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Acht Musikanten suchen eine Symphonie

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Komödie von Eugène Ionesco? Musikstück von John Cage? Bühnenphantasie von Robert Wilson? Schauspielerdrill von Johann Kresnik? Bewusstseinsstrom von James Joyce? Kasperlade von Herbert Achternbusch? Reklame des Münchner Fremdenverkehrsverbandes? Weit gefehlt! Der Zürcher Tom Luz huldigt München in einer Sommerabendphantasie Ende Januar und präsentiert dabei ein Instrument, das noch nie jemand gesehen oder gehört hat.
Rezension von Von Stephan Reimertz.


Im Januar zieht es ganz schön kalt durch den Kgl. Marstall zu München. Die Damen und Herren, welche die Sitze des einstigen Pferdetempels und jetzigen Theaterstalls erklettern, dürften in ihrer Mehrheit noch Die goldenen Fenster von Robert Wilson gesehen haben, jene poetische und bilderreiche Sinnstiftungsverweigerung, die 1982 an den Münchner Kammerspielen stieg. Jetzt, da der Intendant Matthias Lilienthal die Kammerspiele verlassen wird, zeigt das Residenztheater an der großen Straße gegenüber: Auch wir können Avantgarde! Unterdessen inszeniert Wilson in Salzburg einen Messias, und auch sonst darf man die Phantasierevue in der Produktion des vielseitigen Regisseurs Thom Luz am Residenztheaters als Kontrastprogramm zur Mozartwoche willkommen heißen.

Eine poetische Performance

In Spielfilmlänge dürfen wir uns in einem Strom der Bilder, Ideen, Töne und Texte überlassen. Wer einen roten Faden sucht, sollte besser in einen Kurzwarenladen gehen; oder er nimmt den Titel Olympia Park in the Dark beim Wort. Dann erkennt er in dieser witzigen, virtuosen und abwechslungsreichen Show eine Variation über Charles Ives‘ Orchesterkomposition Central Park in the Dark. Da heute niemand, dem sein Leben lieb ist, den Central Park in the Dark besuchen wird, ist die Münchner Olympiapark-Version gefahrloser, wenn auch die acht Schauspieler-Musikanten Tasteninstrumente traktieren und Geigen schrubben, als hinge ihr Leben davon ab.

v.l. Mareike Beykirch, Noah Saavedra, Mara Miribung, Elias Eilinghoff (vorne), v.l. Barbara Melzl, Christoph Franken, Camill Jammal, Daniele Pintaudi (hinten) © Sandra Then

Charles Ives steht Pate

Dabei tut sich Mara Miribung auf dem Cello hervor; sie muss irgendwann einmal Unterricht gehabt haben. Regisseur Luz, hier auch für Bühne und Licht verantwortlich, gilt als Liebhaber seltener, ja abstruser Tasteninstrumente, von denen er uns hier einige präsentiert; unvergesslich und zur Nachahmung empfohlen eine Kreuzung von Klavier und Kicker. Die Töne, die das erzeugt, würden jeder Komposition von John Cage Ehre machen. In der Tat besteht eine geheime Verbindung zu Cages Oper Europeras, welche ebenfalls die Kultur- und Geistesgeschichte als Fetzen eines Bewusstseinsstroms gruppiert; zur unüberbietbaren Unterhaltung und Überraschung der Zuschauer und -hörer.

Ausschnitte aus dem bayrischen Unterbewusstsein

Es ist eine Performance für Leute, die einen offenen Geist haben, oder für Kenner. Und wenn der Akkord f-h-dis1-a1 ertönt, der einen Steinwurf von hier, drüben im Nationaltheater, vor 155 Jahren zum ersten Mal erklang und zum folgenreichsten Akkord der Musikgeschichte wurde, dann hat die poetische Produktion wieder einmal München und die Weltgeschichte übereinandergeschichtet und ineinander projiziert. Im Laufe des Stückes wird die agogische und musikalische Verwebung immer dichter. Wenn gegen Ende eine Videoeinspielung auf zwei Leinwänden die Schauspieltruppe im Olympiapark zeigt, kommt das Cello wiederum an einen Glanzpunkt. Mara Miriburg akkompagniert ein Federballspiel punktgenau. Das Publikum war hingerissen und dankte den mutigen, hochkomischen und sehr präzisen Darstellern mit langanhaltendem Applaus.

Alle Aufführungen bis Ende März hier.

Residenztheater München
Marstall
Marstallpl. 4
80539 München

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