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Auf das Internationale Jazzfestival Münster 2023 war Verlass!

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik


Von Stefan Pieper.

„Die Welt – gefühlt weiter denn je entfernt von jeder globalen Vernunft – scheint immer verrückter“ beschrieb Fritz Schmücker, Festivalleiter seit der ersten Stunde, die heutige Situation am Beginn des Jahres 2023. Dem muss Humanität entgegenstehen und die braucht lebendige (Musik-) Kultur. Das Theater von Münster gab drei lange Tage und Abende lang das Gefühl, so etwas mit gleichgesinnten Menschen zu teilen.

Der legendäre knallrote Flügel ist Geschichte beim Internationalen Jazzfestival Münster. Der Sponsor, welcher das Festival immer wieder mit kostbaren Tasteninstrumenten ausstattet, muss Geld verdienen und hat ihn verkauft. Um so dankbarer können wir der französischen Sängerin Camille Bertault sein, dass sie in ihrem knallroten Jackett den liebgewonnenen Farbtupfer zumindest für einen Auftritt lang „ersetzte“. Irgendwie gehört diese Signalfarbe doch zur atmosphärischen Licht- und Farbregie beim Münsteraner Jazzfestival dazu. Noch mehr leuchteten die vielen musikalischen Farben, mit denen das Festival nach der Zwangspause wieder in die Vollen ging – nicht nur beim Duo mit Camille Bertault und einem betont cool aufspielenden David Helbock, nun jedoch am schwarzen Flügel.

Mit vormittäglichen Impro-Konzerten in Münsters Dominikanerkirche verschrieb sich das Festival, welches „Jazz im Theater“ seit Ende der 1990er Jahre als Marke etabliert hat, auch mal einer kreativen Bespielung des Umfeldes in der Stadt. So etwas tut auf jeden Fall der öffentlichen Aufmerksamkeit gut und mag dem Festival auf die Dauer auch neues Publikum in Westfalens Studentenstadt zuführen. Ebenso weiteten die beiden Matineen den Horizont vieler aus dem In- und Ausland angereisten Festivalbesucherinnen und -besucher, was sofort auf eine Entdeckung mehr als Mitnahmeeffekt hinaus lief. „Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel“ heißt ein Kunstwerk von Gerhard Richter, welches diesen Raum ziert. Es ist ein foucaultsches Pendel mit einer 48 Kilogramm schweren Metallkugel, die im Zentrum des Gebäudes zwischen vier hochrechteckigen, verspiegelten Glasbahnen an einem fast 30 Meter (!) langen Edelstahlseil schwingt.

Dessen ruhige Bewegung inspirierte die Saxofonistin Luise Volkmann, in gleich zwei verschiedenen Besetzungen den Kirchenraum meditativ und dynamisch beweglich zu bespielen, was vor allem am zweiten Tag (mit Conni Trieder auf der Flöte und Johanna Stein am Cello) durch das hineinflutende Sonnenlicht wie eine synästhetische Erfahrung wirkte.

Überhaupt Luise Volkmann – die bekam den diesjährigen Westfalen-Jazzpreis überreicht und ihre vier Auftritte beim Münster-Jazzfestival belegten, warum. Ihr Trio „3.Grams“ betrieb eine improvisatorisch verspielte Vokalpolyphonie zusammen mit der Vokal-Abenteurerin Casey Moir und einem vor Darstellungslust sprühenden Stimmartisten Michael Schiefel. Nach der Preisverleihung gab Luise Volkmanns Großformation „Ete Large“ alles was geht, überschwänglich und voller Euphorie. Punkrockige Pose gepaart mit kompositorischer Finesse als flammender Appell an die Unangepasstheit!

Louis Sclavis, Aki Takase und Haan Bennink – diese drei Namen im Trio vereint, wirkten im Vorfeld wie ein Magnet, um nach Münster zu kommen. Immerhin war der französische Klarinettist und Saxofonist Louis Sclavis ja auch immer an der DNA dieses Festivals mit seinem Bekenntnis zum stilistisch grenzüberschreitenden neuen europäischen Jazz nah dran. Aber gegen höchste Erwartungen hat es die Realität manchmal etwas schwer. Sclavis, Takase und Haan Bennink unternahmen einen routiniert-virtuosen Trip in goldene Zeiten mit allerhand Reminiszenzen, etwa an das (fabelhafte!) Duoalbum, welches Sclavis und Takase circa um 2010 herum eingespielt haben. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.

Transsylvanian Folksongs / Foto (c) Stefan Pieper

Regelrecht mystische Akzente

Deutlich mehr auf der Seele brannte es beim Projekt „Transsylvanian Folksongs“ des mittlerweile 78-jährigen britischen Saxofonisten und Bassklarinettisten John Surman. Zusammen mit dem Violaspieler Matt Manieri und dem Pianisten Lucian Ban ging es dem Erbe von Béla Bartok zu Leibe. Der hat vor circa 100 Jahren tausende von südosteuropäischen Volkslieder in großen Feldforschungen zusammengetragen und damit so manche Grundlagen für die musikalische Moderne und den Jazz gelegt. Nach drei Festivaltagen und -abenden prallgefüllt mit musikalischen Eindrücken lohnte es hier noch einmal, sich beim Hören anzustrengen für diese etwas introvertierte, aber in faszinierende musikalische Tiefen vordringende Reflexion. Nicht nur Manieris Violaspiel mit seinen verfeinerten Bogenstrichen und schwebenden Mikrointervallen war schlichtweg sensationell.

Münsters Jazzfestival schwört der Ikonografie ab. Deswegen bleiben große Namen in der Minderheit. Viel wichtiger ist es, neue Fenster zu öffnen und emotionale Brücken zum Publikum zu bauen. Zugegeben: So mancher Programmpunkt lief auf etwas zu viel Wohlfühloase hinaus. Darunter litt zum Beispiel der Auftritt der versierten Schlagzeugerin Eva Klesse, deren synkopenreich federnder Spielstil ihresgleichen sucht, wo aber die beiden amerikanischen Mitmusiker die meiste vitale Spannung durch viel zu viel glatt polierten Schönklang wieder komplett „neutralisierten“.

Mario Roms Trio „Interzone“ hingegen ließ bis zum letzten Ton mit seinem elektrisierenden Swing die Luft brennen. Lukas Kranzelbinders Bassfiguren galoppierten voran, Mario Roms Trompeten-Kaskaden schwirrten durchs große Haus, zugleich ließ der irre Drive im Schlagzeugspiel von Herbert Pirker die Frage aufkommen, wie all dies von nur zwei Armen und Füßen und nur einem Gehirn bewerkstelligt werden kann. Auf jeden Fall Spaßfaktor hoch zehn bis weit nach Mitternacht!

Auch ohne den Tango-Nuevo-Begründer Astor Piazolla wäre im Jazz manches nicht so verlaufen. Die französische Bandoneon-Spielerin Louise Jallu meisterte mit ihrem Quintett das Kunststück, dieser „ewigen“ Musik wieder neue, frische Luft zum Atmen zu geben, vor allem durch ein raffiniertes Band-Konzept, zu der eine rockige E-Gitarre, ebenso wie Violine und Klavier gehörten und sich hier ungeahnte improvisatorische Freiräume öffneten.

Casey Moir / Foto (c) Stefan Pieper

Eigenwillig, aber tief in der Sache drin

Etwas eigenwillig, aber immer tief und kompromisslos in der Sache drin – so lässt sich jener musikalische Fortschritt, der stets verlässlich aus Norwegen kommt, beschreiben. Paul Nilssen-Love und sein buntes Kollektiv wirkten wie frisch von einem anderen Planeten gelandet, auf dem es spielerischer, freakiger, tänzerischer und zugleich musikalisch vielgestaltig zugeht, mit Nilssen-Loves mächtigem, von brasilianischen Grooves durchtränktem Spiel auf seinem Riesen-Schlagzeug im Zentrum.

Andere Rhythmustexturen hatten eine eher dystopische Färbung: Vor allem bei Judith Schwarz, einer vielbeschäftigen Wiener Schlagwerkerin. Zusammen mit dem Pianisten Jul Diller und Arthur Fussy am Modularsynthesizer entstand ein organisches, dunkles Klanggefüge, das sich vor allem aus der Reibung zwischen physischen und elektronischen Texturen nährte – was durchaus an Techno oder Industrial denken ließ. The Beat goes on. Auf Münster und sein Jazzfestival ist Verlass.

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