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„Das Forum“ – Rettet Davos die Welt? Ein Doku-Thriller von Marcus Vetter

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Eindrücke von Farah Lenser.

Bald ist es wieder soweit: Ende Januar wird das Fernsehen wieder knatternde Hubschrauber über dem kleinen verschneiten Dorf Davos in den Schweizer Bergen zeigen und in den Nachrichten werden Regierungsvertreter dieser Welt – meist Männer in schwarzen Anzügen neben ein paar Frauen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre neuesten Einsichten und Beschlüsse verkünden.

Zum Weltwirtschaftsforum in Davos hat wohl jeder Mensch, der sich für das Zeitgeschehen interessiert, eine dezidierte Meinung; die meisten denken wohl: Da sind mal wieder „die da oben« versammelt und entscheiden über unsere Zukunft. Das Wort Dialog ist wohl eines, was den wenigsten dazu einfällt, wenn dreitausend Lobbyisten der Wirtschaft versuchen mit den Mächtigen der Politik ihre Deals auszuhandeln.

Doch genau das war es, was der Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab vor 50 Jahren im Sinn hatte, als er das WEF (World Economic Forum) ins Leben rief: »Ohne das Bedürfnis zum Dialog hätten wir eine Diktatur. Wichtig ist, dass zugehört wird, nicht nur geredet.« Ein globales Dorf wollte er schaffen, wo sich die Interessenvertreter der Wirtschaft, mit denen der Politik und der verschiedenen Akteure der Zivilgesellschaft gemeinsam treffen könnten, um eine bessere Welt zu erschaffen.

Im Film begegnet uns ein lebhafter, sympathischer Herr, der sein 80. Lebensjahr bereits überschritten hat, einer der eher philosophisch argumentiert  und mit den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft vertraut verkehrt.

© GBF/Philipp Künzli/Pierre Johne
Key Visual DAS FORUM mit Prof. Klaus Schwab und Greta Thunberg

Doch es sollte kein Film über ihn werden, das hatte Klaus Schwab, sehr deutlich gemacht, als der Produzent Christian Beetz vor fünf Jahren mit dem Anliegen an ihn herantrat, einen Dokumentarfilm über das WEF zu drehen. Das Filmprojekt geriet immer wieder ins Stocken, bevor es überhaupt Fahrt aufnehmen konnte. Erst dem Regisseur Marcus Vetter gelang es, dem wichtigsten Mann hinter dem WEF klar zu machen, dass es keinen Film über diese Institution geben könne, ohne ihn selbst in den Blick zu nehmen. Denn um einen Film zu drehen, müsse er wissen, ob es je eine Vision gegeben habe, und ob diese heute noch von Relevanz sei. Er bittet Klaus Schwab sich drei seiner preisgekrönten Filme anzusehen, um zu verstehen, wie er an persönliche und kontroverse Themen herangehe.

Zusammen mit seiner Frau Hilde schaut sich der vielbeschäftigte Mann die Filme innerhalb einer Woche an und ist an der Angel. Im Interview erzählt er von seinen ersten Prägungen: Über seinen Vater lernte er Ludwig Erhard kennen und wurde vertraut mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft, das alle Stakeholder an einen Tisch holen und auch einen sozialen Ausgleich schaffen will. So ähnlich sah auch seine Vision aus, als er das erste Weltwirtschaftsforum vor 50 Jahren in Davos eröffnete. Seitdem wurde die jährlich stattfindende Konferenz immer größer und die Organisation dahinter immer mächtiger. Heute ist das WEF eine Institution mit rund 800 Mitarbeitern mit Stammsitz in Genf und Außenstellen in San Francisco und anderswo; es gibt nicht nur das jährliche Treffen in Davos, sondern auch Konferenzen in Asien und New York. Finanziert wird die als gemeinnützig anerkannte Initiative von etwa 1000 der mächtigsten Wirtschaftsunternehmen, die entsprechend viel für ihre Mitgliedschaft zahlen.

Marcus Vetter begleitet die Akteure des WEF fast drei Jahre lang und wirft auch einen Blick auf die Gegenakteure, die sich »draußen vor der Tür« in Camps versammeln, um ihre Meinung lautstark kundzutun, und einigen von ihnen wird auch manchmal eine Tür geöffnet.  

©  Pierre Johne 2018  
Davos Veranstaltung 2018
Veranstaltungsraum auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2018.

Der Film zeigt im schnellen Wechsel verschiedene Blickwinkel auf das Geschehen: Tatsächlich beginnt er mit dem Klischeebild des verschneiten Davos, über das Hubschrauber kreisen, die Präsident Donald Trump im tiefen Schnee absetzen und führt uns dann ins Amsterdamer Hauptquartier von Greenpeace, wo die geschäftsführende Direktorin Jennifer Morgan mit ihren Mitstreitern diskutiert, ob und wie sie den »Bösen« in Davos begegnen wollen und kommen zu der Einsicht »Ohne diese Menschen können wir nichts machen, wir sind auf sie angewiesen«.  »Denn – so der Leiter der Kommunikation Mike Towsley – in Davos versammeln sich 3000 der wichtigsten Entscheidungsträger der Welt, die den Kurs noch ändern könnten, um eine Klimakrise zu verhindern.“

Im Genfer Hauptquartier konfrontiert indes Marcus Vetter Klaus Schwab mit der Frage, wie er mit einer Firma wie Monsanto zusammenarbeiten könne, die genetisch modifizierte Hybridsamen, sogenanntes »Frankensteinfood«, produziert und an indische Bauern verkauft, die in der Folge oft in den Ruin oder gar in den Selbstmord getrieben werden. Klaus Schwab ringt sichtlich mit sich, bis er eingesteht, dass auch er mit dem Produkt nicht einverstanden sei, um gleich hinzuzufügen, alles sei nicht so schwarz, wie es aussehe, und dass er in seinen Foren diese Leute mit ihrer Verantwortung konfrontieren wolle. So wie der Pfarrer in der Kirche heiße er die Sünder willkommen.

Jennifer Morgan kommt mittlerweile mit dem Zug in Davos an und rollt ihren Koffer über schneebedeckte Trottoirs. Auf einer Pressekonferenz darf sie auf dem Podium mitreden und gibt ihre Überzeugung kund, dass sie nicht mehr an »Global Public-Private Partnership« glaube, ein Konzept, das das WEF stark vorantreibt.

Trump hat seinen ersten großen Auftritt vor dem illustren Publikum und bestätigt das Motto des WEF: »Ich unterstütze Ihre Initiative zur Schaffung einer neuen besseren Welt! Bringen Sie Ihre Investitionen in die USA!« So hat eben jeder seine eigene Perspektive.

Der Staatspräsident aus Kanada, Justin Trudeau, wirkt da schon glaubwürdiger, wenn er sich für saubere Meere engagiert und in seinem Land entsprechende Maßnahmen vorantreibt.

 »Prince William« aus Großbritannien interviewt auf großer Bühne den Naturforscher und Tierfilmer David Attenborough, der daran erinnert, dass industrialisierte Welt und Natur keine Gegensätze sein müssten, sondern wir das Wissen und die Macht hätten, mit der Natur in Einklang zu leben. Und Jane Goodall, die weltberühmte Verhaltensforscherin und Freundin der Schimpansen beklagt die fehlende Verbindung von Intellekt und Weisheit.

Auch Jair Bolsonaro, gerade zum brasilianischen Präsidenten gekürt, reiht sich ein in den Reigen, indem er behauptet: »Wir sind das Land, das die Umwelt am meisten schützt. Kein Land der Welt hat soviel Wälder wie wir. Wer uns kritisiert, kann noch viel von uns lernen.«

Bei einem informellem Treffen gelingt es Marcus Vetter, mit einen langen Mikrophon Töne zu angeln und nähert sich dem brasilianischen Präsidenten, der abseits mit seinem Dolmetscher in der Ecke steht. Al Gore, Friedensnobelpreisträger und Umweltschützer, ergreift die Gelegenheit, um Bolsonaro auf seine Sorge den Amazonas betreffend anzusprechen. Der erklärt ihm, man könne den Amazonas nicht außen vor lassen; da gäbe es enorme Bodenschätze zu bergen und er wolle mit den USA gemeinsam daran arbeiten, diese zu erschließen. Da fällt dem ehemaligen amerikanischen Vize-Präsidenten Al Gore nichts mehr ein; höflich aber entnervt zieht er sich zurück.

Wir bekommen auch Einblicke in die kontinuierliche Arbeit des WEF: Murat Sönmez, leitendes Vorstandsmitglied, leitet das in San Francisco ansässige »Centre for the 4th Industrial Revolution« und unterstützt Städte und Gemeinden bei ihren Problemen mit technischen Lösungen, von Blockchain bis künstlicher Intelligenz. In Indonesien beobachtet das Filmteam den Wirtschafts-und Umweltwissenschaftler Dominique Waughry in seinem Bemühen, die Produktion von Palmöl mit allen daran beteiligten Akteuren nachhaltiger zu gestalten, um die Abholzung des Regenwalds einzudämmen. Auch er ein lebenslanger Aktivist, der den alten Revolutionsbegriff in Frage stellt: »Revolution kann auf allen Ebenen des Systems stattfinden; sie muss nicht dogmatisch sein und von ein paar wütenden Menschen vorangetrieben werden. Wenn wir gute Erfahrungen sammeln, kann aus Verzweiflung Hoffnung werden … das breitet sich aus – von unten nach oben. Wir sind alle Menschen.«

In Ruanda besucht Klaus Schwab junge »Social Entrepreneurs«, die Medikamente und Blutkonserven in 20 Minuten mit Drohnen an ihren Zielort bringen, wo verschlammte Straßen und fehlende Infrastruktur eine andere Transportmöglichkeit fast unmöglich machen. Hier hilft das WEF bei der Kommunikation mit der dortigen Regierung, um entsprechende Gesetze auf den Weg zu bringen. Das Problem: Tausende von Kindern sterben, weil Krankenhäuser nicht schnell genug an Medikamente und Blutkonserven kommen. »Das ist ein logistisches Problem«, sagt sich der Jungunternehmer und löst es.

In der Langfassung des Films nimmt uns die Kamera mit in eine interne Sitzung beim WEF in Davos, wo junge Unternehmer von technologischen Möglichkeiten schwärmen, von denen die etablierten Wirtschaftsbosse noch nie gehört haben und einige von ihnen nehmen dankbar die in Aussicht gestellte Unterstützung von Nachhilfestunden an. Doch auch hier gibt es die Kehrseite, wie der Journalist Nicholas Thompson es in Bezug auf illegale Fischerei formuliert: »Viele Probleme können technologisch gelöst werden, doch auch die Bösen besitzen diese Technologien und haben dabei die Nase vorn.«

Vor den Toren von Davos campt im Jahr 2019 auch die 16jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg und spricht mit den Journalisten; in der Sitzung mit Al Gore wird auf Vermittlung von Jennifer Morgan ein Video von Greta Thunberg eingespielt, in dem sie den anwesenden Politikern und Wirtschaftsvertretern ins Gewissen redet: »Unser Haus steht in Flammen und alle reden nur von Wachstum und Geld.«  Klaus Schwab greift den Ball auf, gratuliert ihr später in einem Brief zu dem wachsenden Erfolg ihrer Fridays for Future- Bewegung und lädt sie nicht nur zum nächsten Treffen in Davos ein, sondern verspricht ihr auch, das sich wandelnde Weltklima auf die Agenda zu setzen. Das Antwortschreiben von Greta verliest Klaus Schwab vor der Kamera: »Unsere Bewegung ist stark, weil sie den Mächtigen vor Augen führt, dass sie ihre Kinder im Stich lassen. Es ist an der Zeit, dass alle, einschließlich Sie selbst, endlich reagieren.« Als er wieder in die Kamera schaut, hat er Tränen in den Augen und sagt: »Wir sind in einem Wandel, der uns zwingt, grundsätzlich über unsere Existenz nachzudenken.«

Er hat Wort gehalten: Dieses Jahr steht der Klimawandel prominent auf der Agenda des WEF und er hat eine Deklaration vorbereitet – mit dem erklärten Ziel den Ausstoß von CO2 bis 2050 auf Null zu reduzieren, die alle Teilnehmenden verpflichtend unterschreiben sollen. Greta wird kommen.

Lassen wir uns überraschen, ob es wirklich zu einem grundlegenden Wandel kommt. Wie hatte Mike Towsley von Greenpeace formuliert: »Unsere Feinde können nicht ewig unsere Feinde bleiben! Wir müssen mit den »Bösen« kooperieren.«

Ein aufrüttelnder Film, der mit dokumentarischem Bildmaterial von brennenden Wäldern und verendenden Meeresvögeln und kongenial eingesetzter Musik die beschwichtigenden Phrasen der Protagonisten kontrastiert, doch gleichzeitig allen den Raum gibt, ihre Perspektive darzulegen. Wie schon in seinem Dokumentarfilm »Das Herz von Jenin« beschränkt sich Markus Vetter nicht darauf, Wirklichkeit zu beschreiben, er verändert sie und deren Akteure. Dazu gehört auch das Filmteam selbst, das dieses Jahr als Teil dieser Wirklichkeit in Davos vor Ort sein wird.

Sendetermine im Fernsehen:

ARD:                          Montag 20. Januar 2020 – 22:45 Uhr
Phoenix:                    Dienstag 21. Januar 2020 – 20:15 Uhr
SWR:                         Samstag 25. Januar 2020 – 21:50 Uhr
Arte Mediathek:        verfügbar bis zum 13.3.2020

Zwischen dem 21. Januar 2020 und dem 24. Januar 2020  findet die 50. Ausgabe des »Annual Meetings des WORLD ECONOMIC FORUM« in Davos statt. Das Jahresmotto der Jubiläumsausgabe ist »Stakeholders for a Cohesive and Sustainable World«.

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