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Als die Bilder laufen lernten

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Zwei ganz unterschiedliche Einakter: „Der Zar lässt sich fotografieren“ von Kurt Weill und „Die Kluge“ von Carl Orff feierten am Ostersonntag an der Frankfurter Oper Premiere. Es war eine illustre Reise ins Traumland des Kintopp der goldenen Zwanziger, ins Marionettentheater sowie zu den ersten Fotostudios im Paris der Belle Epoque.

Von Barbara Röder.

Blende auf und es geht los. Im ersten boulevardesken, urkomischen Slapstick-Arrangement, der Opera Buffa in einem Akt vom Dreigroschen- und Mahagoni-Tonkünstler Kurt Weill, huldigt Regisseur Keith Warner den Ursprung der Photographie, deren feine Porträt-Salons in der Stadt der Liebe. Paris. Welch magisches Versprechen!

Weill, der schon 1927 in seiner Oper „Royal Palace“ den Film selbst in den Rahmen der Opernhandlung einbaute, mag Warner wohl als Idee gedient haben, beide so musikalisch ganz unterschiedliche Einakter in ein großes Filmstudio zu verlegen. In Weills „Der Zar lässt sich fotografieren“, sie hatte 1928 in Leipzig Premiere und wurde danach nahezu 20 Mal in Deutschland neu inszeniert, bietet der Komponist alles das auf, was dem damaligen Zeitgeist entsprach und auf der Bühnen en vogue war: Foxtrott, Tango und süffig knackiger Parlandosingsang. Als „Meister der Situationskomik“ wurde Weill von der Presse gefeiert. Denn Weil setzte sogar einen Männerchor ins Orchester à la griechischer Tragödie. Diese Herren, damals mit Zylinder, funken immer in unpassendsten Momenten dazwischen. Ein Gag der Wirkung zeigte. Telefon- und Grammofonszenen inklusive des vorher auf die Odeon Schellackscheibe aufgenommenen „Tango Angéle“ kamen zur Bühnenhandlung dazu. Das war neu und erregte Aufmerksamkeit. Und bei allem Tumult beherrschte ein scharf geladener Photoapparat damals die Bühne.

Der Zar lässt sich fotografieren: Juanita Lascarro (Die falsche Angèle) und Domen Križaj (Der Zar) / Foto: Barbara Aumüller

So ist es auch bei Keith Warners äußerst kurzweilig schmissigen Inszenierung. Wir befinden uns im Studio der Pariser Porträt-Fotografin Angèle. Aus den Bilderrahmen an den Wänden gibt sich der Herrenchor lautstark die Ehre: „Der Zar lässt sich fotografieren“ tönt es. Die Rahmen klatschen zu. (Herrenchor: Tilman Michael) Der Zar wird telefonisch angekündigt.  Angèle, Ambur Braid, triumphiert mit herrlicher Grandezza, will es ganz genau wissen, denn sie will berühmt werden mit ihrem fotografischen Zarenporträt. Daraus wird aber nix! Eine Verschwörerbande kapert das Studio um einen Anschlag auf den Zaren zu verüben. Es folgt ein kleines Verwechslungsspiel. Zwischen falscher Angèle (bezaubernd gesungen von Juanita Lascarro) und dem liebesdurstigen Zaren entwickelt sich ein Superflirt. Dass der Zar zwar „ein Prinzip“ und „doch ein Mensch“ ist, führt uns Domen Križaj raunzig verliebt, schön tönend mit heruntergelassenen Hosen, vor. Auch aus dem Attentat wird nix! Allerhand Filmfiguren und ikonische Fotos führender Weltherrscher oder It-People von einst und heute gucken als Fotos von den Wänden herab: Biden, Obama, Merkel, Trump, Putin oder Lady Di. Inspector Clouseau oder der Diener aus „Dinner for one“ geben sich die Ehre. Warner bietet viel auf Vieles, das sich als ikonische Bilder des Films und der Fotografie in das kollektive kulturelle Bewusstsein eingebrannt hat: der 1918 gemeuchelte Zar und seine Familie, Marilyn Monroe und das legendäre Kennedy-Geburtstags-Konzert oder die Ermordung von Julius Caesar. Dass die Attentäter aus dem Film „Sister Act“ ausgebüxt sind, macht schmunzeln. Man kann sich schon mal in der Türe irren und ist im falschen Film. Gespielt wird herrlich gut. Grotesk, frisch und foxtrottselig intoniert das famos aufgelegte Frankfurter Opernhaus und Museumsorchester unter der pfiffig munteren Leitung von Yi-Chen Lin. Gallig knarzig ist der bestens aufgelegte Herrenchor, der mit Totenmaske bestückt aus den Fotos hervor grinst. Eine gelungene Kurt Weill-Adaption nach fast 100 Jahren, die, wie es damals hieß, eine zeitempfindliche opera buffa schaffen will. Großes Lob.

Weiter gehts mit den quirligen Turbulenzen auf der Hinterbühne, im Schlund von illustren Hollywoodfilmateliers oder dem Berliner Studio Babelsberg. Nach der Pause sind wir in Carl Orffs Parabel „Die Kluge“. Inmitten düsterer Zeit. 1943 wurde sie als „Die Geschichte vom König und der klugen Frau in zwölf Szenen“ im Opernhaus Frankfurt zur Uraufführung gebracht. Der Schöpfer der „Carmina Burana“ schrieb selbst das Libretto zu seinem in aller Welt hochgelobten Opern-Einakter.

Diesem liegt das Grimm’sche Märchen „Die kluge Bauerntochter“ zugrunde. Ein Bauer hat beim Pflügen einen goldenen Mörser ohne Stößel gefunden. Seine Tochter warnt ihn vergebens, dass der König ihn des Diebstahls beschuldigen wird. Der Bauer wird natürlich eingesperrt. Die kluge, ja listige Tochter befreit aber ihren Vater und heiratet, wie soll es anders sein, den König. „Huch, wer hat sich denn hier verirrt“? fragen wir uns wenn in Windeseile 8 Türen über die Bühne rollen und ein Bauer von Polizisten durch diese gejagt, wie in einer tönenden Buster-Keaton-Stummfilmszene lautstark verkündet: „Oh hätt ich meiner Tochter nur geglaubt!“ Weitere zentrale Sätze des sehr durchdachten Librettos sind:  „Denn wer viel hat, hat auch die Macht und wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn über allem herrscht Gewalt“. „Tyrannis führt das Zepter!“ heißt es darin weiter. Das ist mutig, auch in unseren Zeiten!

Die Kluge: v.l.n.r. Patrick Zielke (Der Bauer), Mikołaj Trąbka (Der König) und
Elizabeth Reiter (Die Kluge, Tochter des Bauern) / Foto: Barbara Aumüller

Carl Orff umhüllt diese wie ein Fanal tönende Worte in seiner ihm ganz eigenen Klangsprache. Tanzen, Sprechen, Singen und ein kraftvoller Rhythmus sind seiner Musik immanent. Knittelverse mit bayerischem Einschlag überschäumende Schlagwerkkapriolen und süße Melodien hören wir. Keith Warner setzt auf: Tempo, Tempo, Tempo. So schnell kann gar keine Kamera surren. Das passt hervorragend. Der riesige Rhythmusapparat des Orchesters bäumt sich auf, die Sänger taumeln und springen vor den Scheinwerfern umher. Zudem inszeniert Warner in Shakespearescher Manier, denn Bänkelsänger und derbe Possenreißer mokieren sich und treiben die Farce voran. Herrlich mit viel Witz agieren Andrew Bidlack, Iain MacNeil, Dietrich Volle als aberwitzige Strolche. Der Kerkermeister, gekleidet wie der Tod aus Bergmanns „Das Siebte Siegel“ wird lustvoll düster gespielt von Alfred Reiter. Prägnant überzeugen Patrick Zielke als redseliger Bauer und AJ Glueckert als der, durch ein Fehlurteil des Königs betrogene Mann mit dem Esel. Mikołaj Trąbka gibt mit geschmeidigem Tonfall den unbelehrbaren König. Elizabeth Reiter verzaubert als Kluge mit ihrer Glöckchen reinen Stimme und anmutig und zuweilen witzigen Präsenz. Eine königliche Sängerdarstellerin!

Am Schluss der beiden ungewöhnlich konträren Einaktern schließt sich behäbig langsam die „007- geschüttelt und nicht gerührt- Blende“ der Kamera. Die Kluge, der schwarzbekleidete Puppenspieler, -war er nicht der König? – und die Königsmarionette gehen hindurch ins Off. Fine. Großer Jubel.

Weitere Aufführungen: hier

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