug – dem Vergessen entrissen hat und in attraktiven, populären, neu gedeuteten Produktionen auf die Bühne bringt.

Dominik Köninger (Roderich Zirbitz), Alma Sadé (Tatjana), Stefan Kurt (General Waldimir Katschalow), Vera-Lotte Boecker (Lydia Pawlowska), Arne Gottschling (Hotelconcierge), Komparserie der Komischen Oper Berlin
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Nun ist Jaromír Weinbergers Operette „Frühlingstürme“ an der Reihe. Eine besonders wichtige Rehabilitation wie ich meine, weil die Musik Weinbergers eine ganz eigene magische Schönheit, Tempo, Farbigkeit, und spätromantisch instrumentale Virtuosität mitbringt und mit der Inventionskraft etwa des allerorts gespielten Lehar auf alle Fälle mithalten kann. Die Oper „Schwanda der Dudelsackpfeier“ kenne ich seit den 80-er Jahren aus der Wiener Volksoper und von der herausragenden Plattenproduktion mit Popp, Jerusalem, Prey unter Heinz Wallberg. Und auch die „Frühlingsstürme“ haben mich musikalisch nicht nur überzeugt, sondern ganz und gar mitgerissen. Aus dem melodischen Reichtum könnten heutige Musical-Komponisten locker zehn Werke aus der Retorte stampfen.

Dirigent Jordan de Souza hat mit dem Orchester der Komischen Oper die von Norbert Biermann in den Orchesterstimmen fabelhaft eingerichtete Musik voller Charme, Rasanz und revuehafter Eleganz eingefangen. Die Original-Partitur ist bis heute unauffindbar, also musste aus dem Klavierauszug und einigen auf Schellack aufgenommenen Nummern (mit den Stars der Uraufführungsbesetzung Richard Tauber (mit Mara Lossef) und Jarmila Novotná (mit Marcel Wittrich) neu instrumentiert werden. Auf Basis des originalen Materials hat Norbert Biermann gekonnt einige zusätzliche Nummern geschrieben, wie etwa das Entr‘acte zum zweiten Teil oder ein Quartett für die vier Hauptpartien am Schluss, und die instrumentalen Einschübe für das Ballett erweitert. In der Musik finden sich neben Walzer, Foxtrott und Tango, Anklängen an Jazz auch Fernöstlich-Exotisches à la „Land des Lächelns“ oder „Madame Butterfly“. Die Mischung aus böhmischem Idiom, wienerischer Nonchalance, aber auch an Filmmusiken erinnernden Broadway-Schwung und revuehaftem Drive sind unwiderstehliche Ingredienzien, die Lust auf mehr machen. 

Die Handlung nach einem Textbuch von Gustav Beer könnte einem Groschenroman abgeluchst sein. Sie spielt vor dem Hintergrund des Russisch-Japanischen Krieges von 1904/05 in der Mandschurei im Nordosten Chinas und im italienischen San Remo, wo im Stück die Friedensverhandlungen stattfinden.

Eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen der schönen Femme fatale Lydia Pawlowska zum japanische Generalstabsoffizier Ito, ein Buffo-Paar (Töchterchen Tatjana Katschalow und der deutsche Journalist Roderich Zirbitz) sowie der vertrottelt-liebenswürdig russische Oberbefehlshaber General Katschalow stehen im Zentrum dieses ironisch durchwirkten Kriegs- Spionage und Liebesdramas. Sie bilden das Personal des Stücks, das noch um zwei weitere russische Verehrer der schönen Lydia angereichert ist (Oberst Baltischew und Großfürst Michailowitsch).

Dramaturgisch spielt ein reines Damenballett (Choreographie Otto Pichler) eine ganz wichtige Rolle in der Inszenierung. Prächtig schön und lasziv wie die Paradiesvögelchen im Pariser Lido oder Crazy Horse (Extralob für die hinreißenden Kostüme von Dinah Ehm) peppen die Tänzerinnen das Stück ungemein auf und stürzen sich nach dem Goethe-Motto „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“ wie Zerbinetta in der „Ariadne auf Naxos“ voller Lebenslust und Schwung in das Geschehen um Krieg, Intrige und Liebe, dieses ganze Pandämonium menschlicher Schwächen ganz im Zeichen jugendlich emotionaler Frühlingsstürme.

Tansel Akzeybek (Ito), Vera-Lotte Boecker (Lydia Pawlowska), Tanzensemble
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Auch wenn es sich beim General schon um den dritten Frühling handelt, in den er sich ohne Rücksicht auf Verluste stürzt. Die reine Sprechrolle ist auch in der Publikumsgunst das eigentliche Epizentrum des Abends dank der überragenden Kunst des charismatischen Schauspielers Stefan Kurt. Ihm gelingt als Lydia nachstellender General im hormonellen Herbst ein rührendes Kabinettstück an Witz, Humor und feiner Melancholie. Ihm sind ganz große Theatermomente zu danken. Wie er etwa beim Tête-à-tête mit Lydia (die ihm das Passierwort des Abends entlocken will, um ihren als Spion aufgeflogenen Geliebten Ito zu retten) auf ihrem seidig bestrumpften Bein Flöte und Gitarre spielt, ist pure Magie. Vor dem Treffen probt er mimisch eine Liebeserklärung (selbst Charlie Chaplin hätte das nicht besser hinbekommen) und darf noch die Arie des Lenski singen, bis ihm die Natur kommt und er vor lauter Aufregung in eine Ecke des Empfangssalons pinkeln muss.

Dass der Abend ein Erfolg wird, ist aber neben dem in aller Höchstform aufspielenden Orchester auch vier sehr guten Sängerdarstellern aus dem Ensemble zu verdanken: Allen voran Vera-Lotte Boecker, die als raffiniert-attraktive Operetten-Diva und russische Mata Hari optisch und akustisch alle vorstellbaren Wonnen bietet. Wie einst Mirjana Irosch setzt sie alle weiblichen Atouts auf einmal auf den großen Roulettetisch des Lebens, um ihre große Liebe Ito trotz reger Spionagetätigkeit für den Feind zu retten. Ihre Arien und Ensembleszenen bilden auch die musikalischen Höhepunkte der Partitur. Boeckers runder lyrischer Sopran verfügt über eine profunde Tiefe, eine wohlig samtige Mittellage und leicht ansprechende silberne Höhen. Dass sie am Ende den Gentleman-General nehmen muss, weil Ito sich als Verratener glaubend in Japan längst geheiratet hat, ist die eigentlich tragische Seite des Stücks.

Mit technischer Perfektion wartet der junge türkische Tenor Tansel Akzeybek auf, der sich als chinesischer Diener verkleidet in das Haus des russischen Generals einschleicht. Seiner Stimme fehlen zwar der Schlagobers-Schmelz und die Nougat-Piani, die nicht nur Frauenherzen höher schlagen lassen, dennoch überzeugen sein hundertprozentiger Einsatz, eine exzellente Phrasierung und die faszinierend sicheren Höhen.

Das Buffopaar ist mit dem Hausbariton Dominik Köninger und der israelischen Sopranistin Alma Sadé stimmlich trefflich besetzt. Allerdings hat ihnen Regisseur Barrie Kosky für meinen Geschmack eindeutig ein Zuviel an Klamauk und ,Action‘ verschrieben. Köninger spielt den deutschen Kriegsberichterstatter Roderick Zirbitz als opportunistischen Sonntags-Beilagen Paparazzo. Ob als Koch oder chinesischer Akrobat, alle Verkleidungen sind ihm recht, um die Fetzer-Story zu bringen. Dabei zappelt und zeppelt er wie ein Teddy-Bär tollpatschig über die Bühne. Alma Sadé  als Internats-Ausreißerin wiederum muss als schriller Teenie, frech auf den ,Papsi‘ General pfeifender Wirbelwind agieren. Ihr leichter Sopran mit Top Höhen und Köningers wie immer warm-volltönender Bariton entschädigen etwas für das Karikaturale der Darstellung.

Die Bühne von Klaus Grünberg und Anne Kuhn ist auf einen wandelbaren Holzwürfel im kahlen Bühnenraum reduziert. Eine pragmatische und kluge Lösung zugleich. Die Absicht war, eine Zauberkiste hinzustellen, aus der die Welt der Operetten-Träume wie aus dem Nichts entstehen kann. Aus dieser großen Erinnerungsbox „ploppen die einzelnen Szenen und Musiknummern in einer Logik, die nur die Operette kennt, auf.“

Am Ende verdienter Jubel für alle Beteiligten, Schauspieler Stefan Kurt wird mit den heftigsten Bravos bedacht.

Zum Schluss Faktisches und ein Tipp
Frühlingsstürme wurde am 20. Januar 1933, knapp einen Monat nach Paul Abrahams Ball im Savoy und zehn Tage vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Berliner Admiralspalast mit Richard Tauber als japanischem Offizier Ito und Jarmila Novotná als russischer Generalswitwe Lydia Pawlowska uraufgeführt. Am 12. März 1933 fiel in Berlin endgültig und unwiderruflich der Vorhang. Weinberger floh vor dem Regime zuerst nach Österreich, dann nach Frankreich, 1939 in die USA. Nach einem Herzinfarkt und unter Depressionen leidend nahm er sich 1967 im Alter von 71 Jahren mit Schlaftabletten das Leben.

Seine 1927 in Prag uraufgeführte Volksoper „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ war eine der meist gespielten Opern der Zwischenkriegsjahre. Innerhalb von nur vier Jahren wurde sie über 2000 Mal gespielt, 1931 auch an der MET in New York. An der Staatsoper (in der Volksoper) in Wien wurde sie zuletzt 1947 gegeben, in der Volksoper gab es eine Produktion 1980, die 1986 wiederaufgenommen wurde.

Die Komische Oper Berlin wird eine eigene Inszenierung des „Schwanda“ im März 2020 mit weiteren Aufführungen im April, Mai und Juni herausbringen. Andreas Homoki wird Regie führen, in den Hauptrollen werden Sara Jakubiak und Daniel Schmutzhard zu hören sein.

Frühlingsstürme
Operette von Jaromír Weinberger
Musikalische Leitung: Jordan de Souza
Inszenierung: Barrie Kosky
Vorstellungen noch bis Ende März: hier

Deutsche Oper Berlin
Behrenstraße 55-57
10117 Berlin

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