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Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss

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LiteraturIn Victor Pouchets Debütroman fließt das Leben seines Protagonisten so träge dahin wie die Seine. Rezension von Barbara Hoppe.

Vögel fallen tot vom Himmel. Die erste Schar kam beim kleinen Örtchen Bonsecours in der Haute-Normandie herunter, ganz in der Nähe von Rouen. Zwei weitere nicht weit davon entfernt. Doch nachdem sich der erste Mediensturm gelegt hat, scheint das Phänomen niemanden mehr zu interessieren. Bis auf den Ich-Erzähler dieses kurzen Romans. Er ist in Bonsecours geboren und aufgewachsen. Die toten Vögel beunruhigen ihn deswegen zutiefst.

Victor Pouchets Held legt nahe, sich ihn als den Autor vorzustellen. Offenbar trägt er Bart und Brille (wie Pouchet auf dem Autorenfoto) und er scheint in einem Fach zu promovieren, das es ermöglicht, mehr oder weniger nichts zu tun. (Was dem Autor, der moderne Literatur lehrt, sicher nicht gerecht wird). Naturwissenschaftler ist dieser Ich-Erzähler jedenfalls nicht. Doch mit dem Vogelregen in seiner Heimat poppt ein Kindheitstrauma um einen toten Papagei wieder hoch. Und während seine Freunde längst ein geregeltes Familien- und Berufsleben führen, macht sich der von seinem Leben ermattete Ich-Erzähler auf die Suche nach den Ursachen des Vogelregens. Ein umfangreiches Tote-Vögel-Heft wird angelegt, in dem er alles sammelt, was mit ungewöhnlichen Tiervorkommnissen zusammenhängt. Um dem Geheimnis der toten Vögel endgültig auf die Spur zu kommen, entschließt sich unser Held, mit einem Flussschiff von Paris nach Rouen zu fahren.

Als weitaus jüngster Passagier auf dem Schiff macht er sich auf die Reise. Eine Reise, die so gemächlich dahinfließt wie die träge Seine durch die Landschaft. Und genauso wenig vor Abschweifungen und Umwegen haltmacht wie der Fluss: „Die Seine macht Umwege, sehr ausschweifend, gräbt ihre Windungen ins Land“. Und was macht unser Held? Er gibt sich dem langsamen Lauf des Wasser hin: „Ich gab mich dem mäandernden Fluss hin, verschlang ihn geradezu mit Blicken, mit einer Art landschaftlicher Ungeduld“ und denkt dabei an einen korsischen Schäfer, der ihm einst sagte „Irgendwann muss man die Kurve kriegen“. Doch so richtig scheint dies, im Gegensatz zum Fluss, dem jungen Mann in seinem Leben nicht zu gelingen. Er schwadroniert mit einem älteren Passagier über Vögel als Waffe –  der einzige, der als Forscher das Vogelproblem ernst nimmt und damit als Vertreter einer anderen Generation viel hartnäckiger an der Sache dran bleibt als unser Student. Letzterer verliebt sich in die Vizekapitänin, trinkt zu viel, taumelt durchs Leben und geht schließlich bei Rouen von Bord, ohne in seinen Nachforschungen weitergekommen zu sein. Auch seine Heimat erhellt das Problem nicht. Der Vater ist nicht zu Hause und nur das Naturhistorische Museum hält noch eine Überraschung für den Ich–Erzähler bereit, die ihn von glorreichen Vorfahren träumen und weit vom Ziel seiner Reise abkommen lässt.

In Victor Pouchets Debütroman vertrödelt ein Mensch seine Zeit zauberhaft unspektakulär. Ganz Kind von heute, begeistert er sich einen Moment lang für ein Thema, läuft ihm hinterher und vertieft sich mit viel Halbwissen hinein, um am Ende wieder am Anfang zu stehen. Mit leisem Humor schildert Pouchet, wie hier jemand seinen Platz im Leben zu finden versucht oder wenigstens Ordnung hineinzubringen und mit sich ins Reine zu kommen. „Irgendwann muss man die Kurve kriegen“ gilt nicht nur für unseren Ich-Erzähler. Victor Pouchet ist mit seinem schlichten Roman bereits in sie eingebogen, auch nicht wieder herausgeflogen, aber lange noch nicht hindurch. Diese kleine Momentaufnahme aus den Leiden einer etwas faden und blassen Generation ist durchaus lesenswert. Eine Lösung indes bietet sie nicht.

Victor Pouchet
Warum die Vögel sterben
Berlin Verlag, München 2019
Buch kaufen oder nur hineinlesen

Coverabbildung © Berlin Verlag

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