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Barocke Herrlichkeit: „Veni, vidi, vinci“ – Franco Fagioli singt Arien von Leonardo Vinci

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikRezension von Ingobert Waltenberger.

Auf dem CD Cover ist ein Fagioli als strahlender Heroe zwischen der zähnefletschenden Pavarotti-Attitüde nach „Nessun dorma“ aus Puccinis „Turandot“, einem Crooner der 20-er Jahre oder einer Bleaching Werbung eines schicken Zahnarztes fotografiert. Der argentinische Counter-Shooting-Star lässt keinen Zweifel daran, er will siegen – und das mit hochvirtuosen Arien des neapolitanischen Spätbarockmeisters Leonardo Vinci.

Franco Fagioli und Leonardo Vinci, da klingelt es bei den Freunden vokaler Genussfeuerwerke. Als Arbace war er schon 2011 mit von der Partie bei der spektakulären Gesamtaufnahme von Vincis Dramma per musica „Artsaserse“ mit Philippe Jaroussky, Max Emanuel Cencic und Valer Barna-Sabadus, begleitet vom Concerto Köln unter Diego Fasolis (Virgin Records). Die Oper wurde damals ausschließlich mit Männern besetzt und knüpfte damit an die römische Tradition des von der katholischen Kirche geförderten Kastratentums an. Von einer Aufführung dieser Oper in Nancy gibt es auch einen köstlichen Videomitschnitt (Erato). Ich konnte mir damals in Nancy selbst von der fantastischen Qualität der Musik, der schrill inszenierten Aufführung und dem tollen Sängerteam ohne Fehl und Tadel ein Bild machen.

Auf dem Album mit dem kriegerisch cäsarischen Titel „Veni,vidi, vinci“ sind zwölf Arien zu hören, darunter sieben Weltersteinspielungen. Die erste dem canto fiorito huldigende Arie des Albums „Sembro quell‘usignolo“ aus der Oper „Il trionfo di Camilla“ ist als akustischer Werbeteaser auch auf Youtube zu hören.

Wie Cecilia Bartoli das einst in ihren regelmäßig erscheinenden Solo-Alben tat (der Fagioli übrigens als einziger Countertenor von Timbre, beinahe maschineller technischer Bravour und Tonumfang ähnlich ist) zündet Fagioli in der ersten Nummer eine unglaubliche pyrotechnische Show. Wir staunen, was mit der menschlichen Stimme alles an Diven-Trillern (Joan Sutherland applaudiert sicher vom siebenten Sängerhimmel), Läufen und vokalem Zierrat möglich ist und das bei halsbrecherischem Formel I Tempo. Fagioli vermag aber auch die gefühlig-romantischen Passagen durchaus wohltönend zu gestalten.

„Veni, Vidi, Vinci“ startet also mit Arien aus „Il trionfo di Camilla“, die 1725 für die Primadonna Faustina Bordoni geschrieben wurden. ,Ove corri? Ove vai?‘ und die Arie ,Sorge talora fosca l’aurora‘ aus der 1726 in Neapel uraufgeführten Oper „L’Ernelinda“ folgen auf dem Fuß. Aus dieser Oper werden noch zwei äußerst ansprechende Kostproben serviert. Das Album enthält weiters zwei Arien aus der Oper „Medo“ (1728), die erstmals vom aus dem gleichnamigen Film bekannten Sänger Farinelli gesungen wurden sowie ,Gelido in ogni vena‘ aus „Siroe, re di Persia“ (1726). Außerdem sind die Arie ,Nave altera‘ aus „Gismondo re di Polonia“ (1727), ‚Vil trofeo‘, mit Solotrompete aus „Alessandro nell’Indie“ (1730) und die bukolische Arie ,Quell’usignolo ch’è innamorato‘ aus „Gismondo“, in der zwei Blockflöten den Gesang von Nachtigallen imitieren, zu hören. Letztere Oper ist in einer Gesamteinspielung beim Label Parnassus Arts mit Max Emanuel Cencic, Yuriy Mynenko, Sophie Junker, Aleksandra Kubas-Kruk, Dilyara Idrisova, Nicholas Tamagna, Jake Arditti, dem Orkiestra Historyczna und der Dirigentin Martyna PastuszkaIm auf CD.

In einem informativen Aufsatz von Roberto Scoccimarro wird Leonardo Vinci als reinster Vertreter des vorgalanten Stils charakterisiert, der sich um 1720 zu etablieren begann. Vinci setzte ganz auf die Elemente der neuen spätbarocken Musiksprache: Vorrang der Melodie, langsame Harmoniewechsel, ein erfindungsreiches Set an Begleitfiguren und etwas weniger exzentrische Verzierungen als im Hochbarock. Zu Vincis Lebzeiten beeinflussten die (für damalige Verhältnisse so empfundene) Schlichtheit seiner Melodien und die Art der „Schnörkelkunst“ viele andere Komponistenkollegen, darunter seinen Schüler Giovanni Battista Pergolesi sowie die Meister Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel. Der in seiner Art des Singens und technischer Vollkommenheit wohl einzigartige Franco Fagioli wird vom für diese Art der Musik wohl unübertroffenen Originalklangensemble „Il Pomo D’Oro“ unter der straffen musikalischen Leitung der Konzertmeisterin Zefira Valova begleitet. Das hochenergetische Singen Fagiolis und die daraus resultierende Reizflut haben auf mich dieselbe Wirkung wie manche Bartoli-Alben. Nach der Hälfte mache ich Pause und setzte nach einiger Zeit wieder fort, wie das bei den altmodischen Vinyl-Platten so einfach möglich war. Sonst wirken all die barocken Herrlichkeiten halt wie eine Überdosis wundervoller Süßspeisen oder ein Überschwang an Goldengerln vorschnell sättigend. Wer isst schon eine Sachertorte mit Schlagobers auf einen Sitz? Außer dieser Dosierungsempfehlung ist das Album ohne Nebenwirkungen einfach köstlich.

Franco Fagioli
Veni, vidi, vinci
Arien von Leonardo Vinci
Deutsche Grammophon 2020
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