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„Der Schattenkönig“ von Maaza Mengiste

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LiteraturVon Birgit Koß.

Die äthiopische Schriftstellerin Maaza Mengiste wurde 1971 in Addis Abeba geboren. Im Alter von vier Jahren flüchtete sie mit ihren Eltern vor der Äthiopischen Revolution und lebte anschließend in Kenia und Nigeria, später kam sie nach New York. Sie schaut mit schonungslosem Blick in die Geschichte ihres Landes und webt ihre Erkenntnisse in detailreiche, oft brutale und manchmal fast mystisch wirkende Geschichten einzelner Familien ein. Widmete sie sich in ihrem Debüt dem politischen Umsturz in den 70er Jahren und der Ermordung Haile Selassies, so schaut sie in ihrem neuen Roman „Der Schattenkönig“ zurück in die 30er Jahre.

1935 fällt Mussolini in Äthiopien, damals Abessinien, ein. Es ist der letzte koloniale Eroberungskrieg der Moderne, den das faschistische italienische Regime mit der Eroberung neuen „Lebensraums“ begründet. In dem bis dato größten Luftkrieg setzt die italienische Armee Giftgas ein, tötet zahlreiche Zivilisten und begeht unzählige Gräueltaten. Auf abessinischer Seite sind 330 000 bis 760 00 Opfer zu beklagen, die Verluste bei den Italienern, die gemeinsam mit abessinischen Askari kämpfen, betragen etwa 5 bis 10 Prozent davon. Erst Ende der 90er Jahre gesteht die italienische Regierung den Einsatz des Giftgases ein und entschuldigt sich beim äthiopischen Volk für das begangene Unrecht.

Zehn Jahre hat Maaza Mengiste an diesem Roman gearbeitet, in dem sie besonders den äthiopischen Frauen ein Denkmal setzen wollte. Ihre Protagonistin ist die junge Hirut. Als Waise kommt sie zu dem adeligen Ehepaar Aster und Kidane als Dienstmädchen. Kidane kannte ihre Mutter gut und fühlt sich für das junge Mädchen verantwortlich, später begehrt er und vergewaltigt sie schließlich. Aster, die von Ihrem Ehemann in der Hochzeitsnacht ebenfalls mit Gewalt genommen wurde, spürt diese Gefahr und sieht in Hirut eine Rivalin und misshandelt sie. Doch schon bald werden diese persönlichen Rivalitäten vom Krieg überlagert. Zuerst begleiten die Frauen die Krieger als Köchinnen und um die Verwundeten zu versorgen, doch schon bald greifen sie selbst zu den Waffen. Während das Volk einen verzweifelten Krieg führt, ist Kaiser Hailes Selassie im sicheren Exil im englischen Bath. Das Volk fühlt sich verlasen. Doch eines Tages sieht Hirut einen armen Musiker, der dem Kaiser verblüffend ähnelt. Sie kommt auf die Idee, dass er des Kaisers Rolle übernehmen soll – als Schattenkönig-! Der Plan gelingt und gibt dem Volk neue Hoffnung und Kraft, gegen die italienischen Invasoren zu kämpfen. Gleichzeitig demoralisiert diese Geschichte die italienische Armee.

Der Kampf wird mit äußerster Brutalität geführt. Auf der italienische Seite personifiziert durch den sadistischen Oberst Carlo Fucelli, der seine Gefangenen über ein Klippe ins Nichts stürzen lässt. Doch eines Nachts dringt der Feind in sein gut bewachtes Zelt ein. „Carlo starrt den Furcht einflößenden Mann an. Was ihn bedrängt, ist die Finsternis an sich. Rache , aus den Tiefen der Erde hervorgegraben, strotzend vor Kraft und Lärm. Die Zeit bleibt fast stehen, dann rast sie von Neuem. Sämtliche Erinnerungen überschlagen sich. Ein scharfes Messer schabt über die zarte Haut an seinem Hals, schneidet ins Fleisch. Blut fließt warm auf den Hemdkragen.“ Doch der Angreifer lässt den Oberst am Leben, ihm reicht die Demütigung des Feindes. Die zweite italienische Hauptfigur ist der jüdische Fotograf Ettore Navarra. Er macht Fotos von den Gefangenen, so auch später von Hirut und Aster. Seine innere Auseinandersetzung mit dem Krieg führt der junge Mann über Briefe, die er an seinen Vater schreibt. Auch hier gibt es ein dunkles Familiengeheimnis. Ettore, der zunächst unter dem Schutz des Obersts steht, muss als Jude schließlich doch die Armee verlassen. Er taucht in Äthiopien unter und kehrt Jahre später nach Italien zurück. Seine Habseligkeiten bewahrt er in einer Blechkiste auf, die er vergräbt. Hirut beobachtet ihn dabei und nimmt diese Kiste später an sich. 1974 als der Kaiser gestürzt wird,  treffen Hirut und Ettore noch einmal in Addis Abeba aufeinander – dieses Begegnung bildet den Rahmen des Romans.

Cover: dtv Verlag

Maaza Mengiste wählt verschiedene Formen, um sich ihrer grausamen Geschichte zu nähern. Nicht nur die dazwischen gestreuten Fotobeschreibungen unterbrechen den Fluss. Es gibt auch einen Chor. Die Idee dazu, sagt die Autorin, habe sie aus der griechischen Antike – der Illias – einerseits und andererseits gäbe es in Äthiopien bis heute noch Griots, die Lieder über die Geschichte vortragen.

„Chor

Singt, Töchter, von einer Frau und Tausenden, von jenen Scharen, die dem Wind gleich eilten, um ein Land von giftigen Bestien zu befreien. Singt, Kinder von jenen, die euch vorausgingen, von jenen, die den Weg bereiteten, auf dem ihr zu wärmeren Sonnen schreitet, Singt, Männer, von der tapferen Aster und der rasenden Hirut und ihrem gleißenden Licht über einem Land voller Schatten.

Singt von jenen, die nicht mehr sind,

Singt von den Giganten, die noch unter euch weilen,

Singt von jenen, die noch geboren werden.

Singt.“

Maaza Mengiste erzählt im Interview, dass sie zuerst mit einer großen Wut begonnen habe zu schreiben, aber die Figuren dadurch blutleer blieben. Dann habe sie versucht, auszuloten mit wieviel Schönheit der Sprache sie die Grausamkeiten beschreiben könne. Daneben war es für sie eine Herausforderung sich mit der Religion zu beschäftigen. Schließlich beten sowohl die Italiener als auch die Äthiopier zu demselben Gott. Sie wollte wissen, was das heißt, wenn man gegeneinander kämpft. Maaza Mengiste hat in italienischen Archiven recherchiert und festgestellt, dass viele Dokumente dort zensiert waren. Dann hat sie ihre Recherchen auf Augenzeugen beziehungsweise deren Kinder und Enkel gerichtet. Viele haben ihr Briefe und Fotos der Familie aus der Kriegszeit zur Verfügung gestellt. In Äthiopien hat sie auch bei ihrer eigenen Familie recherchiert, wo der Krieg immer wieder ein Thema war. Doch erst nachdem sie ihren Roman abgeschlossen hatte, hat ihre Mutter ihr erzählt, dass Maazas eigene Urgroßmutter mit einem alten Gewehr in den Krieg gezogen sei, gegen den Widerstand der eigenen Familie. Auf ihre Frage, warum die Mutter ihr diese Geschichte nie erzählt habe, bekam sie die Antwort – du hast mich nie danach gefragt.

Dieses Versäumnis, den Anteil der Frauen an Kriegen darzustellen, und für sie steht der Abessinien-Krieg stellvertretend für viele andere – hat Maaza Mengiste auf die ihr eigene Weise ausgeräumt. Die fast 600 Seiten sind keine leichte Kost, bringen aber viele Stimmen zum Klingen und zeigen neben der Perversion des Krieges den Mut und die Tatkraft der Frauen. Damit hat der Roman es 2020 auf die Shortlist des Booker-Preises geschafft.

Maaza Mengiste
Der Schattenkönig
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky
dtv Verlag, München, 2021
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