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Die Kunst, Beuys zu sammeln

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Die Kunst, Beuys zu sammelnDer Sammler ist die Schlüsselfigur der Kunstgeschichte. Er entdeckt  Unbekanntes, vereint Verschiedenes, schafft Querverbindungen, offenbart ein Gesamtbild. In seiner Auswahl von Kunstwerken zeichnet er zugleich ein Selbstporträt. Im Lenbachhaus in München lädt uns der Sammler Lothar Schirmer ein in seine exemplarische Kollektion von Arbeiten auf Papier des Joseph Beuys. Von Stephan Reimertz.

»Jeder ist ein Künstler«, sagt Joseph Beuys. Und Ernst Jünger schreibt: »Jeder ist ein Autor.« Die beiden großen Befreier in der Kultur des Zwanzigsten Jahrhunderts sind inzwischen lange tot, der Künstler fast schon seit zwei Generationen, der Autor seit beinah einer Generation. Beide waren nicht mit herkömmlichen Maßstäben zu messen, weil sie, jeder auf seine Art, ihr Leben radikal gelebt haben. Jeder von ihnen hinterließ ein umfangreiches Werk, welches die Normen in Kunst und Literatur verschiebt.

Beide Künstler haben wütende, hasserfüllte Gegner auf sich gezogen. Ernst Jünger spielte im »Dritten Reich« gar um seinen Kopf. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es der Gesinnungsterror einer selbsternannten Literaturpolizei, die ihm zusetzte. Jünger überlebte zwei Weltkriege, Joseph Beuys einen Flugzeugabsturz auf der Krim. Auch die künstlerischen und persönlichen Angriffe, denen sich Beuys, der 1921 in Krefeld geborene Künstler, ausgesetzt sah, überschritten wie bei Jünger jedes Maß und berühren den Bereich persönlicher Bedrohung.

Die innere Revolution

Warum haben gerade diese beiden Schöpfer, die für die Moderne so konstitutiv waren, unfehlbar die Bewunderung des Publikums wie die Wut des Mobs provoziert? Historiker, Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker boten unterschiedliche Antworten auf diese Frage an. Es scheint sich vor allem um eine Verwechslung von Ursache und Wirkung zu handeln. Die Künstler führen den Betrachter oder Leser in die chtonischen Tiefen des eigenen Ich und des Mythos, und das Erschrecken vor sich selbst bringt den Unbedarften dazu, auf den Seismographen einzuschlagen, hier: auf das Kunstwerk und den Autor.

Die neue Ausstellung im Münchner Lenbachhaus Joseph Beuys: Einwandfreie Bilder 1945 – 1984 führt uns an die Substanz des beuysschen Œuvres. Die an die zweihundert Blätter aus allen Arbeitsphasen des Künstlers, die der Verleger Lothar Schirmer über Jahrzehnte versammelt hat, laden uns ein und fordern uns zugleich heraus, uns diesem künstlerischen Werk erneut auszusetzen; und das heißt, sich auf eine Neudefinition der Welt einzulassen. Bei Joseph Beuys geht es nicht darum, zwischen Lunch und Tee ein paar gute Bilder zu betrachten, ebenso wenig wie uns Ernst Jünger vor dem Einschlafen ein gutes Buch in die Hand drückt. Vielmehr sind wir aufgefordert, einmal alles zu vergessen, was wir für selbstverständlich hielten, uns von innen heraus zu revolutionieren und die Weltgeschichte für uns selbst noch einmal neu anzufangen. Ein Blatt von Joseph Beuys oder ein Buch von Ernst Jünger sind, mit Kafka zu sprechen, »die Axt für das gefrorene Meer in uns«.

Beuys Lenbachhaus München 2018
Coverabbildung © Schirmer Mosel

Propädeutik des erweiterten Kunstbegriffs 

Der Chthonismus im Zentrum von Beuys Werk offenbart sich in der qualitativ herausragenden Sammlung des Verlegers Schirmer umso mehr, als der Sammler nicht allein über ein unbestechliches Qualitätsgefühl verfügt, sondern auch einen Sinn für die geheimen Motive im Werke von Joseph Beuys hat, wenn man so will: die unterirdischen Stollen und Adern. Als Metapher wie als Topos wirkt dabei das jeweilige Motto des einzelnen Ausstellungsraumes. Die Sammlung führt uns ein in die geistige Topographie des Künstlers, der sich hier als Erbe der deutschen Kultur um 1800 ebenso verrät wie als künstlerisch fruchtbarer Nachfolger Rudolf Steiners und der Anthroposophie.

Es ist aufregend zu sehen, wie Beuys sein metaphysisches Wärmeprinzip aus jenem Urgrund alles Seienden abzuleiten versucht, dem schon Goethe, Novalis und Hölderlin nachgespürt haben. Kleinformatige Blätter geben zugleich einen Eindruck seiner technischen Vielfalt. Wasserfarben, Bleistift, Stempel, Zeitungsschnipsel, Holzschnitt, Aquarell usw. zeigen jene künstlerische Kurzschrift, mit der Beuys immer wieder frappiert. Tiere, Pflanzen und technische Formen offenbaren eine ebenso prägnante wie intensive Einfühlung in Formen der Natur wie die vom Menschen daraus abgeleiteten.

Der Sammler ist selbst ein Künstler

Besonders Anliegen der Sammlung sind auch Beuys’ Zusammenarbeiten mit seinem Sohn Wenzel und die politischen Aspekte seines Kunstverständnisses. Immer wieder atmet das Œuvre den Ton der großen Kunstgeschichte, wie z. B. in der Bleistiftzeichnung einer Pietà von 1948. Ein Besuch in Lothar Schirmers Sammlung eignet sich hervorragend als Propädeutik zu einem vertieften Studium dieses Künstlers und des erweiterten Kunstbegriffs. Joseph Beuys hat uns noch viel zu sagen, und jetzt erst, so scheint es, da die Pulverdämpfe des ideologischen Weltbürgerkrieges verwehen, erscheint dieses künstlerische Werk in seiner ganzen Klarheit. Die Ausstellung im Lenbachhaus belegt, was ein Sammler zu leisten vermag, der das Auge, die Fokussierung, die Disziplin und das Durchhaltevermögen mitbringt, Teile eines bedeutenden Œuvres so zu gruppieren, dass von seiner Auswahl ein erhellendes Licht auf das Gesamtwerk des Künstlers fällt.

Joseph Beuys. Einwandfreie Bilder 1945 – 1984
Ausstellung bis zum 18. März 2018
Kataloge zur Ausstellung hier kaufen

Städtische Galerie im Lenbachhaus
Luisenstraße 33
80333 München

Öffnungszeiten:
Dienstag: 10 bis 20 Uhr
Mittwoch bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Montag: geschlossen

12 Euro/6 Euro

 

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