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Bayreuther Festspiele: Blaue Stunde auf dem Grünen Hügel

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Stephan Reimertz geht in den neuen Bayreuther Lohengrin, Anja Harteros verkörpert die zersplitterte Seele, Waltraud Meier steht von den Totgesagten auf, Tomasz Konieczny verleiht einem Verräter neue Größe, und Christian Thielemann erweist sich als der Wagner-Dirigent des posttechnischen Zeitalters. Die Tendenz zum Aufstieg der Musik und Abstieg der Regie in der Oper setzt sich auch bei den Richard-Wagner-Festspielen fort.

Christian Thielemann, seit 2000 jedes Jahr Dirigent in Bayreuth, hat mit dem Lohengrin, der soeben zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele in Szene ging, einen künstlerischen Zenit erreicht. Andere Dirigenten zeigen ihre Stärke entweder im strukturellen Denken, wie etwa Michael Gielen oder Pierre Boulez, oder sie schwingen sich und ihr Orchester zu großer Klagschönheit auf wie z. B. Semyon Bychkov. Doch Thielemann gehört, wie Franz Welser-Möst, zu den Dirigenten, für die diese beiden Prinzipien keinen Widerspruch darstellen. Im Gegenteil, in seinem Bayreuther Lohengrin bedingt Klugheit die Schönheit. Niemand beherrscht derzeit die Besonderheiten des abgedeckten Bayreuther Orchesters und der nach unten gestaffelten Aufstellung der Musiker, den vertrackten Dialog mit Chor und Sängern besser als Thielemann. Dieser Dirigent zeigt eine musikalisch-szenische Umsicht und Einfühlung, welche die Zuhörer im Bayreuther Festspielhaus ob ihrer Perfektion geradezu erschrak. Er dirigiert ohne Eitelkeit, allein mit dem Wunsch, dem Werk Wagners zu dienen. Gerade die rein instrumentalen Vor- und Zwischenspiele erschüttern in ihrer Schönheit und Vollendung, selbst wenn Thielemann das Vorspiel zum dritten Akt etwas flott nimmt. Ein vollkommen intonierender Chor besticht zudem mit seiner Disziplin. Die Chorleitung liegt wie in den vergangenen siebzehn Jahren in den Händen des bewährten Eberhard Friedrich.

 

Tomasz Konieczny oder der Triumph des Bösen

Der Bariton Tomasz Konieczny zeigte uns den Verräter Friedrich von Telramund in all seinen differenzierten Abstufungen des Bösen und in einer schnarrenden, drohenden Hunding-Hagen-Stimme. Soeben hat der hochbegabte, sängerisch und darstellerisch sehr starke Künstler den Herzog in Franz Schrekers Gezeichneten in München mit Bravour gegeben, eine der schwierigsten Rollen der Opernliteratur. Die Buhs, die er in Bayreuth einsteckte, waren vollkommen unangemessen und bezogen sich auf eine vermeintlich mangelnde Verständlichkeit. Dabei mangelte es Tomasz Konieczny weniger an Textverständlichkeit, eher Teilen des Publikums an Textkenntnis. In Bayreuth gibt es keine Obertitel. Werkkenntnis wird vorausgesetzt. Konieczny zur Seite als Ikone des Bösen stand Waltraud Meier. Die Sopranistin und Mezzosopranistin ist von 1983 bis 2000 ununterbrochen in Bayreuth auf der Bühne gestanden, u. a. als Kundry, Brangäne und Isolde. In ihrer ersten Ortrud feiert sie ein geradezu verblüffendes Comeback. Noch als Brangäne in Barenboims Tristan vor ein paar Jahren in Berlin hatte man den Eindruck, sie verlasse sich nur mehr auf eine, allerdings beträchtliche, musikalische Intelligenz, die große Zeit ihrer Stimme sei vorbei. Nichts davon jetzt in Bayreuth.

 

Faszination des Diabolischen

Waltraud Meier wirkte um Jahrzehnte verjüngt und sang mit einer Strahlkraft wie in ihren besten Jahren. Hinreißend böse war sie und erinnerte an die diabolischen Verführerinnen M’lady in den Drei Musketieren oder an Erzsébet Báthory. (Wollen Sie, Frau Meier, nicht einmal eine Oper über die Blutgräfin in Auftrag geben?) Das Grafenpaar, welches sich am liebsten selbst an die Stelle des Herrscherpaars setzen würde, hätte man früher einfach neidisch genannt. Heute, nach den Theorien von René Girard, wissen wir, es handelt sich bei Telramund und Ortrud um Verkörperungen des hypermimetischen Charakters; unter dem Motto: Ich bin wie du, nur besser!

 

Lohengrin im Blaumann

Piotr Beczała verkörpert in seiner männlich-vornehmen Erscheinung einen Lohengrin, wie man ihn sich vorstellt. Mit vollem Engagement widerstand der Tenor dem ungeheuren Druck, der auf jedem Sänger in Bayreuth wegen der außergewöhnlichen Situation und des ungewöhnlich gut vorbereiteten Publikums liegt. Leider haben Regisseur Yuval Sharon und die Bühnen- und Kostümbildner Neo Rauch und Rosa Loy die Figur ganz und gar nicht begriffen. Sie taten ihm einen Blaumann an und verkehrten damit die Sage von einem Aristokraten höherer Ordnung, der in eine dekadenten Adelsgesellschaft einbricht, in sein Gegenteil. Mit derlei sozialistoiden Fehldeutungen ist man schon Siegfried im Ring zu Leibe gerückt, zuletzt in Stéphane Braunschweigs Ring in Aix. Beczała trägt’s mit Fassung, doch die Figur kann sich nicht recht entfalten und wechselt zwischen männlichen und plebejischen Habitus hin und her. Auch die Sopranistin Anja Harteros singt zum ersten Mal in Bayreuth, also unter großem Druck. Die Anspannung trägt aber gerade dazu bei, ihr den zersplitterten, von Zweifeln gequälten Charakter der Elsa von Brabant einzugeben. Besonders der Dialog mit Ortrud, das Duo Meier-Harteros (oder will man von einem Trio Meier-Harteros-Thielemann sprechen?), wird zu einem musikalischen Höhepunkt der Aufführung.

Anja Harteros – „Einsam in trüben Tagen“ – Lohengrin 2018 Bayreuth

 

It’s Surrealism, Stupid!

Während der Maler Balthus zum Opfer des neuen puritanischen Terrors wurde, wie er derzeit über unsere Gesellschaft hereinbricht, kann Neo Rauch mit seiner Balthus-Imitation fünfter Ordung sehr gut leben, ebenso wie mit dem Vorurteil, jeder, der aus Leipzig kommt, könne malen. Der Kunstfreund wird sich schon am Kopf kratzen, wenn ein Maler den gleichen Namen führt wie Christian Daniel Rauch, der uns mit dem Grabmal der Königin Luise eines der vornehmsten Bildwerke des neunzehnten Jahrhunderts geschenkt hat. Doch es gibt Neoklassizismus, Neoimpressionismus und Neo Rauch. Letzterer legt seine schlecht gemalten Bilder als eine Art Strudel im Gegenuhrzeigersinn an, wodurch er dann im Südwesten der Leinwand zwangsläufig Probleme bekommt. Seine Bilder gehen nicht auf, ebensowenig wie die neue Lohengrin-Inszenierung, in welcher er zusammen mit Rosa Loy für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet. Sagt der Kunstkenner über Neo Rauch stets: So etwas schmiert Ihnen jeder drittklassige Bühnenmaler zusammen! besteht nun Gelegenheit, den Leipziger in ebendieser Funktion zu würdigen. Sein Lohengrin auf Delfter Kacheln wirkt so wie die Industriewerke auf dem sowjetischen Porzellan der frühen dreißiger Jahre; also wie die Faust aufs Auge.

 

Rembrandt als Erzieher

Zunächst verwundert der Versuch, die Lohengrin-Sage mit dem holländischen Goldenen Zeitalter zu assoziieren, dann aber mit Elsa und Ortrud auch noch Hexenverbrennungen zu veranstalten. Neo Rauch beruft sich demgegenüber auf »Surrealismus«, mit dem sich auch ein Kandidat der Geschichte herausreden könnte, dem in der Prüfung alle Epochen durcheinandergeraten. Der neue Rembrandtdeutsche präsentiert uns holländische Gruppenbilder mit Puritanerkragen. Man ist an die Fernsehsendung Erkennen Sie die Melodie? erinnert, wo Szenen aus einer Oper im Kostüm einer anderen gesungen wurden. Nun also Wagners Lohengrin im Kostüm von Bellinis I Puritani. Einige der Kleider für die Damen, ob nun holländisch oder nicht, sind indes sehr anmutig geraten.

Wagner – Lohengrin / Act 1 finale
Lohengrin – Piotr Beczała / Heinrich – Georg Zeppenfeld / Elsa – Anja Harteros / Telramund – Tomasz Konieczny / Ortrud – Waltraud Meier / Heerrufer – Egils Silins / Bayreuther Festspiele, 2018 / c. Christian Thielemann

 

Jedermann als Opernregisseur

Intendanzen finden es todschick, kunstfremde Fuzzis Opern inszenieren zu lassen. Doch warum sollte Neo Rauch nicht auch das Orchester dirigieren? Der Klang, der dann entstünde, entspräche dem optischen Eindruck. Lohengrin scheint er mit Elektra zu verwechseln. Das Umspannwerk, welches er uns permanent auf der Bühne präsentiert, führt jedoch zu keiner Hochspannung, sondern entspringt vielmehr einem Kurzschluss. Zudem hatte die Idee des Musiktheaters als Transformator der Empfindungen bereits Alexander Kluge in den achtziger Jahren in seiner Metaphorik der Oper als Kraftwerk vollends ausgeschöpft.

 

Trafen sich zwei am Trafo

Ganz ohne nationalsozialisierende Symbolik geht es natürlich auch in dieser Inszenierung nicht, selbst wenn die ewigen SS-Mäntel und Hitlergrüße ein wenig aus der Mode gekommen sind. In Bayreuth wird auf dem Trafohäuschen eine Swastika angedeutet, allerdings mit Wotanzacken. Wie originell! Das außerordentlich gebildete Publikum der Bayreuther Festspiele empfand Rauchs blaues Wunder allerdings als blauen Dunst. Himmel und Wolken pinselte Rauch à la 1900, Figuren und Bühnenbild wirkten durch und durch cartoonisch.. Am Ende zeigt uns das Regieteam, wie wenig es überhaupt gewillt war, das Werk und sein Publikum ernst zu nehmen. Der Herzog von Brabant wird als grünes Männchen herbeigezaubert, und das in Anwesenheit eines echten Herzogs. Der bayerische Landesvater Herzog Franz adelte die Premiere mit seiner Anwesenheit. Der grüne Herzog jedoch war die Zunge, welche das Regieteam uns allen herausgestreckt hat.

 

Ein Lohengrin ohne Schwan ist wie eine Peking-Ente ohne Ente

Wie bei Alvis Hermanis in seinem Unglücks-Parsifal in Wien, wo er Richard Wagner und Otto Wagner gleichschaltete, beruhen die Regieparadigmen im neuen Lohengrin auf Dilettantenassoziationen. Es erstaunt immer mehr, wie der extrem anspruchsvollen und formalisierten Ausbildung von Musikern auf der Seite der Regie überhaupt keine Anforderungen gegenüberstehen. Dabei sind die Fähigkeiten eines Opernregisseurs leicht zu benennen: Historisch-kritisches Textverständnis, Quellenkunde, die Bereitschaft, Partituren zu lesen oder sie sich von einem Musiker erklären zu lassen, logisch-semantische Analysefähigkeit und bildnerisch-theatralische Gestaltungskraft. Das Regieteam Yuval Sharon, Neo Rauch und Rosa Loy gibt sich aufgeklärt und verzichtet auf den Schwan. In den siebziger Jahren gab es noch Ahs! und Ohs! beim großen Schwan, der in München auf die Bühne der Staatsoper schwebte. Aber der Ausstatter des Lohengrin war Ernst Fuchs, ein Künstler. So bleibt in Bayreuth zum Schluss die Frage: Wann geht hier der nächste Schwan?

 

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