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Bayreuther Festspiele 2022: Buhgewitter für die Regie, Jubelstürme für die Künstler

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richard wagner porträt

Auch im »Siegfried« in der Neuinszenierung des »Rings des Nibelungen« von Richard Wagner setzt sich die Tendenz hervorragender Sängerleistungen und einer verfehlten Regie fort. Von Stephan Reimertz.

Sammelaufruf: Die Requisitenkammern in den Theatern sind leer: »Lohengrin« zu Pfingsten in Salzburg ohne Schwan, »Die Troyaner« in München ohne Holzpferd, »Der fliegende Holländer« in Bayreuth ohne Schiffe, »Walküre«, ebenfalls in Bayreuth, ohne Schwert, »Siegfried« dortselbst ohne Drachen. Schauen Sie doch bitte, liebe Leser, auf dem Dachboden, im Keller, im Kinderzimmer, in Ihrem Teich und im Terrarium nach, ob Sie noch irgendwelche Schwäne, Holzpferdchen, Schiffchen, Schwerter und Drachen haben und melden Sie sich umgehend bei den Theatern, damit das Opernleben in gewohnter Weise weitergehen kann. Bis dahin bleiben wir Opernbesucher nämlich szenisch auf Diät gesetzt und meist leider auch intellektuell. Was der Regiefamulus Valentin Schwarz soeben als »Siegfried« in Bayreuth ablieferte, charakterisierte eine bekannte Kritikerin in unserer Sitzreihe nach der Vorstellung folgendermaßen: »Die ganze Inszenierung ist zu unerheblich, um sich darüber zu ärgern.«

Kindheit eines Chefs

Immerhin bleiben Regisseur Valentin Schwarz und sein Team ihrer soziologischen Präzision treu. Im Gegensatz zum ersten Aufzug der Walküre, wo wir uns in Hundings reputierlicher Hütte in einem aufstiegsorientierten, dabei abstiegsbedrohten Kleinbürgermilieu befinden, sind wir im ersten Aufzug des »Siegfrieds« zwei Schritte weiter: Mime bietet alle Kräfte auf, die ihm geblieben sind, um inmitten des Chaos eines ländlichen Subproletariats sein Mündel Siegfried aufzuziehen. Das virtuose Spiel der beiden Protagonisten (Siegfried: Andreas Schager; Mime: Arnold Bezuyen) bietet bisweilen die Qualität eines auf die Spitze des Verzweifelt-Komödiantischen getriebenen absurden Theaters inmitten einer neuen Splitbühne ohne jeden ästhetischen Reiz. Andreas Schager bietet im Laufe des Abends und unter den erschwerten Bedingungen einer unzureichenden Regie dann doch den bewundernswerten Anblick der Verwandlung eines Prolos in einen aristokratischen Helden. Als solcher nämlich, und inzwischen um die Erfahrung des Erschauerns vor dem Weiblichen bereichert, tritt er am etwas steril geratenen Ende der Vorstellung Brünnhilde entgegen, seiner Geliebten, strenggenommen: seiner Tante.

Wann können wir endlich erben?

Leider liegt in der chaotischen Personenregie nur ein schnell verflackernder Feuerzauber. Die innere Nervosität der Inszenierung resultiert aus der sich immer wieder verratenden Unentschiedenheit, der mangelnden Fähigkeit, jeden Moment mit Bedeutung aufladen zu können. Solche Leerstellen treten besonders im zweiten Aufzug hervor. Die Höhle eines Drachens besuchen wir hier allein metaphorisch. Unser Clan ist aus der Oberen Mittelschicht inzwischen in die Oberschicht avanciert. Wir befinden uns in einer Art Luxusbungalow. Nicht besonders klassenspezifisch allerdings ist das aufgeregte Hin- und Herlaufen der Protagonisten. Der Drache vor der Höhe, wird – wie sinnig! – durch einen Moribunden ersetzt, der nicht sterben kann oder will und folglich das Erbe nicht freigibt, auf das alle warten, (Fafner: Wilhelm Schwinghammer).

Nun ereignet sich Erfreuliches: Thomasz Konieczny, in der »Walküre« mit einem Knoll-Sessel zusammengekracht und ins Krankenhaus befördert, steht wieder auf der Bühne und gibt mit seiner furchterregenden, dramatisch modulationsfähigen Stimme einen signorilen Wanderer, wie Wotan im »Siegfried« genannt wird. Seine männliche, ruhige Erscheinung vermag sich der verhaspelten Personenregie meist zu entziehen und bringt ein dramaturgisch beruhigendes Moment in einen ansonsten schwer zu ertragenden zweiten Aufzug.

Übergipfelung aller Liebesszenen

Das Publikum im Saal liebt Ólafur Sigurdason als Alberich, Okka von der Damerau als souverän raunende Erda, vor allem aber Alexandra Steiner als keineswegs in Bäumen verstecktes, sondern anmutig durch die Szene tänzelndes Waldvögelein mit ihrer glasklar trällernden Prophezeiung und Warnung an Siegfried. Der dritte Aufzug bringt dann wiederum die einbekannte unbestimmte Topographie, irgendetwas zwischen Museumsvorraum und Krankenhaus. Mitterands Pyramide dient nun als Kältekammer, in welcher Brünnhilde ihren Schlaf hielt statt inmitten des Feuerrings; was die Konservierung angeht, durchaus plausibel. Brünnhilde Daniela Köhler und Siegfried Andreas Schager bringen dann eine Übergipfelung aller Liebesszenen zustande, die in ihrer Reinheit und Leidenschaft ihresgleichen sucht. Bei der Begegnung der Geliebten am langen Ende des dritten Aufzugs konnte man nur die Luft anhalten. Wenn diese szenisch so verlegene Aufführung musikalisch doch so glückte, liegt das nicht zuletzt an dem geballten und intelligenten Musizieren von Cornelius Meister und dem Festspielorchester. So stark die Akzente sind, die hier gesetzt werden, so rezent und den Sängern dienend ist der kompliziert aufgebaute Klang, der aus dem Graben erschallt. Meister ist einer der idealen Bayreuth-Dirigenten!

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Ein Gedanke zu „Bayreuther Festspiele 2022: Buhgewitter für die Regie, Jubelstürme für die Künstler“

  1. Danke, lieber Herr Reimertz!!! Nun ist man sich doch gar nicht so sicher, ob man was verpasst oder glücklich vermieden hat. Das ist ja schon mal was. Ich verfolge Ihre Meinung weiter. :-)

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