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Bayreuther Festspiele: Plácido Domingo und Frank Castorf – eine Berührung der Sphären

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Der internationale Opernstar und der Held des bebrillten Lederjackenmilieus aus Berlin-Ost – kann das gutgehen? Richard Wagner brachte die beiden Künstler bei den Bayreuther Festspielen in der Walküre zusammen. Das Ergebnis war sehr speziell. Von Stephan Reimertz. 

Frank Castorf ist dafür bekannt, wie ausufernd seine Goethe-, Shakespeare-, Lessing-, Ibsen- und Bulgakow-Inszenierungen sein können. In der Oper freilich gibt der Komponist die Zeit vor, nicht der Regisseur. Also hatte sich Castorf beim Ring des Nibelungen, den er 2013 bei den Bayreuther Festspielen inszeniert hat, auf sechzehn Stunden zu beschränken. Konnte er in dieser kurzen Zeit seine Botschaft an den Mann bringen? Plácido Domingo, zuletzt im Jahre 2000 in der Rolle des Siegmund in Bayreuth gesehen, trat heuer erstmals als Kapellmeister in den Graben am Grünen Hügel und stellte Castorfs Inszenierung breite Tempi zur Verfügung. Passen die schönfließende, bisweilen zähflüssige musikalische Interpretation und die altintellektuelle Szene zusammen? Durchaus. Die Oper schmilzt alles ein.

 

Urgesteine der Industrialisierung

Von den vier Teilen des Rings ist in diesem Jahr allein die Walküre in Bayreuth zu sehen. Wie in ihrer jüngst in München gezeigten Inszenierung von Leoš Janáčeks Aus einem Totenhaus stellten Frank Castorf und sein Bühnenbildner Aleksandar Denić auch hier ein Multifunktionstrumm auf die Bühne, das von allen Seiten begehbar und mit einer Filmleinwand ausgestattet ist. Es kann gedreht werden und kehrt immer wieder neue szenische Perspektiven und Möglichkeiten hervor. Auch die dialektische Verwendung von Filmsequenzen, im Totenhaus virtuos eingesetzt, findet sich hier. Es handelt sich um Direktübertragungen von Handlungen auf Bühne und Hinterbühne, selbstgedrehte Sequenzen und Einspielungen von sowjetischen Filmklassikern der dreißiger und vierziger Jahre. Die Handlung ist in die Entstehungszeit des Stückes verlegt, also in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Zu den vom Dichter-Komponisten angebotenen Metaphern fügt Frank Castorf Öl als eine Art universales Bedeutungs- und Konversionsmedium hinzu. Ein Bohrturm gehört zum hölzernen Mehrzweckgebäude wie der Kirchturm zum Gotteshaus. Castorf freilich verhandelt die Kirche des Kapitalismus, ob in Form von texanischer oder russischer Ölförderung. So sieht sich der Zuschauer, wenn Tobias Kehrer als Hunding die Bühne betritt, bei diesem industriellen Patriarchen mit seinem hohen Zylinder weniger an einen altgermanischen Kämpfer als an Daniel Day-Lewis in dem Film There Will Be Blood (2007) erinnert, in dem der Schauspieler einen Ölunternehmer als Urgestein der Industrialisierung spielt. Hat Castorf sich auch von diesem Film inspirieren lassen?

 

Oper in altmarxistischer Dialektik

Durch Alberichs Heer
droht uns das Ende
(Wotan im II. Aufzug. Die Walküre)

Die eindimensionale Rolle des Hunding hat niemand besonders gern; Wotan nicht, der Komponist selbst nicht, und vor allem seine Frau Sieglinde nicht, denn sie ist weibliches Raubgut. Seitdem Anja Kampe 2002 die Freia im Rheingold sang, ist sie immer wieder auf dem Grünen Hügel zu hören. In München verkörperte sie kürzlich eine erschreckend vitale Lady Macbeth von Mzensk. Seit 2013 gibt sie eine charakterstarke und doch verletzliche Sieglinde mit einem modulationsfähigen, tragenden und ausdrucksstarken Sopran, der auch in diesem Jahr wieder das Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen hat. Auf Castorfs Leinwand, ausschließlich Schwarzweiß, kommt zudem das vielgestalte Antlitz der Sängerin zu Geltung. Castorfs Videobegleitung vermag neue Aspekte des Stoffes zu eröffnen; so sehen wir, wie Sieglinde das Schlafmittel, das sie Hunding in der Trank mischt, im Stillen aus einem Flakon gießt, das sie um den Hals trägt. Man kann sich also denken, wie sie ihren Mann öfter, vielleicht jeden Abend, betäubt. Während Siegmund und Sieglinde sich näherkommen, sieht man auf der Leinwand Hunding schlafen, nicht anders als in der letzten Szene Brünnhilde selbst, als ihr Vater Wotan den Feuerkranz um sie zieht. Castorf und Denić spielen mitnichten mit dem Film als einem Selbstzweck; vielmehr gewinnen sie dem hinzugefügten Medium neue dramaturgische Einsichten in das Stück ab.

 

Die Tragödie von Vater und Tochter

Wenn man den Ring durchgeht, sieht man, dass Freud nur ein kleiner Schüler von Wagner war. Es gibt keine Theorie von Freud, die nicht im Wagner-System zu lesen ist. Sogar die Wölfe-Theorie. Fragen Sie sich nur, warum eigentlich Siegmund und Sieglinde mit Wölfen zu tun haben, dann öffnen sich Welten. (Giuseppe Sinopoli)

Catherine Foster, seit 2013 als Brünnhilde in Bayreuth, gibt eine starke, aufgedrehte Walküre. Nicht umsonst ist das Stück nach dieser Figur benannt. Diese ist die tragische Gestalt, denn als Lieblingstochter ihres Vaters Wotan (in diesem Jahr alternierend gesungen von John Lundgren und Geer Grimsley) widersetzt sie sich dem Befehl des Vaters und erfüllt zugleich seinen Willen, indem sie sich auf die Seite des Siegmund schlägt. Stephan Gould, heuer in Bayreuth auch als Tristan im Dienst, gibt den existentialistischen Helden mit der ursprünglichen, gewaltigen Kraft seiner Stimme und seines Auftretens. Die Walküre ist nicht zuletzt die Oper der Angst, der Flucht und des Exils, und allzu kurz ist das Glück der liebenden Geschwister Siegmund und Sieglinde zwischen dem ersten und zweiten Aufzug.

 

 

Plácido Domingo, der Tenor als Kapellmeister

Stücke der besten Musik, die Richard Wagner überhaupt geschrieben hat, finden sich hier; so der subtile, leise, geradezu kammermusikalische erste Aufzug, die Todesverkündigung im zweiten Aufzug und der Abschied von Vater und Tochter im dritten. Natürlich applaudiert man Plácido Domingo am Ende auch als dem Sänger, dem man über Jahrzehnte viele einzigartige Opernabende verdankt. Natürlich hört man anders hin, weil man weiß, wer da am Pult steht, auch wenn man ihn nicht sehen kann. Nicht alle waren freilich mit Domingos schleppenden Tempi einverstanden. Manche meinten, diese träten an die Stelle von semantisch herausmodellierten Passagen und einem stärkeren Gefühl für die mythischen Hintergründe des Stücks. Hierfür kann man die Todesverkündigung anführen, die ein Ring-Kapellmeister der letzten Zeit wie Adam Fischer in Wien gleichsam mit angehaltenem Atem zelebrierte, da er sich darüber klar ist, welche Bedeutung der Vorgang im Mythos einnimmt. Bei Domingo hört man stärker den Drang zur musikalischen Schönheit. Mag dieser auch hier und da auf Kosten der Präzision gehen, darf man dem Tenor als Kapellmeister doch eine ungewöhnliche Fähigkeit bescheinigen, Soloinstrumente in einen geradezu kantilenenhaften Zauber herauszuheben, was man besonders beim Solo-Cello im ersten Aufzug und beim Englischhorn im zweiten bemerkt.

 

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