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CD Empfehlenswerte Neuerscheinungen: Klaviermusik aus Russland, Aserbaidschan und der Ukraine: Eine Neuentdeckung, eine Überraschung und eine überfällige Wiedergutmachung

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Von Ingobert Waltenberger.

 

 

 

CÉSAR CUI: KLAVIERTRANSKRIPTIONEN – Piano Duo Maria Ivanova & Alexander Zagarinskiy

Das aus Moskau stammende Konzertpianistenduo Ivanova und Zagarinskiy spielen auf ihrer neuesten CD Überarbeitungen von Werken des Komponisten Cui aus seiner reifen Schaffensperiode aus den 1880ern. Wir hören die Orchestersuite Nr. 2 in E-Dur Op. 38 (von Cui selbst eingerichtet) den 12-teiligen Zyklus Miniatures Op. 20 sowie sieben weitere Miniatures Op. 39, die für Violine und Klavier geschrieben und von A. N. Schäfer für Klavier zu vier Händen überarbeitet wurden.

In Vilnius als Sohn eines französischen Offiziers und einer litauischen Architektentochter geboren, studierte Cui Festungsbau und Fortifikationswesen. Er blieb zeitlebens seiner pädagogischen Tätigkeit an verschiedenen Militärakademien treu. Die prägende Begegnung mit Balakirev ließ ihn zu einem Mitbegründer einer Erneuerungsströmung werden, die einen urwüchsigen Stil auf der Grundlage der russischen Volksmusik und des Kirchengesang anstrebte. Diese als „Mächtiges Häuflein“ in die Musikgeschichte eingegangene „Neue russische Musikschule“ vereinte Mussorgsky, Borodin, Rimsky-Korakov, Balakirev und Cui. Bemerkenswert ist, dass Cui stark unter dem Einfluss der westeuropäischen Romantik (zum Beispiel Schumann), neben sinfonischer und Kammermusik auch Opern („William Ratcliff“), darunter vier Opern für Kinder (etwa „Der gestiefelte Kater“) geschrieben hat. Außerdem widmete sich Cui intensiv der Musikkritik.

Der Klavierstil des zu entdeckenden Komponisten Cui steht Chopin nahe, findet aber seine ganz eigene Lautmalerei, chromatische Kühnheit und balladesken erzählerischen Fluss. Dem Zeitgeist entsprechend, findet sich auch eine orientalisierende Exotik in der Musik. Alles bei Cui atmet Melodie und Eleganz, Tanz und hochfliegende Fantasien à la E.T.A Hoffmann.

Das fabelhafte Duo Ivanova & Zagarinskiy ist bei dieser Musik ganz zu Hause. Technik, Dramaturgie und Stilempfinden fügen sich in einen vollkommen natürlich wirkenden Vortrag, der sich auch vor Sentiment und romantischer Emphase nicht fürchtet. Bezaubernd!

César Cui: Piano Transcriptions
Maria Ivanova & Alexander Zagarinskiy
Hänssler 2018
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Coverabbildung © Hänssler

 

 

KARA KARAYEV: 24 PRÄLUDIEN, 6 KINDERSTÜCKE – Elnara Ismailova

Eine CD voller Überraschungen und wundersamer Hörerlebnisse. Wer die 24 Präludien und Fugen von Dmitri Schostakowitsch liebt – am besten in der Aufnahme mit Keith Jarrett-, sollte sich auch dem originellen Präludien-Zyklus von Kara Karayev zuwenden.

Ausgebildet in Baku und am Moskauer Konservatorium unter Schostakowitsch, verwendete Karayev für den in einem Zeitraum von 12 Jahren und vier Heften nach und nach wie ein Tagebuch entstandenen Zyklus ein System aus gleichnamigen Dur- und Moll-Tonarten, die in der Reihe eines Quintenzirkels aufeinander folgen. Ganz prächtig, wie sich die polystilistischen Ansätze des Kontrapunkts, Einflüsse der russischen Klavierschule (Mussorgsky, Prokofiev) mit Elementen aus aserbaidschanischen Modi und den Rhythmen der arabisch-persischen Lyrik verbindet.

Elnara Ismailova ist ein Glücksfall einer Pianistin, die ihren gläsern perlenden Anschlag und eine fast schon sprachlich anmutende Expressivität in den Dienst dieses geschlossenen Kosmos stellt. Ihr Anliegen war es, mit ihrer Aufnahme diesen Zyklus auch anderen Pianisten in Europa und der ganzen Welt als eine Bereicherung des Repertoires zu empfehlen.

Das Album enthält noch Sechs Kinderstücke aus dem Jahr 1958, musikalische Bilder, „ähnlich wie bei Schumann, die die Emotionen, die Fantasie und einige Elemente aus dem Alltag (u.a. der Kreisel, das Spiele, die Erzählung) eines Kindes durch Klangbilder darstellen, so die Pianistin. Aus den eigentlich als symphonische Dichtung entstandenen „Gravuren“ nach Ideen aus dem Roman „Don Quixote“ erklingen die drei Kostproben „Wanderung“, „Aldonsea“ und nochmals „Wanderung“. Die Bearbeitung für Klavier solo stammt von Faradj Garayev, Schüler und Sohn dieses wohl bedeutendsten Komponisten Aserbaidschans aus dem 20. Jahrhundert. Das schöne Stück „Statue in Zarskoe Selo“ nach einem Gedicht von Puschkin, das der Statue eines Milchmädchens aus der Fabel „Das Milchmädchen und die Amphore“ huldigt, wiederum zeigt, wie sensibel Karayev aserbaidschanische Musik mit dem Erbe der Impressionisten verbinden konnte. Welch reizvolle „irreal märchenhafte Atmosphäre.“ Auch hier wollen wir der Pianistin zustimmen und der CD viele Hörer wünschen.

Karayev: Piano Works
Elnara Ismailova
Cavi-Music (Harmonia Mundi) 2018
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Coverabbildung © Cavi Music

 

 

THE SILENCED VOICE of VASYL BARVINSKY: 8 PRÄLUDIEN, SUITE ÜBER UKRAINISCHE THEMEN – Violina Petrychenko

Das Schicksal des Vasyl Barvinsky als Mensch und als „Komponist ohne Noten“ ist so grauenhaft, das einem alle Haare zu Berge stehen und die CD-Premiere schon aus diesem Grund eine unverzichtbare Sache darstellt. Violina Petrycheno stellt den Zyklus „Love“, acht Präludien sowie eine „Suite über ukrainische Themen“ vor.

Vasyl Barvinsky, Überlebender zweier Weltkrieg, wurde samt seiner Frau von Stalin nach fünfmonatigen Verhören für zehn Jahre in den Gulag verbannt. Er wurde beschuldigt, ein englischer Spion, Agent der Gestapo und langjähriges Mitglied der Organisation Ukrainischer Nationalisten zu sein. Ja was denn noch alles? Sämtliche Werke des Komponisten wurden „als der sowjetischen Kultur nicht nützlich“ öffentlich auf den Stufen jenes Konservatoriums, dessen Rektor er 23 Jahre lang war, verbrannt.

1958 wurde Barvinsky aus der Haft entlassen, 1963 – ein Jahr nach seinem Tod –  rehabilitiert. Vorausschauenderweise wurden viele seiner Noten von Schülern und Freunden ins Ausland gerettet. Das Klavierkonzert tauchte erst 1993 in Buenos Aires wieder auf.

Der Galizier Barvinsky ging in Lemberg zur Musikschule, später nach Prag, wo er beim Dvorak-Schüler Viteslav Novak studierte. Er wurde als „Lyriker der Natur“, als „gemäßigter Romantiker“ bezeichnet. Tatsächlich steht seine Klaviermusik der spätromantischen Harmonik, dem Impressionismus und der ukrainischen Folklore nahe. Charakterisierend sind eine „Wechselwirkung zwischen homophoner und polyphoner Faktur bei einer recht deutlichen musikalischen Struktur, eine breite Palette an komplexen harmonischen Wendungen, elaborierte tonale Pläne, die Komplementarität der Rhythmik, verschiedene Verwendung der Register und eine Anlehnung an das ukrainische Volkslied.“ (Svetlana Hodsyk)

Der Höhepunkt der CD ist der frühe dreisätzige Zyklus „Liebe“. Die einzelnen Teile sind mit „Einsamkeit, Leid der Liebe“, „Serenade“ und „Schmerz, Kampf, Triumph der Liebe“ programmatisch betitelt. In der „Ukrainischen Suite“ stellen in jedem der vier Sätze die Variationen auf ein anderes ukrainisches Lied im Zentrum („Niemand trauriger als ich“, „Entlang der Straße auf und ab“, Seine nicht, du kleiner Mond“, „Morgenritt der Kosaken“).

Violina Petrychenko nimmt sich der schillernden Musik mit aller nötigen Liebe, Sorgfalt  und Solidität an. Sie sendet eine Botschaft, die gerade in Zeiten wie diesen gehört werden muss: Nie soll Kunst aus politischen oder religiösen Gründen brennen oder gesprengt werden. Künstlerisch ist diese Hommage ohnedies über jeden Zweifel erhaben.

Klavierwerke Von V.Barvinsky
Violina Petrychenko
Accelerando 2017
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Coverabbildung © Accelerando

 

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